„Poli­tik der Lebens­qua­li­tät“: Inter­view – Dr. Heinz Fuchsig

25.01.2010 | Politik


„Poli­tik der Lebensqualität“

Vor­aus­schau­en­des Han­deln unter Berück­sich­ti­gung von Syn­er­gie­ef­fek­ten – so lau­tet der Wunsch von Heinz Fuch­sig, Refe­rent für Umwelt­me­di­zin der Ärz­te­kam­mer Tirol, im Gespräch mit der ÖÄZ anläss­lich des 20-jäh­ri­gen Bestehens der Ärzte für eine gesunde Umwelt (AEGU).

ÖÄZ: Wofür steht die AEGU?
Fuch­sig: Die AEGU, also die Ärz­tin­nen und Ärzte für eine gesunde Umwelt wur­den 1989 als „Tiro­ler Ärzte gegen den Tran­sit­ver­kehr“ neun Jahre nach Grün­dung des Refe­ra­tes Umwelt­me­di­zin der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer ins Leben geru­fen. Die Ver­ei­ni­gung nimmt sich aller Umwelt­the­men an, die auch die Gesund­heit betref­fen. Häu­fig stan­den dabei Luft­schad­stoffe im Vor­der­grund. Die Vor­sor­ge­me­di­zin muss beson­ders auf eine gesunde Luft ach­ten, denn wir sind unse­rer Luft aus­ge­lie­fert. Ernäh­rung und Getränke kön­nen bewusst gewählt wer­den. Die Luft, die wir atmen, aller­dings nicht und wir atmen immer­hin 15 bis 20 Kilo­gramm Luft pro Tag ein.

Was sind der­zeit die wich­tigs­ten The­men der AEGU?

Höchste gesund­heit­li­che Hand­lungs­not­wen­dig­keit besteht gegen eine unge­bremste Kli­ma­er­wär­mung. Deren Fol­gen wären Wirt­schafts­kri­sen und huma­ni­tä­res Elend in einem noch nie da gewe­se­nen Aus­maß, wie in einem Lan­cet-Arti­kel nach­zu­le­sen ist, der im Mai 2009 ver­öf­fent­licht wurde. Es exis­tie­ren mitt­ler­weile jedoch viele posi­tive Pro­jekte, die der Kli­ma­er­wär­mung ent­ge­gen wir­ken kön­nen – als Bei­spiel kann man hier etwa China anfüh­ren.

China gilt in der Welt­öf­fent­lich­keit eher als schwe­rer „Umwelt­sün­der“. Wel­che Pro­jekte bewer­ten Sie posi­tiv?

In der Sep­tem­ber­aus­gabe von „Sci­ence“ wird gezeigt, dass China bereits 2030 mehr als das Dop­pelte sei­nes momen­ta­nen Strom­ver­brauchs zu markt­fä­hi­gen Prei­sen aus Wind­kraft erzeu­gen kann. Allein 2008 ging welt­weit Wind­kraft mit der Leis­tung von 24 Atom­kraft­wer­ken ans Netz. China ist außer­dem Welt­markt­füh­rer was Elek­tro­an­triebe angeht. Mitt­ler­weile sind auf Chi­nas Stra­ßen mehr als 80 Mil­lio­nen Elek­tro­fahr­rä­der unter­wegs. Weil die Abgase der Zwei-Tak­ter der Volks­ge­sund­heit nicht mehr zumut­bar waren, wur­den in 500 chi­ne­si­schen Städ­ten Fahr­ver­bote für Motor­rä­der und Mopeds ohne Elek­tro­an­trieb ver­hängt. So ent­steht ein Boom, der nicht nur die Gesund­heit, son­dern auch das Welt­klima schüt­zen kann – vor­aus­ge­setzt, Wind und Sonne lie­fern den Strom. Auch bei Elek­tro­au­tos hat China die Nase vorn – das bringt nicht nur einen Nut­zen für die Gesund­heit, son­dern auch Geld: Elek­tro­au­to­fir­men ver­zeich­ne­ten seit 2008 Bör­sen­zu­wächse in der Höhe von 370 Pro­zent – und das in Zei­ten fal­len­der Kurse und der Wirt­schafts­krise!

