Inter­view – EU-Kom­mis­sar John Dalli: Vor­an­trei­ben von Innovationen

10.06.2010 | Politik


„Vor­an­trei­ben von Innovationen”

Der amtie­rende euro­päi­sche Kom­mis­sar für Gesund­heit und Ver­brau­cher­schutz, John Dalli, gewährte der ÖÄZ – als ers­tem öster­rei­chi­schen Medium – Ein­blick in sei­nen Arbeits­be­reich und in die Pläne der EU in Sachen Gesund­heits­po­li­tik. Das Gespräch führte Ruth Mayr­ho­fer.

ÖÄZ: Wel­che Auf­ga­ben­ge­biete umfasst Ihr Man­dat als EU-Kom­mis­sar im Bereich Gesund­heit und Ver­brau­cher­po­li­tik?
Dalli: Meine Auf­gabe ist es, gemein­sam mit den EU-Mit­glied­staa­ten zu einer Ver­bes­se­rung in Sachen Gesund­heit für alle EU-Bür­ger bei­zu­tra­gen und Kon­su­men­ten zu unter­stüt­zen, sichere und abge­si­cherte Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Soweit es das Thema Gesund­heit betrifft, sind alle meine Ver­ant­wort­lich­kei­ten in der EU-Gesund­heits­stra­te­gie 2008 bis 2013 fest­ge­legt. Dar­un­ter fal­len etwa Berei­che wie die Gesund­erhal­tung der EU-Bür­ger und die Prä­ven­tion von ver­meid­ba­ren Krank­hei­ten, wobei die hohe Qua­li­tät der Gesund­heits­sys­teme unter­stützt und tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen ein­be­zo­gen wer­den. Das ist genauso in Zusam­men­hang mit mei­ner Tätig­keit für die Markt­au­tori­sie­rung von Arz­nei­mit­teln und Medi­zin­pro­duk­ten zu sehen. Und zu guter Letzt bin ich auch dafür zustän­dig, den Mit­glieds­län­dern in der Koor­di­na­tion bei mög­li­chen Pan­de­mien, die Men­schen oder Tie­ren gefähr­lich wer­den kön­nen, zu helfen.

Wie kann die EU ihre Mit­glied­staa­ten dabei unter­stüt­zen, ihre Gesund­heits­sys­teme in einem Umfeld von schwin­den­den Res­sour­cen, jedoch einer immer älter wer­den­den Bevöl­ke­rung, auf­recht zu erhal­ten?
Die Kom­mis­sion weiß, dass die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung eine große Her­aus­for­de­rung für alle Gesund­heits­sys­teme in Europa dar­stel­len wird. Wir müs­sen daher alle zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel auf­wen­den, um die künf­tig dar­aus resul­tie­ren­den Pro­blem­stel­lun­gen zu bewäl­ti­gen. Lösungs­an­sätze dazu sind zum Bei­spiel Regio­nal­fi­nan­zie­run­gen, der Aus­bau von E‑Health, eine EU-Zusam­men­ar­beit zum Thema Health Tech­no­logy Assess­ment. All das würde die opti­male Ver­wen­dung der Mit­tel sowie die effi­zi­en­teste Ver­sor­gung der Bür­ger sicher­stel­len. Die Schaf­fung von nach­hal­ti­gen Gesund­heits­sys­te­men – damit meine ich Sys­teme mit lang­fris­tig „lebens­fä­hi­gem“ Zugang zu finan­zi­el­len und per­so­nel­len Res­sour­cen – sind eine wich­tige Inves­ti­tion in die Gesund­heit, beson­ders in Zei­ten mit gerin­gem wirt­schaft­li­chen Wachs­tum. Diese Auf­gabe sowie die Ver­tre­tung von Pati­en­ten­in­ter­es­sen und das Vor­an­trei­ben von Inno­va­tio­nen in Sachen Gesund­heit zäh­len zu mei­nen drei wich­tigs­ten Prio­ri­tä­ten. Ich werde mein Bes­tes geben, um diese in allen Poli­cies der Kom­mis­sion ver­an­kert zu wissen.

Wel­che Prio­ri­tä­ten wird die EU-Kom­mis­sion in den nächs­ten Jah­ren in Bezug auf die medi­zi­ni­sche bezie­hungs­weise phar­ma­zeu­ti­sche For­schung set­zen?
Wie schon gesagt: Die EU-Kom­mis­sion will ver­ant­wor­tungs­volle Inno­va­tio­nen vor­an­trei­ben. In meine Zustän­dig­keit fal­len auch die EU-Poli­cies hin­sicht­lich der medi­zi­ni­schen und phar­ma­zeu­ti­schen For­schung; daher beab­sich­tige ich, eng mit mei­nem für For­schungs-Ange­le­gen­hei­ten zustän­di­gen Kom­mis­si­ons­kol­le­gen zusam­men­zu­ar­bei­ten, um sicher­zu­stel­len, dass Inno­va­tio­nen nicht nur leist­bar sind, son­dern auch die Lebens­qua­li­tät der EU-Bür­ger erhö­hen.

Wie kön­nen Ihrer Mei­nung nach Ärzte in ganz Europa zu einer posi­ti­ven Ent­wick­lung der Gesund­heits­sys­teme bei­tra­gen?
In dyna­mi­schen Gesund­heits­sys­te­men brau­chen wir gut aus­ge­bil­dete und moti­vierte Ärzte in aus­rei­chen­der Anzahl, um eine qua­li­ta­tiv hoch­ste­hende Ver­sor­gung sicher­zu­stel­len. Die Wei­ter­bil­dung der Ärz­te­schaft, um auf dem neu­es­ten Stand des medi­zi­ni­schen Wis­sens zu blei­ben, spielt dabei eine wich­tige Rolle. Außer­dem kommt Ärz­ten auch eine ganz wich­tige Manage­ment-Rolle zu, denn sie soll­ten bei der Pla­nung und Umset­zung von Gesund­heits­sys­te­men voll inte­griert wer­den.

