Inter­view – Vize-Präs. Harald Mayer: Damit wer­den wir uns nicht abfinden!

10.06.2010 | Politik


„Damit wer­den wir uns nicht abfinden!”

Die Belas­tung für Ärz­tin­nen und Ärzte an öster­rei­chi­schen Spi­tä­lern ist deut­lich höher als in ande­ren Beru­fen, zeigt eine vom Insti­tut für empi­ri­sche Sozi­al­for­schung (IFES) ver­fasste Stu­die, deren Ergeb­nisse Harald Mayer, Obmann der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte, im Gespräch mit Kurt Mar­ka­rit­zer analysiert.


ÖÄZ: Ange­sichts der Umstände, unter denen die Ärz­te­schaft im Spi­tal arbei­ten muss, kommt diese Zufrie­den­heit über­ra­schend. Immer­hin 84 Pro­zent bezeich­nen die Freude an der Arbeit als sehr wich­tig. Zynisch könnte man sagen, dass die Ver­ant­wort­li­chen nicht viel tun, um diese Freude zu för­dern.

Mayer: Man kann es auch anders sagen: Das ganze Sys­tem funk­tio­niert über­haupt nur des­we­gen so gut, weil die Ärz­tin­nen und Ärzte gerne arbei­ten, weil sie ihren Beruf als erfül­lend emp­fin­den und Kraft dar­aus schöp­fen, dass sie ande­ren Men­schen hel­fen kön­nen. Nur des­halb wer­den sie mit der Tat­sa­che fer­tig, dass sich die Lage per­ma­nent ver­schlech­tert. Man sieht das in den Aus­sa­gen der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen, die zu den Ent­wick­lun­gen der letz­ten fünf Jahre befragt wur­den. Da haben schon vor sie­ben Jah­ren 41 Pro­zent gesagt, dass die Arbeits­be­din­gun­gen im Kran­ken­haus unan­ge­neh­mer gewor­den sind. Bei den fol­gen­den Umfra­gen hat sich das immer wei­ter ver­schärft. Das ist nicht neu, das wis­sen die Ver­ant­wort­li­chen ja. Aber sie spe­ku­lie­ren damit, dass die Ärzte gerne arbei­ten und dass man ihnen des­we­gen viel zumu­ten kann. Damit kön­nen und wer­den wir uns nicht abfinden.

Als beson­ders stö­rend emp­fin­den die Ärzte die über­bor­den­den Ver­wal­tungs­auf­ga­ben. 49 Pro­zent der Ärz­tin­nen und Ärzte füh­len sich dadurch stark belas­tet, um sie­ben Pro­zent mehr als 2003. Kann man da nichts ändern?
Natür­lich könnte man viel tun, es geschieht nur zu wenig. Es wäre pro­blem­los mög­lich, ohne Qua­li­täts­ver­lust zahl­rei­che Auf­ga­ben zu dele­gie­ren, die heute von Ärz­ten wahr­ge­nom­men wer­den, die aber ohne wei­te­res von ande­ren erle­digt wer­den könn­ten. Wir haben zum Bei­spiel in der ober­ös­ter­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer als Pilot­pro­jekt das Berufs­bild Sta­ti­ons­as­sis­ten­tin geschaf­fen und die ent­spre­chende Aus­bil­dung ent­wi­ckelt, ange­lehnt an die Ordi­na­ti­ons­ge­hil­fin­nen bei den nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten. Jetzt gibt es diese Fach­kräfte, aber sie wer­den noch nicht so ein­ge­setzt, dass sie die Ärz­te­schaft wirk­lich ent­las­ten. Es geht halt alles viel zu lang­sam. Dabei erken­nen immer mehr Exper­ten die Män­gel des Sys­tems. Erst kürz­lich hat die Wis­sen­schafts­mi­nis­te­rin Bea­trix Karl dafür plä­diert, das Berufs­bild Arzt attrak­ti­ver zu machen. Und dazu gehört an ers­ter und obers­ter Stelle, dass man die Ärz­tin­nen und Ärzte nicht mit büro­kra­ti­schen Auf­ga­ben über­schüt­tet, son­dern sie das tun lässt, wofür sie aus­ge­bil­det sind und was nur sie kön­nen: die Pati­en­ten nach dem aktu­ells­ten Stand des medi­zi­ni­schen Wis­sens zu behandeln.

