Interview – Dr. Johannes Steinhart: Fundamentaler Vertrag

25.10.2010 | Politik

Der Gruppenpraxis-Gesamtvertrag ohne Tarifabschläge ist nach Ansicht von Johannes Steinhart, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Wien, der Kernpunkt des neuen Vertrages mit der Wiener GKK, wie er im Gespräch mit Agnes M. Mühlgassner erklärt.


ÖÄZ: In einer ersten Reaktion nach dem Vertragsabschluss haben Sie von einem ‚wirklich guten Kompromiss’ gesprochen. Wenn man sich die Details anschaut, bekommt man den Eindruck, dass das Ergebnis viel mehr als ein Kompromiss ist.

Steinhart: Jein, weil es für 2010 keine Tariferhöhung gibt und für 2011 und 2012 wird die Tariferhöhung erst jeweils mit 1. April wirksam. Was die rein finanzielle Seite betrifft, ist es also durchaus als Kompromiss zu bezeichnen. Aber auf der anderen Seite stehen hier so viele strukturelle Dinge gegenüber, dass der Gesamtabschluss ein für uns durchaus akzeptables Ergebnis ist.

Welches Ergebnis hat einen besonderen Stellenwert?
Also der Gruppenpraxis-Gesamtvertrag ohne Tarifabschläge ist eigentlich das Fundamentalste bei diesen Verhandlungen und auch der Kernpunkt. In Zeiten, in denen eine Kasse finanzielle Schwierigkeiten hat, ist es umso wichtiger, strukturelle Maßnahmen zu setzen wie die Ärzte-GmbH ohne Tarifabschläge.

War das eine Conditio sine qua non?

Ja, das war eine Conditio sine qua non für den gesamten Abschluss.

Glauben Sie, ist es den Ärzten gegenüber vertretbar, dass es 2010 keine Tariferhöhung gibt?

Es gibt eine Honorarerhöhung für 2010 und zwar 2,33 Prozent auf die Honorarsumme des vierten Quartals und das für jeden niedergelassenen Allgemeinmediziner und für jeden allgemeinen niedergelassenen Facharzt.

Normalerweise laufen die Verhandlungen mit der Gebietskrankenkassa mit entsprechendem Getöse ab. Wieso dieses Mal nicht?

Der Zeitpunkt war ein guter. Es hat sicherlich eine Rolle gespielt, dass zehn Tage später in Wien eine Landtagswahl stattgefunden hat und dass der 30. September der letztmögliche Termin für eine Kündigung des Vertrages zum 31. Dezember war. Somit waren beide Seiten daran interessiert, hier zu einem guten Ende zu kommen.

Ein weiteres Novum ist, dass der Vertrag für drei Jahre abgeschlossen wurde. Von wem ist die Initiative dafür ausgegangen?
Das war die Wiener Ärztekammer, weil es uns wichtig war, den Ärzten längerfristig Honorarsicherheit und Planungssicherheit zu geben und nicht jedes Jahr auf’s Neue mit Säbelrasseln und Drohgebärden eine Situation herbeizuführen, die im Endeffekt nur Unsicherheit mit sich bringt.

Nun ist in Wien ja etwas gelungen, worüber auf Bundesebene noch diskutiert wird: und zwar ist die Altersgrenze von 70 Jahren für Kassenvertragsärzte vorerst gekippt worden.

Wir haben das Ganze einmal um acht Jahre verschoben. Das heißt: Bis 1.1.2019 ist das Ganze weg vom Tisch. In der Zwischenzeit werden wir versuchen, österreichweit eine Lösung herbeizuführen. Sollte das nicht gelingen, müssen wir spätestens in fünf Jahren mit der WGKK erneut verhandeln, denn dann könnte die Situation – denken Sie an den absehbaren Ärztemangel – wieder eine ganz andere sein.

Stichwort elektronische Arbeits-Unfähigkeitsmeldung, EAuM: Hier bekommen die Wiener Ärzte erstmals Geld für eine EDV-Leistung, die sie erbringen. Ist das als Signal zu verstehen?

