Gesundheitskosten: Milliarden Mehrkosten durch kranke Kinder

10.04.2010 | Politik

Die kranken Kinder von heute werden für das Gesundheitssystem von morgen zu einem enormen Problem, wenn nicht rasch gegengesteuert wird, warnte ÖÄK-Präsident Walter Dorner bei einem Pressegespräch in Wien.
Von Kurt Markaritzer

Die Mädchen und Burschen von heute werden durch ihre ungesunde Lebensweise frühzeitig und länger zu Patienten von morgen, und das kommt teuer. Wie groß die künftige Kostenbelastung ist, hat der Gesundheitsökonom Prof. Leo W. Chini von der Wirtschaftsuniversität Wien in einer Studie untersucht. Allein durch die demographische Entwicklung werden die Krankheitskosten in den nächsten 20 Jahren um 7,3 Milliarden Euro steigen; im Jahr 2050 sollen die Mehrkosten bereits bei 11,6 Milliarden liegen. Das ist aber bei weitem nicht alles!

Bei diesen Annahmen ist nämlich nicht berücksichtigt, dass sich der Gesundheitszustand der österreichischen Jugend dramatisch verschlechtert. Deswegen kann man die Zahlen früherer Prognosen nicht einfach fortschreiben: Mit zunehmendem Lebensalter werden die Kinder und Jugendlichen von heute viel krankheitsanfälliger sein und deswegen mehr medizinische Leistungen benötigen. Die Zusatzbeträge, die sich ohne Gegenmaßnahmen ergeben, summieren sich bis 2030 auf 1,6 Milliarden Euro und bis zum Jahr 2050 sogar auf 3,7 Milliarden Euro. Wenn die heutigen Kinder in das Großeltern-Alter eintreten, werden die Mehrkosten für das Gesundheitswesen auf 15,3 Milliarden Euro explodieren.

Die Gefahr ist groß, denn der Gesundheitszustand der Kinder von heute ist katastrophal, stellte Dorner mit drastischen Beispielen dar: „30 Prozent der Wiener Kinder können nicht mehr rückwärts gehen, 60 Prozent sind nicht mehr in der Lage, auf einem Bein zu hüpfen!“ Diese Indizien weisen unübersehbar auf den miserablen körperlichen Zustand der Buben und Mädchen hin. Die Ursachen dafür zeigen Zahlen aus einer Untersuchung der OECD, die Chini vorlegte. Bei entscheidenden Gesundheitsrisiken sind österreichische Jugendliche wesentlich mehr gefährdet als ihre Altersgenossen in anderen Ländern:

  • In Österreich rauchen 24 Prozent der Burschen und 30 Prozent der Mädchen. Im Durchschnitt der OECD-Staaten sind es „nur“ 16 beziehungsweise 17 Prozent.
  • 41 Prozent der männlichen und 36 Prozent der weiblichen Jugendlichen über 15 Jahre trinken regelmäßig Alkohol. Im OECD-Schnitt sind es 33 beziehungsweise 29 Prozent.
  • Vor wenigen Jahren wurde festgestellt, dass 19 Prozent der Burschen und neun Prozent der Mädchen übergewichtig sind; die Situation dürfte sich inzwischen weiter verschlechtert haben. Bei diesem Risikofaktor sind Burschen aus Österreich stärker betroffen als im Durchschnitt der OECD-Länder.
  • 19,6 Prozent der österreichischen Jugendlichen bewegen sich zu wenig und es ist kein Trost, dass es in den anderen Ländern sogar noch geringfügig schlechter ist.
  • 18 Prozent der Burschen und 32 Prozent der Mädchen in Österreich essen zu wenig Obst. Damit liegen vor allem die Burschen besser als ihre Kameraden in der OECD, dennoch ist die Situation mehr als unbefriedigend.

Chini dazu: „Die Jugendlichen müssen gesundheitsbewusster werden, daran führt kein Weg vorbei. Dazu müsste die Gesellschaft positive Signale setzen, in der Realität tut sie aber genau das Gegenteil: Die Zahl der Teilnehmer an Schul-Skikursen hat sich gegenüber früher halbiert, es gibt weniger Turnstunden in den Schulen und das, was in den Schulbuffets an Ernährung zwischendurch angeboten wird, ist meistens auch alles andere als gesund.“ Auf ein weiteres Versäumnis wies Dorner hin: „Die schulärztliche Betreuung in Österreich ist schon in den Volksschulen unzureichend. Auf einen Schularzt kommen 100 Kinder; das ist zu viel. Und auch die Frequenz ist gering: Der Schularzt sieht Volksschulkinder zweimal in vier Jahren, da besteht Aufholbedarf. Ich sage es klipp und klar: In Österreich fehlen 2.000 Schulärzte – und das ist ein Mangel, der sich später einmal bitter rächen wird.“

