Inter­view – Univ. Prof. Her­bert Lochs: Ein­falls­reich­tum gefragt

25.03.2010 | Politik



Univ. Prof. Her­bert Lochs, Rek­tor der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck, erör­tert im Gespräch mit Ruth Mayr­ho­fer aktu­elle Pro­bleme der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten, der Ärzte-Aus­bil­dung und Ärzte-Nie­der­las­sung, denkt über neue struk­tu­relle Kon­zepte nach und erzählt, warum er den ‚all­wis­sen­den Arzt‘ für ein Aus­lauf­mo­dell hält.

ÖÄZ: Sie sind seit Okto­ber 2009 Rek­tor der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Ihr Ein­stieg war nicht ohne Tur­bu­len­zen und der Ruf der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck ange­kratzt. Wie beur­tei­len Sie die Situa­tion heute?
Lochs: Es hat sich sehr viel ver­än­dert, weil es ja ein Inter­re­gnum, ein Rumpf­rek­to­rat, gab. Die über­wie­gende Zahl der Mit­ar­bei­ter an der Uni ist offen­sicht­lich froh, dass es wie­der geord­nete Ver­hält­nisse gibt. Heute kann jeder ins Rek­to­rat kom­men und Vor­schläge unter­brei­ten. Dann geschieht auch etwas. Ich glaube, es hat sich viel zum Guten gewan­delt, nicht nur durch meine Beru­fung, son­dern durch die Beru­fung des gesam­ten fünf­köp­fi­gen Rektorat-Teams. 

Eine Ihrer ers­ten Auf­ga­ben als Rek­tor war die Fina­li­sie­rung der neuen Arbeits­zeit­ver­ein­ba­rung für Kli­nik­ärzte. Wie ein­fach oder schwie­rig war die­ser Auf­trag?
Natür­lich waren die Ver­hand­lun­gen mit dem Betriebs­rat schwie­rig und kom­pli­ziert. Ich habe sie aber damals ganz bewusst nicht in die Öffent­lich­keit getra­gen, weil ich denke, dass man diese Dinge immer zunächst intern aus­dis­ku­tie­ren sollte, um sie zum Nut­zen aller lösen zu kön­nen. Die neue Ver­ein­ba­rung wurde im Dezem­ber 2009 unter­schrie­ben und ist seit 1.1.2010 in Kraft.

Gerade die Medi­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät Inns­bruck ist von einem sehr hohen Zustrom aus­län­di­scher Stu­den­ten betrof­fen. Die Tages­zei­tung „Die Presse“ zitiert in die­sem Zusam­men­hang Ihren Vize­rek­tor Nor­bert Mutz: „Wenn uns jetzt nichts ein­fällt, ist es eine Kata­stro­phe“. Was fällt Ihnen dazu ein?

Dürfte ich mir etwas wün­schen, wäre dies ein Test, der tat­säch­lich her­aus­fin­det, wer spä­ter der beste Arzt oder der beste Wis­sen­schaf­ter wird. Aber wir wis­sen, dass alle Tests, die wir zur Ver­fü­gung haben, sehr inkom­plett sind. Auch der Nume­rus clau­sus, wie er in Deutsch­land Anwen­dung fin­det, ist keine Ide­al­lö­sung, und ich stimme mit Nor­bert Mutz voll­kom­men über­ein, dass das kein gutes Sys­tem ist. Aber: Wenn uns die EU zwingt, im Sinne einer Gleich­be­hand­lung inner­halb der EU den Nume­rus clau­sus anzu­neh­men, dann wäre dies durch­aus eine Mög­lich­keit. Ich möchte an die­ser Stelle aber beto­nen, dass die Uni­ver­si­tä­ten die ein­zi­gen Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen sind, die sich ihre Stu­die­ren­den nicht oder nur ganz limi­tiert aus­su­chen kön­nen. Fach­hoch­schu­len kön­nen das im Gegen­satz dazu sehr wohl. Es kommt so zu der eigen­ar­ti­gen Situa­tion, dass Stu­die­rende, die an einer FH nicht auf­ge­nom­men wer­den, wegen des freien Zugan­ges an die Uni­ver­si­tä­ten wech­seln. Was bedeu­tet jedoch ‚freier Zugang‘? Freier Zugang heißt mei­ner Mei­nung nach, dass es nicht von der finan­zi­el­len Situa­tion eines Stu­den­ten abhän­gen darf, ob er an einer Uni­ver­si­tät auf­ge­nom­men wird oder nicht. Aber sehr wohl muss ein freier Zugang davon abhän­gen, ob ein Stu­dium ernst­haft betrie­ben wird und einer Leis­tungs­kon­trolle unter­liegt. Eine Leis­tungs­kon­trolle muss sein. Außer­dem muss es eine Limi­tie­rung von Stu­di­en­plät­zen nach den Mög­lich­kei­ten der Uni­ver­si­tät geben. 

