Interview – Dr. Katharina Gordon: Keine vorzeitige Approbation

10.09.2010 | Politik

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl hat mit dem Vorschlag, den Turnus zugunsten einer Approbation nach dem Studium und einer verlängerten Facharztausbildung abzuschaffen, rege Diskussionen ausgelöst. Katharina Gordon, Obfrau der Bundessektion Turnusärzte, erläutert im Interview mit Kurt Markaritzer ihre Position.

ÖÄZ: Die Ärztekammer spricht sich gegen eine Neuregelung aus, die den Absolventen der Medizinischen Universitäten nach Abschluss ihres Studiums die Approbation zusprechen würde. Warum?
Gordon: Für die Ablehnung gibt es gute Gründe. Eine Reform des Medizinstudiums, die Absolventen ohne Turnusausbildung die Approbation verschaffen würde, wäre nichts anderes als die Bildung einer neuen Klasse von Ärzten, billige Systemerhalter ohne Zukunftsperspektive, die unter Umständen zahlreiche Nachteile auf sich nehmen müssten.

Wo liegen die hauptsächlichen Einwände?
Vor allem wäre rechtlich nicht gesichert, dass die Absolventen der Medizinischen Universität nach ihrem Studium tatsächlich auf eine Ausbildungsstelle kommen. In der Praxis müssten sie in den Spitälern überwiegend Tätigkeiten erledigen, bei denen sie nichts lernen und die derzeit neben der Ausbildung gemacht werden. Im jetzigen System wird bei den Turnusärzten von der Ärztekammer überprüft, ob sie tatsächlich eine Ausbildung erhalten. Diese Kontrolle würde bei der Neuregelung faktisch wegfallen, die Jungärztinnen und Jungärzte wären in der Praxis wohl kaum etwas anderes als disponible Hilfskräfte, die je nach Bedarf hin- und hergeschoben werden. Daran muss man auch im Zusammenhang mit der Tatsache erinnern, dass die Medizin zunehmend weiblich wird, immerhin sind sechs von zehn Turnusärzten Frauen. Gerade bei Frauen besteht aber die Gefahr, dass sie keine Ausbildungsstelle erhalten, sondern im Routinebetrieb landen, nach dem Motto: Die bekommt früher oder später ohnehin ein Kind.

Eine solche Reform wäre für die Mediziner nachteilig?
Die Neuregelung wäre nicht nur für diese Kolleginnen und Kollegen unzumutbar, sondern auch ein entscheidender Nachteil für das gesamte Gesundheitssystem. In Österreich ist wegen der Altersstruktur der Ärzteschaft in absehbarer Zeit mit einem Ärztemangel zu rechnen. Um die altersbedingten Abgänge zu ersetzen wird man gut ausgebildete Ärzte brauchen – und das ist mit dieser Reform nicht zu erreichen.

Immerhin könnten Absolventen eines Medizinstudiums früher als jetzt in den Beruf einsteigen.
Ja, aber das wäre höchstens ein Scheinvorteil. Nach dem Studium könnte sich ein Absolvent als niedergelassener Arzt selbstständig machen – aber er bekäme keinen Kassenvertrag, auch in Zukunft nicht. Außerdem dürfen wir nicht zulassen, dass Patienten von Absolventen des Medizinstudiums ohne Supervision in der Praxis behandelt werden. Lassen Sie es mich offen sagen: Es besteht die Möglichkeit, dass sich gerade im komplementärmedizinischen Sektor Kollegen die Allgemeinmedizinausbildung ersparen und privat niederlassen … In den Spitälern würden Ärzte mit Teilapprobationen in den Ambulanzen eingesetzt werden oder den Stationsarzt ersetzen. Für beide Tätigkeiten fehlt ihnen aber die nötige Erfahrung, ganz abgesehen davon, dass es für die Patienten verwirrend ist, wenn sie nicht wissen, von welchem Typ Arzt sie behandelt werden. Die Befürchtung, dass sich durch eine solche Neuregelung die Betreuung der Kranken verschlechtern würde, ist sehr plausibel.

Es war im Gespräch, eine einjährige Ausbildung nach dem Studium verbindlich einzuführen.
Das wurde diskutiert, aber dieses Zusatzjahr wäre nicht in der Lage, den Turnus zu ersetzen. Es gibt einen klaren Mehrheitsbeschluss der Bundeskurie Angestellte Ärzte für die Beibehaltung des Status quo, also für drei oder mehr Jahre Turnus zum Arzt für Allgemeinmedizin. Das bedeutet nicht, dass sich die Angestelltenkurie gegen die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin stellt, bei der allerdings noch die Rahmenbedingungen gesichert werden müssen. Generell muss man festhalten, dass die vorgeschlagene Reform getrennt von der Facharztausbildung zu sehen ist und auch nicht unmittelbar mit einer Verbesserung für Allgemeinmediziner zu tun hat. Schon jetzt kann man ja direkt in die Facharztausbildung einsteigen, dazu braucht man keine eigene Approbation.

