Facharztprüfung: Kühler Kopf bei heißen Fragen

25.01.2010 | Politik

Wer in Österreich Facharzt werden will, muss sich einer gesetzlich vorgeschriebenen Prüfung unterziehen. Was die Kandidaten dabei erwartet, hat die ÖÄZ bei einem Lokalaugenschein in Salzburg festgestellt. Von Kurt Markaritzer   

Er hätte drei Stunden Zeit gehabt, aber nach knapp 150 Minuten verließ der junge Arzt das Hörsaalzentrum der Universitätsklinik in Salzburg, in der Hand den Pullover, den er im Hörsaal ausgezogen hatte. „Bei den 100 Fragen bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Da war es mir mit dem Pulli viel zu heiß!“, lachte er, sichtlich erleichtert, dass er den ersten Teil der großen Herausforderung hinter sich hatte.

Der junge Mann war einer von 25 Kandidatinnen und Kandidaten, die beim traditionellen Dezembertermin zur Gesetzlichen Facharztprüfung für Chirurgie angetreten sind, die von der Österreichischen Ärztekammer gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie durchgeführt wird. Der Vorsitzende der Prüfungskommission, Univ. Prof. Hans-Werner Waclawiczek: „Die Prüfungen finden zweimal jährlich – einmal im Mai/Juni und das zweite Mal im Dezember – im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung der Gesellschaft statt.“ Die Chirurgie hat als Prüfungsfach übrigens große Tradition: Lange ehe die Facharztprüfungen in Österreich gesetzlich vorgeschrieben wurden – das war im Jahr 2002 – hatte die Gesellschaft für Chirurgie bereits Prüfungen auf freiwilliger Basis veranstaltet. 30 bis 40 Prozent der angehenden Chirurgen unterzogen sich damals dem Prüfungsstress, obwohl sie es nicht hätten tun müssen.

Auf diesen Erfahrungen aufbauend wurde in Zusammenarbeit mit der österreichischen akademie der ärzte von der Fortbildungsakademie der Gesellschaft für Chirurgie, die Waclawiczek leitet, ein Prüfungsschema entwickelt, das bis heute gültig ist und zwei Prinzipien verfolgt: Die Prüfung soll das Wissen und Können der Kandidaten möglichst präzise und zuverlässig feststellen, sie soll aber auch fair und möglichst objektiv sein. Um diese Voraussetzungen zu garantieren, besteht die Prüfung aus zwei Teilen.

Teil eins ist eine dreistündige schriftliche Prüfung, in der 100 Fragen nach dem Multiple Choice Prinzip beantwortet werden müssen. Jede richtige Frage bringt zwei Punkte. Die Mindestpunkteanzahl, um die schriftliche Prüfung positiv abzuschließen, ist 150; es müssen also zumindest 75 Prozent der Fragen richtig beantwortet werden. Der Themenbereich ist weit gestreut und umfasst nicht nur die Chirurgie, sondern beispielsweise auch Urologie oder Unfallchirurgie. Waclawiczek: „Wir wollen stichprobenartig alles testen, womit ein Chirurg an einem ganz normalen Arbeitstag konfrontiert werden kann.“ Den Prüfern stehen insgesamt rund 800 Fragen zur Verfügung, die ständig aktualisiert und auf den neuesten Stand des Wissens gebracht werden und aus denen sie jene 100 auswählen, welche die Prüflinge beantworten müssen.

Die Zusammenstellung der Fragen ist alles andere als einfach, schließlich wird bei der Prüfung berücksichtigt, dass die Kandidaten über sehr unterschiedliche Berufserfahrungen verfügen: Einige kommen von spezialisierten Universitätskliniken, andere von Peripheriekrankenhäusern mit sehr vielfältigen Anforderungen. Der Prüfungsvorsitzende: „Natürlich müssen wir auch einen Kandidaten von einem kleinen Krankenhaus zum Thema Transplantation befragen – aber in einem vernünftigen Verhältnis zu den Erfahrungen, die er mitbringt und die er in Zukunft vermutlich noch machen wird.“

Insgesamt haben die Kandidaten 180 Minuten Zeit, die Fragen zu beantworten. Handys müssen vorher abgegeben werden, sie sind während der Dauer der Prüfung verboten, und auch sonst gibt es faktisch keine Möglichkeit, durch Schwindeln ein besseres Ergebnis zu erzielen: Wer Facharzt werden will, muss sich auf sein eigenes Wissen und Können verlassen.

