Frauen in der Medizin: Karriere ohne Knick?

10.11.2010 | Politik

Mittlerweile ist die Medizin fest in weiblicher Hand: Den Weg ganz nach oben schaffen jedoch nur wenige. Es liegt vor allem an den Rahmenbedingungen, künftig die Karrierechancen von Frauen in der Medizin zu erleichtern.
Von Birgit Oswald

Mehr als 60 Prozent der Turnusärzte sind Frauen. Im Facharztbereich sind Frauen mit 32,4 Prozent zwar noch nicht gleichermaßen wie ihre männlichen Kollegen vertreten, jedoch ist der weibliche Anteil in den letzten 20 Jahren um 8,3 Prozent gestiegen.

Obwohl die Mehrheit der Mediziner Frauen sind, sind speziell in Spitzenpositionen wenige Frauen zu finden, wie Katharina Gordon, Obfrau der Bundessektion Turnusärzte der Österreichischen Ärztekammer, feststellt. Grund dafür sei unter anderem die Problematik, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen. „Das System verlangt viele Überstunden und Nachtdienste, das ist für Frauen mit Kindern oder Alleinerzieherinnen sehr schwierig zu bewältigen“, sagt Gordon. Immerhin gibt es schon Modelle, die Müttern eine medizinische Karriere erleichtern sollen. In einigen Krankenanstalten werden demnach Teilzeit- oder Halbtagsstellen auch im Ausbildungsbereich angeboten; problematisch sei hier allerdings die Besetzung ganzer Stellen durch Halbtagskräfte. Folglich fehlt im Team eine halbe Arbeitsstelle, wodurch sich der Arbeitsdruck für das ganze medizinische Personal erhöht, wie Gordon erklärt. In extremen Fällen könne es sogar bis zu Mobbing von Seiten der Kollegen kommen, weil Verständnis für die Situation der Betroffenen fehle.

Auch Univ. Prof. Brigitte Lohff, Gender-Expertin und Medizinhistorikerin der Medizinischen Hochschule Hannover, hält diese Problematik für ein großes Karrierehindernis: „Die Arbeitszeiten mit den vielen Nachtdiensten sind für Ärztinnen mit Familie schwierig. Durch die Doppelbelastung sind sie oft nicht an großen Forschungsprojekten beteiligt oder bekommen keine Leitungsfunktion in Kliniken.“

Die Statistik scheint die Problematik zu bestätigen: Während etwa 1.128 Männer eine Stelle als Primarius innehaben, sind nur 118 Frauen und somit weniger als zehn Prozent in dieser leitenden Funktion tätig. Im universitären Bereich sind Frauen nur in geringem Maße besser vertreten: Auf 1.209 Universitätsprofessoren kommen 179 Professorinnen. Das entspricht einem prozentuellen Anteil von 12,9 Prozent. „Während 131 Frauen an staatlichen Universitäten einer Dozenten-Tätigkeit nachgehen, bekleiden 607 Männer dasselbe Amt. Demnach beträgt der weibliche Anteil an Dozenten 17,8 Prozent. Im privatuniversitären Bereich beträgt die Dozentinnenquote zumindest 30 Prozent“, sagt Anton Sinabell, Leiter der Abteilung für Statistik in der Österreichischen Ärztekammer.

Um mehr Frauen den Weg zu medizinischen Spitzenpositionen zu erleichtern, bieten spezielle Vereine Mentoring-Programme an. „Es ist sinnvoll, sich von Frauen unterstützen zu lassen, die den Weg schon gegangen sind. Hier gibt es gute Netzwerke. Auch Frauenreferate mancher Länderkammern setzen sich aufgrund des hohen Frauenanteils für Medizinerinnen ein“, sagt Gordon. Dabei würden medizinhistorisch relevante Vorbilder für Frauen eine geringere Rolle spielen als für Männer. Während Männer Idole wie etwa den französischen Hämatologen und Onkologen Jean Bernard zum Vorbild nahmen, sind solche Vorreiterinnen für Frauen weniger relevant, wie Lohff meint: „Bei Frauen ist es schwierig zu sagen, welche Medizinerinnen historisch gesehen einen nachhaltigen Effekt hatten. Sie bekamen oft keine Kassenzulassung, setzten sich oft als Armen-Ärztinnen ein, sind in den Kliniken nie prominent hervorgetreten und kamen nicht in leitende Positionen. Sie wirkten eher im kleinen Kreis und haben anderen Frauen bestätigt, dass es überhaupt möglich ist, Ärztin zu werden.“ Zwar seien Medizinerinnen wie Gabriele Possanner von Ehrenthal, die 1897 als erste Frau in Wien promovierte, oder ihr deutsches Pendant Franziska Tiburtius vielen ein Begriff, motiviert würden Frauen den Aussagen von Lohff zufolge aber weniger durch große historische Figuren, sondern durch Ärztinnen, die ihre Berufung lebten und anderen Frauen ihre Möglichkeiten aufzeigten.