Zugunsten der Reform werden Beispiele aus dem Ausland vorgebracht, wo die Approbation für Absolventen der Universität üblich ist.
Dieses Argument hört man da und dort, aber das ändert nichts daran, dass diese Teilapprobation für die Jungmediziner im Inland keinen Vorteil bringt. Für einen Einsatz jenseits der Grenzen gibt es Überlegungen, ein ‚ius migrandi’ zu schaffen, damit man als österreichischer Absolvent im Ausland die gleichen Rechte hat wie jemand, der sein Studium dort absolviert hat. Da lässt sich eine Lösung finden, die tragfähiger ist als die derzeit diskutierte Reform.

Wenn es beim Status quo bleiben soll: Heißt das, dass alles in Ordnung ist?

Nein, diesen Schluss kann man keinesfalls ziehen: Die Ausbildung der Turnusärzte ist alles andere als optimal. Bereits im Jahr 2000 wurde von der Ärztekammer ein Turnustätigkeitsprofil erstellt, das die Aufgabenteilung zwischen Ärzten und nicht medizinischem Personal regelt. Leider ist dieses Papier nur eine Empfehlung und kein Gesetz! Mit einer verbindlichen gesetzlichen Regelung könnte man die vielfach immer noch geübte Praxis ändern, dass Turnusärzte in einem Großteil ihrer Dienstzeit für nichtmedizinische Tätigkeiten wie Pflege und Dokumentation eingesetzt werden und damit wenig bis zu wenig Gelegenheit zum Kontakt mit Patienten haben. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, dass immer mehr Spitäler von sich aus bemüht sind, die Bedingungen für die jungen Kollegen zu verbessern. Das ist positiv, ich wünsche mir aber, dass gesetzlich verhindert wird, dass Turnusärzte als flexibel gehandhabte Personalreserve dienen müssen, denn da bleibt ihnen zu wenig Zeit für die Ausbildung. In einem solchen Gesetz müssten dann auch Regelungen für die ausbildenden Ärzte geschaffen werden, denen genügend Zeit für ihre Lehrtätigkeit zur Verfügung stehen muss.

Verbesserungen sind offensichtlich dringend notwendig. Unter diesen Umständen überrascht es ein wenig, dass sich die Turnusärzte – vor allem angehende Fachärztinnen und Fachärzte in der Anfangsphase der Ausbildung – bei einer IFES-Umfrage mit ihrem Beruf sehr zufrieden zeigen.
Ich glaube, da muss man differenzieren. Tatsächlich gibt es bei Turnusärzten wie bei allen Medizinern immer wieder Erfolgserlebnisse. Die Freude und Dankbarkeit der Patienten entschädigt für vieles und in dieser Situation sind alle froh, dass sie den ärztlichen Beruf gewählt haben. Man muss aber auch die andere Seite sehen, den Alltag im Spital, wo jeder kämpft, damit er seinen Idealismus nicht verliert. Viele Turnusärzte leiden unter den überlangen Arbeitszeiten. Ein Drittel arbeitet bis zu 76 Stunden in der Woche; die Ärzte sind dementsprechend übermüdet. Dazu kommt, dass die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden. Die Zahl der Patienten steigt, aber das wirkt sich nicht in gleichem Maß in einer Ausweitung der Stellenpläne aus, damit steigt die Belastung für alle, die im Gesundheitssystem und speziell in den Spitälern tätig sind. Und man muss auch offen ansprechen, dass viele Turnusärzte das Gefühl haben, in das Geschehen in der Klinik nicht voll eingebunden zu sein. Manche fühlen sich regelrecht als Außenseiter, die sich oft kaum gegen das alteingesessene nichtmedizinische Personal behaupten können. Das ist demotivierend. Würde man die jungen Kollegen in einer derartigen Stimmung befragen, kämen mit hoher Wahrscheinlichkeit deprimierende Umfragewerte heraus. Tatsächlich zeigt die aktuelle IFES-Umfrage, dass die Zufriedenheit vor allem am Beginn des Turnus groß ist, während die letzte Ausbildungsphase eine sehr kritische ist. Wenn es darum geht, den Übergang in den Beruf zu schaffen, entsteht sehr viel Frustration und Resignation. Viele zweifeln, ob sie den richtigen Weg gewählt haben, weil sie ihre Illusionen verloren haben. Sicher: Wir können mit unserem Beruf zufrieden sein und die meisten sind es auch – aber Verbesserungen sind immer wieder möglich und dringend erbeten!

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2010