Sind Sie für eine neu­er­li­che Ein­füh­rung von Stu­di­en­ge­büh­ren?

Ich meine, die Stu­di­en­ge­büh­ren waren ledig­lich eine pro forma-Summe. Sie waren ja nicht so hoch, dass sie etwas in der Finan­zie­rung tat­säch­lich geleis­tet hät­ten. Man kann natür­lich sagen, wenn ich für etwas bezahle, dann habe ich auch das Recht, eine bestimmte Leis­tung ein­zu­for­dern. Das erscheint mir gut und sinn­voll, genauso, dass die Stu­den­ten in die Eva­lu­ie­rung des Stu­di­ums stär­ker ein­ge­bun­den wer­den. Wenn wir ver­stärkt sei­tens der Stu­den­ten Eva­lu­ie­run­gen und Kri­tik ein­for­dern, dann haben wir schon etwas erreicht. In Inns­bruck haben wir bereits Cur­ri­cu­lum-Kon­fe­ren­zen mit den Stu­die­ren­den gemacht. Sie konn­ten ihre Kri­tik­punkte genau auf­lis­ten, und genau diese ver­fol­gen wir jetzt, um beim Stu­dium statt einer Dozen­ten­ori­en­tie­rung eine stär­kere Stu­den­ten­ori­en­tie­rung zu ermög­li­chen. Das ist der Schlüssel. 

Den­ken Sie dabei an US-ame­ri­ka­ni­sche Uni­ver­si­tä­ten als Vor­bild?
Die Ame­ri­ka­ner, aber auch die Hol­län­der sind uns da sicher­lich voraus. 

Das Medi­zin­stu­dium ist Ver­än­de­run­gen unter­wor­fen. Seit 2002 gibt es das Diplom­stu­dium mit dem Abschluss Dr. med. und ein anschlie­ßen­des sechs­se­mes­tri­ges Dok­to­rats­stu­dium, das pri­mär auf Grund­la­gen­for­schung aus­ge­rich­tet ist und die kli­ni­sche For­schung außen vor lässt. Die Absol­ven­ten des Dok­to­rats­stu­di­ums kön­nen sich aber nicht nie­der­las­sen, Tirol steu­ert jedoch genauso wie ganz Öster­reich einem gra­vie­ren­den Ärz­te­man­gel zu. Ist die­ser Aus­bil­dungs­weg daher Ihrer Mei­nung nach gescheit?
Das Dok­to­rats­stu­dium ist für eine Nie­der­las­sung ja nicht not­wen­dig. Diese Ver­bin­dung ist nicht erfor­der­lich. Sehr wohl sehe ich aber, dass das Dok­to­rats­stu­dium mehr die Grund­la­gen­for­schung als die Kli­ni­sche For­schung betont. Des­we­gen ist jüngst das Kli­ni­sche Dok­to­rats­stu­dium ein­ge­führt wor­den. Das ist ein eige­ner Stu­di­en­zweig, der als berufs­be­glei­ten­des Ph.D.-Programm wäh­rend der Tur­nus­aus­bil­dung bezie­hungs­weise neben der kli­ni­schen Tätig­keit als Dok­to­rats­stu­dium mög­lich ist. Damit för­dern wir die Kli­ni­sche For­schung. Das ist etwas ganz Wesent­li­ches, auch für die Qua­li­tät der Medizin. 