Kön­nen Son­nen- und Wind­ener­gie den welt­weit immer mehr stei­gen­den Ener­gie­be­darf decken?

Das Poten­zial ist vor­han­den: Die nutz­ba­ren Poten­ziale des Win­des kön­nen den Welt­ener­gie­be­darf um mehr als das 80-Fache, bei opti­ma­ler Son­nen­en­er­gie­nut­zung sogar um das 400-Fache decken. 

Ein ganz beson­de­res Anlie­gen ist der AEGU die All­tags­be­we­gung zur Ver­hin­de­rung von Gesund­heits­schä­den. Warum?
Acht der zehn natio­na­len Gesund­heits­ziele könn­ten erreicht wer­den, wenn wir mehr Bewe­gung in unse­ren All­tag inte­grie­ren wür­den. Das Spek­trum ist breit und reicht von Besor­gun­gen, die zu Fuß erle­digt, über Trep­pen, die anstelle von Auf­zü­gen benützt, bis hin zu Arbeits­we­gen, die mit dem Fahr­rad, statt mit dem Auto bewäl­tigt wer­den. Das hat immense Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit der betrof­fe­nen Men­schen: Mehr Bewe­gung im All­tag mini­miert die Depres­si­ons­nei­gung, sorgt für einen nied­ri­gen Blut­druck und einen nor­male Zucker- und Fett­stoff­wech­sel. Die Gelenke blei­ben gesün­der, und das Risiko für man­che Tumo­ren ver­rin­gert sich. Wer täg­lich zehn Kilo­me­ter mit dem Rad zur Arbeit fährt, ver­braucht bei 200 Arbeits­ta­gen im Jahr elf Kilo­gramm Kör­per­fett. Das alles sind „Neben­wir­kun­gen“ ver­mehr­ter All­tags­be­we­gung. „Nimm dein Fett und geh!“ ist die Ant­wort, die das beste Bio­fuel ist. Men­schen, die sich viel bewe­gen, kon­su­mie­ren sta­tis­tisch weni­ger Fett und unge­sunde Lebens­mit­tel.

Kön­nen Sie an eini­gen Bei­spie­len demons­trie­ren, wie mehr Bewe­gung die Umwelt schont?

Mit einem Hektar-Ertrag Wei­zen-Etha­nol oder Rapsöl kön­nen 20.000 Kilo­me­ter mit einem spar­sa­men PKW gefah­ren wer­den. Ein Mensch kann damit aller­dings 500.000 Kilo­me­ter gehen oder sogar 1,5 Mil­lio­nen Kilo­me­ter Rad fah­ren. Ein Hektar-Ertrag Pho­to­vol­taik bringt ein Elek­tro­auto heute schon 6,5 Mil­lio­nen Kilo­me­ter weit. Zwar sind die Inves­ti­ti­ons­kos­ten noch hoch, die Erträge aller­dings garan­tiert. Man­che Fir­men geben 20 Jahre Garan­tie auf 90 Pro­zent der Leis­tung von Photovoltaik-Anlagen. 

Die Ame­ri­can Medi­cal Asso­cia­tion hat heuer im Juli ver­stärkt zum Genuss regio­na­ler Bio­pro­dukte gera­ten, weil dies Umwelt und Gesund­heit nütz­lich sei. Wie bewer­tet die AEGU diese Emp­feh­lung?
Das ist eine wich­tige Emp­feh­lung. Regio­nal bedeu­tet weni­ger Trans­port­wege und damit weni­ger che­mi­sche und phy­si­ka­li­sche Kon­ser­vie­rung. Mit der Weite der Wege steigt die Größe der Mono­kul­tu­ren. Große Ket­ten ver­su­chen nun aus die­sem Kreis­lauf aus­zu­bre­chen und auch klei­nere lokale Lie­fe­ran­ten ein­zu­bin­den – aber nur durch den Druck der Kon­su­men­ten! Und der wächst mit ärzt­li­chen Emp­feh­lun­gen… Der Vor­sit­zende des Welt­kli­ma­ra­tes hat den grif­fi­gen Slo­gan: Less meat – less heat geprägt. Ein Kilo­gramm Rind­fleisch benö­tigt ebenso viel Erd­bo­den wie 20 Kilo­gramm Müsli. 

