Nacht­dienst: Kör­per in Alarm­be­reit­schaft: Inter­view – Univ. Prof. Michael Joannidis

25.01.2010 | Politik


Nacht­dienst: Kör­per in Alarmbereitschaft

Wäh­rend des gesam­ten Nacht­diens­tes befin­det sich der Kör­per in Alarm­be­reit­schaft – so lau­tet eines der zen­tra­len Ergeb­nisse einer Stu­die an Ärz­ten der Uni­kli­nik Inns­bruck. Stu­di­en­lei­ter Univ. Prof. Michael Joann­idis infor­miert im Gespräch mit Kurt Mar­ka­rit­zer über wei­tere Details. 

ÖÄZ: Sie wer­den vor Beginn der Stu­die gewisse Erwar­tun­gen gehabt haben, wie die Ergeb­nisse aus­se­hen wer­den. Haben sich diese Erwar­tun­gen bestä­tigt oder sind die Resul­tate für Sie über­ra­schend?
Joann­idis: Wir haben auf der Grund­lage inter­na­tio­na­ler Stu­dien zur Schicht­ar­beit damit gerech­net, dass bei Jour­nal­dienst leis­ten­den Ärz­ten Ver­än­de­run­gen im Herz­kreis­lauf­sys­tem auf­tre­ten wür­den. Zu unse­rer Über­ra­schung hat sich dann gezeigt, dass im Dienst plötz­lich Herz­rhyth­mus­stö­run­gen auf­tra­ten, sogar ven­tri­ku­läre, die für die Betrof­fe­nen unter bestimm­ten Umstän­den ein Gesund­heits­ri­siko dar­stel­len. Gleich­falls uner­war­tet war die feh­lende Nacht­ab­sen­kung des Blut­drucks. Obwohl die Ärz­tin­nen und Ärzte zwi­schen­durch schla­fen konn­ten, hat sich bei ihnen nicht das ein­ge­stellt, was man land­läu­fig Erho­lung nennt. Im Gegen­teil: Der Kör­per befand sich wäh­rend des gesam­ten Diens­tes in Alarm­be­reit­schaft. Die Risi­ko­fak­to­ren waren nicht nur im Falle eines Not­rufs erhöht, son­dern blie­ben wäh­rend der gesam­ten Zeit des Jour­nal­diens­tes gestei­gert.

Gibt es ver­gleich­bare Unter­su­chun­gen von ande­ren Berufs­grup­pen, die Auf­schluss über die Inten­si­tät der Belas­tung und die damit ver­bun­de­nen Risi­ken geben?

In der wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur fin­den sich zahl­rei­che Arbei­ten zur Belas­tung von Schicht­ar­bei­tern. Mit unse­rer Unter­su­chung sind sie nur bedingt ver­gleich­bar, denn wir haben die Aus­wir­kun­gen eines Jour­nal­diens­tes geprüft, bei dem die unter­such­ten Per­so­nen 24-Stun­den-Dienst ver­se­hen haben, also wesent­lich län­ger als in einem gewöhn­li­chen Schicht­be­trieb. Trotz­dem sind natür­lich etli­che Ana­lo­gie­schlüsse zuläs­sig, wobei ich annehme, dass die Aus­wir­kun­gen der Belas­tung bei Ärz­ten wegen der Länge des Diens­tes noch gra­vie­ren­der sind als in ande­ren Beru­fen.

Kön­nen Sie ein paar Bei­spiele nen­nen?