Die Tur­nus­aus­bil­dung an den Uni-Kli­ni­ken Inns­bruck wird man­cher­orts als „unzu­läng­lich“ erach­tet. Kön­nen Sie sich Ver­bes­se­run­gen vor­stel­len?
Ver­bes­se­run­gen kann man sich immer vor­stel­len. Die Ärz­te­aus­bil­dung zum prak­ti­schen Arzt oder Fach­arzt liegt in der Hand der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer, die mit den Uni­ver­si­tä­ten Kon­takt pflegt. Der Fach­arzt für All­ge­mein­me­di­zin wird letzt­lich den prak­ti­schen Arzt ablö­sen, so wie das ja in Deutsch­land ist. In diese Rich­tung wird es gehen; das sind die Fra­gen, die man dis­ku­tie­ren muss. 

Es heißt, dass sich – auch im Zusam­men­hang mit einer mög­li­cher­weise ver­bes­se­rungs­wür­di­gen Tur­nus­aus­bil­dung – in Tirol viele junge Ärzte nicht mehr getrauen, sich am Land nie­der­zu­las­sen, weil sie glau­ben, dass sie der Auf­ga­ben­stel­lung nicht gewach­sen sind. Wel­che Vor­stel­lun­gen haben Sie kon­kret, um diese Situa­tion zu berei­ni­gen und diese Men­schen zu ermu­ti­gen?
Die­ses Pro­blem ist kein rein öster­rei­chi­sches. Genauso sind in Deutsch­land und in ande­ren Län­dern Land­arzt­pra­xen nur mehr schwer zu beset­zen. Das hat ver­schie­dene Gründe: Ers­tens sind Ärzte, die am Land eine Pra­xis betrei­ben, 24 Stun­den im Dienst, der Job ist sehr bean­spru­chend. Zwei­tens sind Land­ärzte die letzte Instanz. Auch das belas­tet. Mei­ner Mei­nung nach müsste man Grup­pen­pra­xen bezie­hungs­weise Ärzte-GmbHs ermög­li­chen, wel­che die Zusam­men­ar­beit von Ärz­ten erleich­tern. Nur so ist eine gegen­sei­tige Ver­tre­tung mög­lich, man kann Schwer­punkte kom­ple­men­tär beset­zen. Zugleich würde dem zuneh­men­den und berech­tig­ten Anspruch der Ärzte nach einer guten Work-Life-Balance Rech­nung getra­gen. Ich glaube, dass die Rolle des all­wis­sen­den Arz­tes, der alle mög­li­cher­weise auf­tre­ten­den Pro­bleme allein lösen kann, nicht mehr zeit­ge­mäß ist. Das Wis­sen hat so zuge­nom­men, dass das nie­mand mehr schaf­fen kann. Daher ver­stehe ich voll­kom­men, dass ein jun­ger Arzt sich vor einer Über­for­de­rung fürchtet. 