Wie soll ein gesun­der Lebens­stil im All­tag leich­ter durch­ge­setzt wer­den kön­nen?
Wir plä­die­ren für ein ganz­heit­li­ches und inter­dis­zi­pli­nä­res Vor­ge­hen. Der umwelt­be­wusste Weg muss der leich­tere Weg wer­den. Der direk­teste Weg ins Gehirn der Kon­su­men­ten führt über die Geld­ta­sche. Des­we­gen wird es ohne Ver­teue­rung schäd­li­cher Ver­hal­tens­wei­sen wohl nicht gehen. Was wir momen­tan sehen, ist aller­dings eher das Gegen­teil: So wird beson­ders gesund­heits- und umwelt­schäd­li­ches Ver­hal­ten noch hoch sub­ven­tio­niert: Öster­rei­chi­sche Flug­hä­fen nut­zen Grund­stü­cke im Wert von eini­gen Mil­li­ar­den Euro gra­tis. Air­lines zah­len keine Steu­ern auf Flug­ben­zin und Aus­lands­flüge und die ASFINAG macht Schul­den, die aus Benut­zer­ge­büh­ren nie­mals abbe­zahlt wer­den kön­nen. Allein der Gesund­heits­scha­den durch Die­sel­par­ti­kel beträgt in Öster­reich rund eine Mil­li­arde Euro pro Jahr. Asbest­schä­den haben in den USA Scha­dens­er­satz­zah­lun­gen von 350 Mil­li­ar­den Dol­lar ver­ur­sacht. 54 Pro­zent davon gin­gen an die Pro­zess füh­ren­den Anwälte. Leid konnte man damit nicht ver­mei­den; dar­aus soll­ten wir lernen. 

Wel­che Erfolge kön­nen Sie sich nach 20-jäh­ri­ger Tätig­keit ver­bu­chen?
In Zusam­men­ar­beit mit den Umwelt­re­fe­ra­ten der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer haben wir beträcht­lich zur Lärm­re­duk­tion, stär­ker geprüf­ten Lebens­mit­teln, und zum Bonus-Malus-Modell für Die­sel­au­tos ohne Par­ti­kel­fil­ter bei­getra­gen. Wir haben neue Tran­sit-Rou­ten ver­hin­dert und an der Ein­füh­rung der Warm­was­ser­ver­sor­gung von Spi­tä­lern durch Son­nen­en­er­gie mit­ge­ar­bei­tet. Nicht ver­ges­sen wer­den darf auch unsere Auf­klä­rungs­ar­beit zu elek­tro­ma­gne­ti­schen Fel­dern, ins­be­son­dere wenn es um Mobil­funk geht. Wir haben in Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen das Ver­bot von bestimm­ten Che­mi­ka­lien erreicht und trei­ben der­zeit das Ver­bot von hor­mon­ak­ti­ven Weich­ma­chern in Kunst­stoff­pro­duk­ten voran, die vor allem bei Kin­dern Schä­den ver­ur­sa­chen können. 

Was wird für die Zukunft von beson­de­rer Rele­vanz sein?
Repa­ra­tur­po­li­tik ist immer teuer – egal, ob es um die Wie­der­her­stel­lung von Gesund­heit oder um Umwelt­schä­den geht. Wir wün­schen uns vor­aus­schau­en­des Han­deln unter Berück­sich­ti­gung von Syn­er­gie­ef­fek­ten und uner­wünsch­ten Neben­wir­kun­gen – ver­ein­facht aus­ge­drückt: Wir wün­schen uns eine Poli­tik der Lebensqualität.


Tipp:

www.aegu.net
www.gesundheitsplanung.at
 - Die zehn öster­rei­chi­schen Gesund­heits­ziele zum Nachlesen

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 1–2 /​25.01.2010