Bezüg­lich E‑Health: Wel­che Vor­teile wer­den den EU-Bür­gern dar­aus erwach­sen?
Sobald ein Pati­ent sich im Gesund­heits­sys­tem bewegt, wer­den große Men­gen von Infor­ma­tio­nen gene­riert, wel­che ihm auch zur Ver­fü­gung ste­hen. Wenn diese Infor­ma­tio­nen aber feh­ler­haft oder löch­rig bezie­hungs­weise unvoll­stän­dig sind, führt dies zu einer Ver­schwen­dung von finan­zi­el­len Res­sour­cen, zu zusätz­li­cher Arbeit für die Gesund­heits­be­rufe und zu unnö­ti­gen Belas­tun­gen für die Pati­en­ten, die im schlimms­ten Fall lebens­ge­fähr­lich wer­den kön­nen. Daher kön­nen E‑He­alth-Tools – von elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­ten bis hin zur Tele­me­di­zin – dazu bei­tra­gen, diese Her­aus­for­de­run­gen mit opti­mier­ten und damit siche­re­ren Infor­ma­ti­ons­flüs­sen im Inter­esse der Pati­en­ten zu ver­bes­sern. Dies nur als ein wich­ti­ges Bei­spiel, wie E‑Health die Qua­li­tät und die Nach­hal­tig­keit von Gesund­heits­sys­te­men ver­bes­sern kann.

Wie beur­tei­len Sie die viel dis­ku­tier­ten The­men:
a) Infor­ma­tion – nicht: Wer­bung – über ver­schrei­bungs­pflich­tige Medi­ka­mente für Pati­en­ten und
b) ein mög­li­ches Inter­net-Por­tal zu ver­schrei­bungs­pflich­ti­gen Medi­ka­men­ten, wie es schon des Öfte­ren von der Phar­ma­in­dus­trie gefor­dert wurde?

Das Inter­net lie­fert zwar jede Menge an dies­be­züg­li­chen Infor­ma­tio­nen; diese sind jedoch lei­der nicht immer kor­rekt. Wir müs­sen sicher­stel­len, dass Pati­en­ten Zugang zu ver­läss­li­cher und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Infor­ma­tion haben. Ein recht­lich abge­si­cher­ter Vor­schlag zur Pati­en­ten­in­for­ma­tion ist der­zeit in Aus­ar­bei­tung. Die­ser ver­folgt das Ziel, Pati­en­ten zu ermäch­ti­gen, selbst qua­li­fi­zierte Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, wenn es um ihre Gesund­heit geht. Wir wer­den im Lauf der legis­la­ti­ven Umset­zung trach­ten, die am bes­ten geeig­ne­ten Mit­tel und Wege dafür zu iden­ti­fi­zie­ren. Zum Infor­ma­ti­ons­por­tal: Ich halte das für eine inter­es­sante Idee.

Eine per­sön­li­che Frage: Was ist Ihre Haupt­mo­ti­va­tion, sich in der EU-Kom­mis­sion für Gesund­heits­fra­gen ein­zu­set­zen?
Es ist für mich eine Ehre, mit die­sen Ver­ant­wort­lich­kei­ten betraut zu sein. Schließ­lich sind diese wahr­schein­lich jene, die den EU-Bür­gern am meis­ten am Her­zen lie­gen, näm­lich, einen gesun­den Lebens­stil mit einer gesun­den Umwelt zu ver­bin­den. Die Her­aus­for­de­run­gen sind dabei enorm; ich werde aber alles dafür tun, damit in den kom­men­den Jah­ren in die­sen Berei­chen ent­schei­dende Fort­schritte erzielt wer­den kön­nen.

Zur Per­son

John Dalli:
Gebo­ren am 5.10.1948 in Malta
Ver­hei­ra­tet, zwei Kin­der
Erlern­ter Beruf: Wirt­schafts­prü­fer
1971: Beginn der poli­ti­schen Kar­riere in der Jugend­be­we­gung der Natio­na­lis­ten Mal­tas
1979–1981: Wahl­kampf­füh­rer sei­ner Par­tei in Malta
Seit 1987 in Regie­rungs­po­si­tio­nen:
1987–1990: Junior Minis­ter für Indus­trie in Malta
1990–1992: Wirt­schafts­mi­nis­ter (Minis­ter for Eco­no­mic Ser­vices)
1992–1996: Finanz­mi­nis­ter
1998–2004: Minis­ter für Finan­zen und Wirt­schaft (Minis­ter of Finan­ces and Eco­nomy)
2004–2008: Minis­ter für aus­wär­tige Ange­le­gen­hei­ten und Inves­ti­ti­ons­för­de­rung
2008–2010: Minis­ter für Sozialpolitik

Von 1987 bis 1996 und von 1998 bis 2004 war John Dalli außer­dem Vor­sit­zen­der einer libysch-mal­te­si­schen Kom­mis­sion, die sich um die Ent­wick­lun­gen der Bezie­hun­gen der bei­den Län­der kümmerte.

Im Februar 2010 über­nahm John Dalli das EU-Kom­mis­sa­riat für Gesund­heit und Ver­brau­cher­schutz mit Sitz in Brüs­sel.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2010