Ein Pro­blem, das vie­len zu schaf­fen macht, sind die Nacht­dienste. 36 Pro­zent emp­fin­den sie als starke Belas­tung, um zehn Pro­zent mehr als vor sie­ben Jah­ren. Haben Sie als Kuri­en­ob­mann eine kon­krete Vor­stel­lung, was gesche­hen muss?
Ja, und das deckt sich mit den Wün­schen von drei Vier­tel aller Spi­tals­ärzte: Wir wol­len, dass die Arbeits­zeit in einem Stück mit 25 Stun­den limi­tiert wird. Das ist zur Ent­las­tung der Ärzte not­wen­dig, aber auch aus Grün­den der Pati­en­ten­si­cher­heit unum­gäng­lich. Nach 25 Stun­den Dienst soll der Arzt nach Hause gehen dür­fen und sich aus­ru­hen. Kür­zer soll die Arbeits­zeit nicht sein, weil es sonst zu viele Dienst­über­ga­ben geben würde. Und wir wis­sen, dass 80 Pro­zent aller Feh­ler, die im Kran­ken­haus pas­sie­ren, Schnitt­stel­len­feh­ler sind, also genau bei sol­chen Über­ga­ben pas­sie­ren. Ein­mal am Tag ist genau rich­tig – und das ist bei einem 25-Stun­den-Modell ohne wei­te­res mach­bar.

Man­che Ärzte befürch­ten, dass es dabei zu Gehalts­ein­bu­ßen käme.

Keine Sorge! Wir tre­ten ja sehr bewusst nicht für eine Ände­rung bei der zuläs­si­gen Höchst­ar­beits­zeit von 60 Wochen­stun­den im Durch­rech­nungs­zeit­raum oder der Maxi­mal­ar­beits­zeit von 72 Stun­den in der Woche in Aus­nah­me­fäl­len ein. Die reale durch­schnitt­li­che Arbeits­zeit liegt bei 56 Stun­den, daran wol­len wir nichts ändern. Wir wol­len aber haben, dass der Arzt am Mor­gen nach dem Nacht­dienst nach Hause geht und nicht noch län­ger Dienst macht. Man muss ja auch beden­ken, dass zuneh­mend ältere Jahr­gänge im Spi­tal arbei­ten, die nicht mehr so belast­bar sind wie jün­gere. Was man mit 30 Jah­ren locker weg­steckt und mit 40 Jah­ren auch noch ver­kraf­tet, wird mit 50 Jah­ren bereit­smüh­sam und mit 60 nahezu uner­träg­lich. Auch unter die­sem Gesichts­punkt ist eine Ent­las­tung unum­gäng­lich.

Zum Bei­spiel dadurch, dass man die Per­so­nal­knapp­heit besei­tigt, die für acht von zehn Spi­tals­ärz­ten das drin­gendste Pro­blem dar­stellt.