Wir sehen darin einen Meilenstein in der Abgeltung von elektronischen Leistungen. All diese E-Card-Applikationen helfen der Sozialversicherung sparen, kosten der Ärzteschaft aber Geld. Hier war von uns seit jeher die Forderung, dass es zu einer adäquaten finanziellen Abgeltung kommen muss und diese ist mit 1.250 Euro für die EAuM gegeben, noch dazu wo ja die EAuM durchaus eine Erleichterung in der Ordination mit sich bringt.

Wieso gibt es bei der Implementierung der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine dreijährige Übergangsfrist? Das erscheint angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht ganz nachvollziehbar.

Weil die Wiener Gebietskrankenkasse wie auch schon in den letzten Jahren nicht bereit war, im niedergelassenen Bereich entsprechende Strukturen zu schaffen. Das Maximum, das erreichbar war, war jetzt einmal ein Kostenzuschuss für 2011 für die Patienten. Wir haben das weitere Procedere vereinbart, dass bis 2012 einen Tarifkatalog vorsieht und 2013 soll es entsprechende Planstellen geben.

Wo muss unbedingt nachgebessert werden?

Natürlich hätten wir bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie gerne gehabt, dass wir schon nächstes Jahr Kassenplanstellen ausschreiben können. Jetzt haben wir ein Procedere festgelegt. Mehr als dieser Kompromiss war nicht möglich.

Die Details des Vertrages

  • Mit Auszahlung des 4. Quartals 2010 wird ein Honorarzuschlag für alle Allgemeinmediziner und allgemeinen Fachärzte in der Höhe von 2,33 % der abgerechneten Summe zur Anweisung gebracht.
  • Die Tarife der Allgemeinmediziner und allgemeinen Fachärzte sowie der Pathologen werden per 1. 4. 2011 um 2,05% erhöht.
  • Die Tarife der Allgemeinmediziner und allgemeinen Fachärzte, sowie der Pathologen werden per 1. 4. 2012 um 2,05% erhöht. Sollte die Inflationsrate über diesem Wert liegen, werden die Tarife jedenfalls um die Inflationsrate erhöht.
  • Für die Fachgruppen Labor und Radiologie wurden in Absprache mit den jeweiligen Fachgruppen gesonderte Regelungen vereinbart.
  • Die Kosten für die Verwendung der EAuM (Elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung) werden jedem Allgemeinmediziner mit 1.250 Euro abgegolten! Eine Verpflichtung zur Verwendung des EAuM Systems tritt erst mit
    1. 1. 2015 ein!
  • Per 1. 1. 2011 wird ein neuer Gruppenpraxisgesamtvertrag (inkl. Ärzte-GmbH) ohne jegliche Tarifabschläge abgeschlossen!
  • Die 70-Jahres-Altersgrenze für Kassenärzte wurde vorerst bis 2018 verschoben. In der Zwischenzeit soll eine österreichweite, verträgliche Lösung gefunden werden, die auch Ordinationsablöse-Regelungen für Einzel- und Gruppenpraxen beinhalten soll.
  • Die Akontierungs-Prozentsätze der Kassenhonorare werden wie folgt abgeändert:
    1. Monat 50%, 2. und 3. Monat jeweils 25% (bisher 3 x 33%). Damit kommt es zur Erhöhung der Liquidität!
  • Die aktuelle Gesamtzahl der Kassenplanstellen wird jedenfalls bis 2015 nicht mehr reduziert!
  • Ordinationsübergabe: Bei Nichtübernahme des Ordinationsstandortes können Übergeber und Übernehmer bis zu 36 Monate parallel arbeiten.
  • Die Kinderpsychiatrie wird in das Kassensystem beim Wahlarztkostenrückersatz aufgenommen.
  • Eine Taskforce für täglich auftretende Probleme in der Beziehung zwischen WGKK und Ärztekammer wird eingerichtet.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010