Gerne, weil sie anschau­lich machen, dass man das Gesund­heits­ri­siko, das sich aus den Jour­nal- und Nacht­diens­ten ergibt, kei­nes­falls unter­schät­zen darf. Bekannt ist zum Bei­spiel die Nur­ses’ Health Study, eine Stu­die mit Kran­ken­schwes­tern, die Schicht­dienste gemacht haben. Wenn sie mehr als fünf Jahre lang im Schicht­dienst ein­ge­setzt wur­den, hat sich die Gefahr eines Herz­in­farkts um über 50 Pro­zent erhöht. Oder, um ein ande­res Bei­spiel zu neh­men, das nicht aus dem Gesund­heits­we­sen stammt: Eine schwe­di­sche Lang­zeit­stu­die über 20 Jahre bei Schicht­ar­bei­tern in einer Papier­fa­brik hat alar­mie­rende Ergeb­nisse gebracht. Nach zehn Jah­ren Schicht­ar­beit hat sich ihr Infarkt­ri­siko um mehr als 100 Pro­zent gestei­gert, zwi­schen 16 und 20 Jah­ren war es sogar um 180 Pro­zent höher als bei ver­gleich­ba­ren Per­so­nen, die kei­nen Schicht­dienst leis­te­ten. Ähn­li­che Resul­tate erbrachte eine japa­ni­sche Stu­die mit rund 18.000 Betei­lig­ten. Sie hat gezeigt, dass das Risiko eines Herz­in­fark­tes bei Schicht­dienst im Ver­gleich zu Berufs­tä­ti­gen mit Nor­mal­ar­beits­zeit gene­rell um 130 Pro­zent ansteigt und sich mit zuneh­men­dem Alter deut­lich erhöht. Eine Sub­ana­lyse nach Alter zeigte, dass bei Schicht­ar­bei­tern zwi­schen 40 und 49 Jah­ren die Gefähr­dung um 70 Pro­zent erhöht war, bei Arbei­tern zwi­schen 50 und 60 Jah­ren stieg das Risiko hin­ge­gen auf 180 Pro­zent an! Am ungüns­tigs­ten erwies sich die Kom­bi­na­tion von Schicht­ar­beit und Blut­hoch­druck. In die­ser Kon­stel­la­tion war ein drei­fach erhöh­tes Risiko für Herz­in­farkt zu beob­ach­ten.

Offen­sicht­lich gibt es einen Zusam­men­hang zwi­schen Lebens­al­ter, Belas­tung durch den Schicht­dienst und dem Infarkt­ri­siko. Hat sich das auch bei Ihrer Stu­die gezeigt?

Eine direkte Kor­re­la­tion zwi­schen dem Lebens­al­ter und der Gefahr, durch die Arbeits­be­las­tung einen Herz­in­farkt zu erlei­den, lässt sich aus unse­rer Unter­su­chung nicht able­sen. Das dürfte damit zusam­men­hän­gen, dass sich für die Stu­die in Inns­bruck vor allem jün­gere Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zur Ver­fü­gung gestellt haben, der älteste Kan­di­dat war 45 Jahre. Der Unter­schied zwi­schen den etwas jün­ge­ren und den etwas älte­ren Ärz­ten war da nicht gra­vie­rend. Sehr wohl aber hat sich her­aus­ge­stellt, dass die Stress­fak­to­ren umso höher sind, je län­ger die Leute Dienste machen: Wer Jahre lang Jour­nal­dienst ver­sieht, hat ein deut­lich höhe­res Risiko. Das bedeu­tet natür­lich in der Pra­xis, dass ältere Ärz­tin­nen und Ärzte ver­mut­lich deut­lich mehr gefähr­det sind, weil sie über sehr viele Jahre hin­weg der Belas­tung des Schicht- und Jour­nal­diens­tes aus­ge­setzt sind.

Wel­che Kon­se­quen­zen müs­sen die Spi­tals­er­hal­ter aus den Ergeb­nis­sen Ihrer Unter­su­chung zie­hen?

Wir haben natür­lich nach­ge­dacht, wel­che Emp­feh­lun­gen sich aus der Stu­die ablei­ten las­sen. Das ist nicht ganz ein­fach, denn die Cha­rak­te­ris­tik des ärzt­li­chen Diens­tes lässt sich nicht so ohne wei­te­res ändern, radi­kale Schritte wür­den womög­lich das ganze Sys­tem gefähr­den. Sicher ist aber, dass man nicht alles beim Alten belas­sen darf, denn das gesund­heit­li­che Risiko für die Spi­tals­ärzte ist unzu­mut­bar hoch. Ein Aus­weg, den man rasch ermög­li­chen müsste, ist, die Anzahl der Belas­tungs­si­tua­tio­nen für die Betrof­fe­nen zu sen­ken. Ob dazu Auf­sto­ckun­gen des Per­so­nals oder orga­ni­sa­to­ri­sche Ände­run­gen not­wen­dig sind, muss im Ein­zel­fall ent­schie­den wer­den. Es liegt aber jeden­falls in der Ver­ant­wor­tung der Spi­tals­er­hal­ter, die Arbeits­be­din­gun­gen zum Bes­se­ren zu ver­än­dern. Der­zeit sind die Spi­tals­ärzte so über­las­tet, dass so man­che von ihnen in der Lebens­mitte selbst zu Pati­en­ten wer­den. Ihr Krank­heits­ri­siko reicht vom Burn out-Syn­drom bis zum Herz­in­farkt. Und jetzt, wo erst­mals die har­ten Fak­ten auf dem Tisch lie­gen, darf man das ein­fach nicht län­ger hin­neh­men.