Das Thema Kli­ni­scher Mehr­auf­wand ist nicht nur in Inns­bruck strit­tig. Was könnte man dabei ver­bes­sern?
Der Kli­ni­sche Mehr­auf­wand ist, seit es ihn gibt, an allen hei­mi­schen Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken ein Streit­punkt zwi­schen dem Kran­ken­an­stal­ten­trä­ger und der Uni­ver­si­tät, weil es so schwer ist, fest­zu­ma­chen, was die tat­säch­li­chen Mehr­kos­ten sind, die man durch den uni­ver­si­tä­ren Betrieb hat. Inns­bruck ist in einer spe­zi­el­len Situa­tion, weil es das ein­zige uni­ver­si­täre Kran­ken­haus ist, das gleich­zei­tig Stadt­spi­tal ist. Das ist weder in Graz noch in Wien so, und inso­fern sehen wir uns in einer beson­ders schwie­ri­gen Posi­tion. Wir soll­ten hier völ­lig umden­ken: Bis­her wurde der kli­ni­sche Mehr­auf­wand als eine Zah­lung der Uni­ver­si­tät an den Kran­ken­an­stal­ten­trä­ger gese­hen, auf deren Ver­wen­dung die Uni­ver­si­tät kei­nen oder nur mehr wenig Ein­fluss hatte. Wir soll­ten aber ver­su­chen, gemein­sam mit dem Land Tirol Pro­jekte zu iden­ti­fi­zie­ren, die der Ent­wick­lung von For­schung und Lehre die­nen, und diese Pro­jekte dann mit dem Kli­ni­schen Mehr­auf­wand finan­zie­ren. Das wäre auch die erste Stufe eines neuen Zusammenarbeitsvertrages. 

Die Dop­pel­funk­tion von Uni­kli­nik und Stadt­spi­tal bringt auch dienst­recht­li­che Pro­bleme mit sich. Sie haben Bun­des­be­amte, Lan­des­be­diens­tete, Ange­stellte und freie wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter unter einem Dach. Daher ist ein ein­heit­li­ches Dienst­recht eine lang­jäh­rige For­de­rung. Wie rea­lis­tisch beur­tei­len Sie eine Umset­zung?
Ich sehe das schon so, dass wir uns in diese Rich­tung ent­wi­ckeln soll­ten: Zunächst in Gesprä­chen mit der TILAK hin­sicht­lich der Anglei­chung der Dienst­auf­ga­ben und einer wei­te­ren Annä­he­rung der ein­zel­nen Dienst­rechte. Am Ende sollte es dienst­recht­lich so sein, dass es egal ist, wer der Arbeit­ge­ber ist. Das wird nicht bis mor­gen gehen, aber wenn dies inner­halb die­ser Rek­to­rats­pe­ri­ode erle­digt wer­den könnte, wäre es gut. 

Sie haben in Inns­bruck Medi­zin stu­diert und sind nun nach Kar­riere-Sta­tio­nen als Gas­tro­en­te­ro­loge in Wien, Ber­lin (D) und Pitts­burgh (USA) wie­der nach Inns­bruck zurück­ge­kehrt. Geht Ihnen hier die große ‚weite Welt‘ nicht ein wenig ab?
Ja, schon. Es ist ein Rie­sen­schritt, aus dem Aus­land nach Öster­reich zurück­zu­keh­ren. Der Grund, diese Posi­tion anzu­neh­men, war jedoch nicht Inns­bruck, obwohl Inns­bruck wun­der­schön ist. Es war die Auf­gabe, die mich gereizt hat. Aber ich habe immer die Mei­nung ver­tre­ten, dass man, dort, wo man arbei­tet, auch leben soll. Ich halte es für schlecht, geteilte Lebens­schwer­punkte zu haben, selbst wenn ich in mei­ner Frei­zeit durch­aus gerne an andere Orte fahre. 

Zur Per­son

Rek­tor Univ. Prof. Dr. Her­bert Lochs:
Geb. 1946 in Inns­bruck, 1970 Pro­mo­tion zum Dr. med., 1979 Aner­ken­nung als Fach­arzt für Innere Medi­zin.
1984
bis 1986 Stu­di­en­auf­ent­halt an der Uni­ver­si­tät
Pitts­burgh (USA). 1985 Habi­li­ta­tion.
1994
bis 2009 Direk­tor der Medi­zi­ni­schen Kli­nik und Poli­kli­nik mit Schwer­punkt Gas­tro­en­te­ro­lo­gie, Hepa­to­lo­gie und Endo­kri­no­lo­gie, Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Cha­rité (Ber­lin).
Seit Okto­ber 2009: Rek­tor der Medi­zi­ni­schen
Uni­ver­si­tät Inns­bruck.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2010