Dabei sind gerade die Schulen jene Orte, wo Freude an Bewegung und an gesunder Ernährung vermittelt werden könnte, also die wichtigsten Voraussetzungen für einen gesunden Lebensstil, der bei vielen Jugendlichen abhanden gekommen ist. Dabei bietet vor allem der Ausbau der Ganztagsschulen große Chancen, betonte Dorner: „Da wissen die Lehrer ohnedies nicht, wie sie die Schüler die ganze Zeit beschäftigen sollen. Also ist es die ideale Lösung, dass die Burschen und Mädchen Sport betreiben. Und wenn die Lehrer da nicht mittun, dann soll man halt schauen, dass man Trainer von Sportvereinen zur Mitarbeit gewinnt – Hauptsache, die Kinder bewegen sich und sitzen nicht einfach so herum!“ Außerdem sollte einmal wöchentlich eine Stunde Gesundheitserziehung auf dem Lehrplan stehen, die mit einer Ernährungsberatung gekoppelt wird. Das könnten speziell geschulte Ärzte übernehmen. Dorner: „Die Leistung muss man ihnen natürlich abgelten, aber das kann nicht das Problem sein.“ Chini verwies auf die Möglichkeit, eigene Beobachtungsprogramme für übergewichtige Kinder zu entwickeln: „Man müsste ihnen helfen, abzunehmen, und man sollte Anreize für sie schaffen, dass sie da gerne mitmachen.“

Die Kosten für ein Präventionsprogramm für Jugendliche würden sich lohnen, betont der Gesundheitsökonom: „Bis zum Alter von 60 wären die Präventionskosten und Krankheitskosten höher, dafür würden dann die Krankheitskosten bedeutend niedriger werden. Ab dem Alter von 65 Jahren würde dann eine dauerhafte Ersparnis erreicht werden.“ Damit würde nicht nur das Budget entlastet, sondern auch der Arbeitsmarkt. Bis zum Jahr 2050 werden durch Pensionierungen rund 230.000 Arbeitsplätze frei, die nicht zur Gänze nachbesetzt werden könnten, weil bis dahin durch die höhere Krankheitsrate Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und vorzeitiger Tod öfter auftreten werden als jetzt. Wenn es gelingt, die heute jungen Leute länger gesund zu halten, stünden dagegen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung.

„Einmal wöchentlich sollte eine Stunde Gesundheitserziehung auf dem Lehrplan stehen.“
Walter Dorner

„Die Jugendlichen müssen gesundheitsbewusster werden, daran führt kein Weg vorbei.“
Leo W. Chini

Riskante Spardiskussion

Die Präsentation der aktuellen Studie zu den Mehrkosten durch den schlechten Gesundheitszustand der Schulkinder in Österreich nützte ÖÄK-Präsident Walter Dorner zu grundsätzlichen Anmerkungen: „Wir weisen auf diese Problematik auch deswegen hin, weil derzeit allerorten vom Sparen geredet wird. Man spart
bei den Medikamenten, dann spart man bei den Ärzten, dann wieder bei den Spitälern und so weiter. Vor lauter Spargedanken wird aber übersehen, dass in Zukunft auf das Gesundheitssystem noch viel höhere Ausgaben zukommen, wenn nicht sehr rasch Maßnahmen gesetzt werden, um Kinder und Jugendliche
für ein gesünderes Leben zu gewinnen.“

Die Art, in der die Spardiskussion geführt wird, birgt beträchtliche Gefahren, warnte Dorner: „Da werden Masterpläne angekündigt, als ob es sich bei Gesundheit um irgendeine beliebige Ware handelt und nicht um ein Grundbedürfnis – und auch ein Grundrecht – der Menschen. Wir sehen natürlich die schwierige Lage der öffentlichen Finanzen, aber wir sagen auch mit allem Nachdruck: Bei den Leistungen für die Patienten darf es in Zukunft keine Barrieren geben, der Zugang zur Spitzenmedizin muss für alle Personen ungeachtet ihres Alters gewährleistet bleiben!“

Dorner erinnerte in dem Zusammenhang an abschreckende Beispiele aus Großbritannien und Schweden, wo Patienten ab einem bestimmten Lebensalter nicht mehr Behandlungen nach dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens und der medizinisch-technischen Möglichkeiten bekommen, weil sie angeblich zu teuer wären. „Zu solchen Zuständen darf es bei uns nicht kommen.“

Abschied nehmen müsste die Politik auch vom Privatisierungs-Fetischismus, forderte Dorner: „Alles in private Hände zu geben, führt uns direkt auf den Weg in die Drei-, Vier-Klassen-Medizin. Besonders dann, wenn sich die privatisierten Spitäler auf Wellness und ähnliches konzentrieren, schwierige Fälle und die Behandlung ärmerer Menschen, die sich eine Privatklinik nicht leisten können,
aber in die Verantwortung der Öffentlichkeit legen.“

Sparen um jeden Preis sei im Bereich der Gesundheit nicht zielführend, unterstrich Dorner: „Wenn wir das jetzige Niveau der medizinischen Versorgung halten wollen, dann muss man dafür auch Geld ausgeben. Das ist aber eine gute und vernünftige Investition. Erstens bringt sie den Menschen mehr Lebensqualität und zweitens schafft Gesundheit Beschäftigung: Pro Jahr entstehen in diesem Sektor 15.000 neue Arbeitsplätze.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010