Rich­tig, das erfor­dert aber auch ein Umden­ken in der Per­so­nal­pla­nung. Wenn jeder Arzt mit 60 Wochen­stun­den ein­ge­plant wird, wie das viel­fach der Fall ist, ent­ste­hen Fehl­ka­pa­zi­tä­ten und Über­las­tun­gen, wenn er ein­mal krank wird oder auf Urlaub geht, genau dann. Hier müs­sen rea­lis­ti­schere Maß­stäbe ange­legt wer­den. Natür­lich sind, wie gesagt, auch orga­ni­sa­to­ri­sche Maß­nah­men zur Ent­las­tung von admi­nis­tra­ti­ven Auf­ga­ben not­wen­dig. Dazu gibt es eine Reihe schein­ba­rer Klei­nig­kei­ten, wel­che die Arbeits­be­din­gun­gen ohne viel Auf­wand ent­schei­dend ver­bes­sern könn­ten. Viele Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen kla­gen zum Bei­spiel dar­über, dass die EDV-Pro­gramme für die Doku­men­ta­tio­nen sehr umständ­lich sind und viel Zeit ver­schlin­gen. Da müss­ten sich doch Fach­leute
hin­set­zen und nach bes­se­ren Metho­den und Pro­gram­men suchen. Es gäbe eine
ganze Reihe von Mög­lich­kei­ten, es gibt viele denk­bare Lösun­gen – man muss
sie nur ein­mal ausprobieren!

Das trifft auch auf das Pro­blem zu, dass immer noch viele Ärzte weit über die gesetz­lich erlaubte Arbeits­zeit hin­aus tätig sind. Auf­fal­lend ist, dass dabei die Chir­ur­gen beson­ders her­aus­ge­for­dert sind. Bei ihnen über­schrei­ten 57 Pro­zent sowohl die 60 Stun­den-Grenze als auch die Maxi­mal­ar­beits­zeit von 72 Stun­den.
Wie die Zeit­über­schrei­tun­gen bei den ein­zel­nen Fächern aus­se­hen und wodurch
sie ent­ste­hen, wird man geson­dert ana­ly­sie­ren müs­sen. Es ist ganz klar, dass in die­sen Fäl­len ein Aus­maß erreicht wurde, das nicht tole­riert wer­den kann. Gene­rell muss man aber sagen, dass sich die Situa­tion in den letz­ten Jah­ren etwas gebes­sert hat. Das Kran­ken­an­stal­ten­ar­beits­zeit-Gesetz ist seit 14 Jah­ren in Kraft und seit 2008 wer­den end­lich Sank­tio­nen gegen die Spi­tals­er­hal­ter ver­hängt, wenn sie nicht dafür sor­gen, dass die gesetz­li­chen Arbeits­zei­ten ein­ge­hal­ten wer­den. Die Maß­nah­men haben da und dort gewirkt, aber offen­bar rei­chen sie nicht aus. Es wäre also an der Zeit, dass das Arbeits­in­spek­to­rat öfter in den Spi­tä­lern Schwer­punkt­kon­trol­len durch­führt. Das würde den Reform­wil­len der zustän­di­gen Stel­len sicher deut­lich ver­stär­ken – und das ist die Vor­aus­set­zung dafür, dass sich end­lich etwas ändert. Zum Bes­se­ren natür­lich – denn eine Ver­än­de­rung zum Schlech­te­ren erle­ben wir seit Jah­ren!

Die drei Hauptprobleme

Die IFES-Stu­die zeigt sehr genau, was Spi­tals­ärz­tin­nen und Spi­tals­ärzte am meis­ten belas­tet. Die größ­ten Sor­gen gel­ten fol­gen­den drei Punk­ten:
1) Ver­wal­tungs­auf­ga­ben und der hohe Zeit­auf­wand für die Pati­en­ten­do­ku­men­ta­tion. 49 Pro­zent der Ärz­tin­nen und Ärzte füh­len sich dadurch stark belas­tet.
2) Der zuneh­mende Zeit­druck, unter dem die Ärzte arbei­ten müs­sen. 37 Pro­zent kla­gen in der aktu­el­len Umfrage dar­über; die Ten­denz ist im letz­ten Jahr­zehnt stei­gend.
3) Der anstren­gende Nacht­dienst, der den Ärz­ten immer mehr zu schaf­fen macht. Vor zehn Jah­ren lie­fen die Dienste noch etwas ruhi­ger ab – aber heute stöh­nen bereits 36 Pro­zent der Ärzte über die Stra­pa­zen des Nachtdienstes.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2010