Kön­nen die Ärz­tin­nen und Ärzte selbst etwas tun, um die Gefähr­dung ihrer Gesund­heit zu mini­mie­ren?

Die Rah­men­be­din­gun­gen wer­den sie nicht beein­flus­sen kön­nen, inso­weit sind pri­mär andere Stel­len zur Initia­tive auf­ge­for­dert. Allen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die Schicht­dienste leis­ten, emp­fehle ich aber drin­gend, beson­ders sorg­fäl­tig auf ihre per­sön­li­chen kar­dia­len Risi­ko­fak­to­ren zu ach­ten und sie gege­be­nen­falls zu kon­trol­lie­ren, Aus­gleichs­ru­he­zei­ten ein­zu­hal­ten und prä­ven­tive Gegen­maß­nah­men im Life Style zu set­zen wie etwa mit Aus­gleichs­sport, Ent­span­nungs­zei­ten und Entspannungsstrategien.

Die For­de­run­gen der Ärzte 

Der Obmann der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte, Vize­prä­si­dent Harald Mayer, for­dert ver­bes­serte Rah­men­be­din­gun­gen in den Spi­tä­lern: „Wir spre­chen uns für eine Beschrän­kung der wöchent­li­chen Arbeits­zeit sowie der Dienst­dauer von Spi­tals­ärz­ten ab 50 Jah­ren aus. Sie sol­len im Schnitt nicht mehr als 48 Stun­den pro Woche arbei­ten und nur Dienste mit einer Maxi­mal­dauer von bis zu 25 Stun­den leis­ten dür­fen.“ Dies solle ver­hin­dern, dass ältere Spi­tals­ärzte aus­bren­nen oder durch mas­sive Erkran­kun­gen ausfallen. 


Details zur Studie 

Für die Stu­die unter­such­ten die Autoren Mar­kus Rau­chen­zau­ner und Flo­rian Ernst die Herz-Kreis­lauf-Belas­tung für Ärz­tin­nen und Ärzte wäh­rend des Jour­nal­diens­tes mit einer 24-stün­di­gen Ruf­be­reit­schaft. 30 Medi­zi­ne­rin­nen und Medi­zi­ner nah­men an den Unter­su­chun­gen teil, bei denen mit trag­ba­ren Mess­ge­rä­ten Herz­tä­tig­keit, Blut­druck, Stress­hor­mone, Harn und Blut rund um die Uhr kon­trol­liert wur­den. Die Ärzte konn­ten sich in die­ser Dienst­zeit zwar in Schlaf­räum­lich­kei­ten zurück­zie­hen, sie wur­den aller­dings pro Nacht drei- bis fünf­mal geweckt, ihre Schlaf­pha­sen waren sehr kurz. 

Die Ergeb­nisse sind alar­mie­rend: Im Ver­gleich zu einem Nor­mal­ar­beits­tag wurde bei den Ärz­ten nicht nur ein erhöh­ter Blut­druck wäh­rend des gesam­ten Diens­tes son­dern auch Herz­rhyth­mus­stö­run­gen fest­ge­stellt. Auch Ent­zün­dungs­pa­ra­me­ter, Stress­hor­mone und Harn­säure – Risi­ko­fak­to­ren für einen Herz­in­farkt – waren erhöht. Dabei steigt das Erkran­kungs­ri­siko mit der Anzahl der Berufs­jahre, in denen Schicht­dienste geleis­tet werden. 

Eines der mar­kan­tes­ten Ergeb­nisse der Stu­die: Je län­ger Ärz­tin­nen und Ärzte Jour­nal­dienste absol­vie­ren, umso grö­ßer ist ihre Gesund­heits­ge­fähr­dung. Das bedeu­tet in der Pra­xis, dass die Infarkt­ge­fahr bereits weit ver­brei­tet ist, denn die Fach­ärzte im Spi­tal sind im Durch­schnitt 48 Jahre alt, haben also oft schon viele Jahre Nacht­dienst­tä­tig­keit hin­ter sich. Rund 5.650 der ins­ge­samt knapp 16.400 Ärz­tin­nen und Ärzte sind über 50 Jahre alt, das ist mehr als ein Drit­tel; 16 Pro­zent sind älter als 55, sie­ben Pro­zent älter als 60 Jahre. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2010