Fachärztinnenquote steigt

Seit Frauen als Ärztinnen tätig sind, hat sich die Vereinbarkeit von Familie, Schwangerschaft und Beruf auch auf die Wahl des Faches ausgewirkt „Viele Ärztinnen wählten bislang Fachgebiete, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie leichter machte wie etwa eine Tätigkeit als Schulärztin oder bei einer Behörde,“ so Lohff.

Dennoch wagen sich immer mehr Frauen an typisch männlich besetzte Fachgebiete, so stieg etwa in der Dermatologie die Frauenquote von 1990 bis 2009 von 31,5 Prozent auf 47,7 Prozent. Im selben Zeitraum gewann die Gynäkologie ganze 23,2 Prozent weiblicher Fachärztinnen dazu; somit waren im Jahr 2009 36,8 Prozent aller Frauenärzte weiblich. Und selbst in Fachrichtungen, die immer noch über eine niedrige Frauenbeteiligung verfügen, erhöhte sich der weibliche Andrang in den letzten 20 Jahren immens. „In der männlich dominierten Unfallchirurgie stieg der Frauenanteil von 2,6 Prozent auf 10,4 Prozent. In der HNO gibt es einen Zuwachs von 16,8 Prozent. Auch in der Urologie und Chirurgie sind die Anteile jeweils um 8,7 Prozent gestiegen“, wie Sinabell erklärt.

Gordon sieht die derzeitige Entwicklung zwar optimistisch, eine Systemverbesserung sei aber auch in ihren Augen unumgänglich: „Durch immer bessere Ausbildungsmodelle wird es auch immer besser möglich, eine Facharztausbildung anzugehen und somit zur guten Fachärztin zu werden. Allerdings braucht es noch sehr viel Fingerspitzengefühl, um das so umzusetzen, wie die Ausbildungsstellen konzipiert sind.“

Rahmenbedingungen ändern

Verbesserungen seien vor allem im Bereich der Ausbildungsmodelle und Halbtagsstellen angebracht, um eine Facharztkarriere für Frauen zu erleichtern. Vor allem für ausreichende Kinderbetreuung müsste gesorgt werden, wie Lohff und Gordon übereinstimmend feststellen. Nicht jede Krankenanstalt verfügt über hausinterne Kindergärten beziehungsweise über genügend Kinderbetreuungsplätze. Den Nachwuchs vor dem Dienst in eine entfernte Betreuungseinrichtung zu bringen und danach wieder abzuholen, sei eine zusätzliche Belastung für Ärztinnen. „Es muss gesichert sein, dass die Kinder während der Dienstzeit gut versorgt sind, damit eine vollständige Konzentration auf die Arbeit gesichert ist. Deshalb müssen die Kindergartenplätze dringend aufgestockt werden“, so Gordon.

Weiters müsse über finanzielle Aspekte diskutiert werden, ein besseres Grundgehalt der 40 Stunden-Woche sei unumgänglich. Viele Frauen würden Gordon zufolge aus rein finanziellen Gründen eine Halbtagsstelle ablehnen und in eine Ganztagsstelle gezwungen werden. Hier sei vor allem der Arbeitgeber gefragt, um individuelle Lösungen für die jeweilige Situation anzubieten. Diese seien „lobenswerterweise“ (Gordon) immer mehr bemüht, geeignete Modelle zu schaffen.

Auf dem Weg nach oben herrsche den Aussagen von Gordon zufolge aber immer noch keine vollständige Gleichbehandlung der Geschlechter. Von Frauen werde eine bessere Leistung erwartet als von Männern, um dieselbe Position zu erreichen. „Oft ist es so, dass Frauen mehr leisten müssen als Männer, um eine Stelle zu bekommen. Je höher die angestrebte Position, umso wichtiger ist dieser Aspekt“, so Gordon. Sie selbst habe diese Erfahrung bisher aber nicht machen müssen. Dennoch hätten viele ihrer Kolleginnen mit derartigen Problemen zu kämpfen. Auch Lohff hält diesen Aspekt für relevant: „Bei der Promotion gibt es keinen Geschlechterunterschied. Problematisch wird es erst, wenn Frauen Karriere machen wollen, wenn etwa eine Assistenzärztin eine Oberarztstelle möchte. Familie und Beruf miteinander zu verknüpfen geht nur mit großer Bereitschaft, eine doppelte Belastung auf sich zu nehmen. Das wird von Männern in diesem Ausmaß nicht verlangt.“ Somit liege es ihrer Ansicht nach vor allem an den Rahmenbedingungen, um künftig die Karrierechancen von Frauen in der Medizin zu erleichtern.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2010