Frauen in der Medizin: Verhinderte Flexibilität

25.11.2010 | Politik

In Österreichs Spitälern sind die Ärztinnen auf dem Vormarsch. Ihr volles Potenzial kann aber nicht ausgeschöpft werden, weil es von der Politik nach wie vor verabsäumt wird, ein frauenspezifisches Umfeld – Stichwort Kinderbetreuung und Teilzeitjobs – zu schaffen.
Von Birgit Oswald

Ärztinnen sind in Österreichs Spitälern auf dem Vormarsch. „Immer mehr Frauen entscheiden sich für den Arztberuf. Im Turnus stellen Frauen mit zwei Dritteln der Auszubildenden bereits die überwiegende Mehrheit, in der Spitalsärzteschaft insgesamt ist bereits knapp die Hälfte weiblich, und auch im Medizinstudium sind Frauen nach wie vor stark vertreten“, erklärte der Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte, Harald Mayer, Mitte November bei einer Pressekonferenz in Wien, bei der die Ergebnisse einer repräsentativen IFES-Studie zum Thema präsentiert wurden. Seit den 1990er Jahren ist in sämtlichen Fächern ein enormer weiblicher Zuwachs zu verzeichnen; besonders markant ist der Anstieg im Fach Neurologie und Psychiatrie – waren 1990 noch 28,9 Prozent weiblich, sind es 2009 bereits 43,6 Prozent gewesen.

Neben den statistischen Fachverteilungen gehen aus der IFES-Studie aber noch weitere markante Details hervor. Demnach wird Spitalsärztinnen ein hohes Maß an „Soft skills“ zugeschrieben. „Frauen zeigen mehr Einfühlungsvermögen und Geduld, sie können besser zuhören und stellen mehr Fragen als Männer“, erklärte Mayer. Diese spezifisch weiblichen Qualitäten könnten sich aber angesichts der unflexiblen Arbeitsorganisationen kaum entfalten, wie IFES-Projektleiter Georg Michenthaler hinzufügte: „In der Analyse der Situation von Spitalsärztinnen fällt auf, dass traditionell weibliche Rollenbilder, Werthaltungen und Arbeitsorientierungen in Konflikt geraten mit starren und hierarchischen Arbeitsorganisationen.“ Neun von zehn der 849 befragten Ärztinnen gaben an, dass es ihnen sehr oder eher wichtig sei, für andere Menschen beziehungsweise die Gesellschaft nützlich zu sein. Grundvoraussetzung, um als Ärztin tätig zu sein, ist neben dem Nutzen für ihre Mitmenschen auch die Freude an der Arbeit, sagen die Teilnehmerinnen an der Studie. Aspekte der materiellen Absicherung oder Karriere treten in den Hintergrund.

Trotz des stetig steigenden Frauenanteils fehlen immer noch familienfreundliche Dienstzeiten und hausinterne Kinderbetreuungsplätze. „Mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 54 Stunden ist es fast schon unmöglich, sich neben dem Beruf auch noch einer Familie zu widmen. Wir brauchen flexiblere Arbeitszeitmodelle – ansonsten werden engagierte junge Ärztinnen gezwungen, sich zwischen Karriere und Familie zu entscheiden. Unser Ziel muss es aber sein, beides zu vereinen“, betonte Mayer.

Die Wurzel des Problems liege laut Katharina Gordon, stellvertretende Kurienobfrau der Kurie angestellte Ärzte, in der Ausbildung. Es müssten intelligente Arbeitszeitmodelle geschaffen werden, damit Familie nicht zum Karrierehindernis für junge Frauen werden kann. Besonders betroffen seien Alleinerzieherinnen, die ohne den Rückhalt eines Partners noch leichter den Anschluss verlieren. Eingeschränkte Kindergartenöffnungszeiten erschwerten diese Situation zusätzlich. Viele Mütter seien durch Umwege am Morgen zu anderen Kinderbetreuungsstätten zusätzlich belastet und können daher Entscheidungsprozessen, wie etwa der morgendlichen Diensteinteilung, nicht beiwohnen, folglich seien sie benachteiligt.

Immerhin werden mittlerweile Teilzeitstellen angeboten, in der jetzigen Form seien diese auf Grund finanzieller Nachteile aber nicht akzeptabel. Das Problem sei hierbei die ärztliche Gehaltsstruktur, die großteils auf Überstunden und Nachtdiensten basiert. Für Teilzeitarbeitskräfte kommen diese Arbeitszeiten kaum in Frage. „Es genügt nicht, einfach mehr Teilzeitstellen zu schaffen, wenn die Entlohnung nicht passt“, kritisierte Gordon. Die durchschnittlichen 4,3 Nachtdienste pro Monat seien ohnedies schwer mit einer Familie zu vereinbaren. „24 Prozent arbeiten im Schnitt mehr als die gesetzlich limitierten 60 Stunden pro Woche, 32 Prozent kommen gar auf mehr als 72 Wochenstunden Maximalarbeitszeit im letzten Halbjahr. Das ist zwar eine klare Verbesserung zu 2006, aber immer noch viel zu hoch“, stimmten Mayer und Gordon überein. Außerdem wurde die Forderung, die maximal zulässige Dienstdauer auf 25 Stunden zu reduzieren, laut: „79 Prozent der Spitalsärztinnen sprechen sich dafür aus; ihre männlichen Kollegen befürworten diese Beschränkung zu 71 Prozent. Dieses Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Für Frauen ist eine unverhältnismäßig lange Dienstdauer belastender als für Männer. Es ist Zeit, dagegen etwas zu unternehmen“, appellierte Mayer.

Spitzenpositionen in männlicher Hand

Überraschend erscheint aufgrund der Fakten auch kaum, dass Frauen in Spitzenpositionen immer noch unterrepräsentiert sind. Der weibliche Anteil der Primar-Ärzte erreicht nicht einmal die Zehn-Prozent-Marke. Dabei wäre weibliches Potenzial zu Genüge vorhanden, sagt Gordon: „Wir haben genügend fähige Frauen, die auch das Zeug zur Primarärztin hätten. Aber viele nehmen zugunsten der Familie einen Karriereknick in Kauf. Insgesamt könnten flexiblere Arbeitszeiten und die Einrichtung geeigneter Kinderbetreuungsstätten hier viel bewirken.“

Trotz der verbesserungswürdigen Umstände sind Ärztinnen sehr leistungsbereit. 74 Prozent befürworten eine vermehrte Leistungssteigerung in den Ambulanzen durch das medizinische Personal, vorausgesetzt, der Personalstand wird erhöht. 70 Prozent sind laut Umfrage sogar bereit, ambulante medizinische Leistungen außerhalb des Spitals – freiberuflich oder in Kooperation mit niedergelassenen Kollegen – zu erbringen. Michenthaler meinte darin auch den Wunsch nach mehr Autonomie zu erkennen. „Unseren Spitalsärztinnen ist sehr an der Gesundheit der Bevölkerung gelegen, sie sind mit Engagement und Begeisterung bei der Sache. Es liegt jetzt an der Politik, in unseren Spitälern ein frauenspezifisches Umfeld zu schaffen, um das Potenzial der Spitalsärztinnen voll auszuschöpfen“, forderte Mayer abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2010