Die Ergebnisse des schriftlichen Tests stehen bald nach der Prüfung fest; sie werden den Kandidaten aber nicht mitgeteilt, um sie vor der am nächsten Tag stattfindenden mündliche Prüfung nicht zu beeinflussen. Um diese mündliche Prüfung kümmern sich besonders die Stellvertreter von Waclawiczek, die Universitätsprofessoren Wolfgang Feil und Johann Pfeifer. Feil: „Um die Prüfung zu objektivieren, greifen wir auf ein System zurück, das in Kanada entwickelt wurde. Wir haben diese strukturierte mündliche Prüfung für unsere Zwecke adaptiert. Das Ziel ist es, nicht nur das Faktenwissen, sondern auch die Fertigkeiten und das Verhalten der Kandidaten in verschiedenen Situationen zu überprüfen.“

Das geschieht in einem Rotationsbetrieb mit verschiedenen Stationen, bei denen die angehenden Chirurgen spontan vor Herausforderungen gestellt werden, die im Krankenhaus jeden Tag vorkommen können. Feil: „Wir testen beispielsweise, wie sich der junge Arzt im Gespräch mit Angehörigen verhält oder wie er mit dem Patienten über seine Krankheit und die notwendige Behandlung spricht.“ Einigermaßen unerwartet kommt für die Kandidaten auch eine Station, wo eine heikle Situation simuliert wird: Sie erhalten bei Dienstantritt den Besuch eines Rechtsanwalts, der sich über vermeintliche Behandlungsfehler beschwert. Waclawiczek: „Die Prüfer achten sehr genau darauf, wie sich die Kandidaten bei den vielfach ungerechten Vorwürfen verhalten, schließlich kann so etwas im Spital jeden Tag vorkommen.“

Beim Prüfungstermin im vergangenen Dezember mussten die angehenden Chirurgen ihre manuellen Fähigkeiten demonstrieren und einen Schweinedarm zusammennähen. Eine eigene Station war der sorgsamen Wundversorgung – dem VAC-System – gewidmet und eine weitere dem Erkennen von Krankheiten anhand von Röntgenbildern auf einem Laptop. Insgesamt dauert die mündliche Prüfung immer eine Stunde, wobei für jede Station gleich viel Zeit vorgesehen ist.

Die Prüfer bewerten das Verhalten der Kandidaten mit einem Punktesystem und auch dabei gilt, dass 75 Prozent der maximal möglichen Punktezahl erreicht werden müssen. Wer diese Grenze erreicht oder überschritten hat, darf noch im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung jubeln: Am Nachmittag des zweiten Tages werden von der Gesellschaft Dekrete über die bestandene Prüfung überreicht – und dann wird gefeiert! Gejubelt und gefeiert wird später noch einmal: dann, wenn jeder Kandidat das offizielle ÖÄK-Zertifikat von der österreichischen akademie der ärzte erhalten hat. Denn mit der Facharztprüfung hat der Kandidat eine der drei notwendigen Voraussetzungen für die Anerkennung als Facharzt (72 Ausbildungsmonate, Rasterzeugnis, Facharztprüfung) erbracht.

Dieses Erfolgserlebnis haben mittlerweile die meisten, die zur Prüfung antreten. Waclawiczek: „Als die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung eingeführt wurde, sind noch etwa 30 Prozent durchgefallen, jetzt sind es nur noch ganz wenige. Es hat sich herumgesprochen, dass man für die Prüfung auch lernen muss …“ Das können die Kandidaten insbesondere anhand von vorgegebenen Literaturlisten tun, mit denen sie ihr Wissen auffrischen.

Wenn die Prüfung beim ersten Mal nicht gelingt, ist das noch kein Beinbruch: Sie kann problemlos beim nächsten Termin sechs Monate später wiederholt werden. In dem Zusammenhang ein Geheimtipp des Prüfungsvorsitzenden: „Die Ausbildung zum Chirurgen dauert bekanntlich 72 Monate, zur Prüfung darf man aber schon nach dem 56. Ausbildungsmonat antreten. Man sollte die Prüfung möglichst frühzeitig machen, denn wenn dabei etwas schiefgeht, kann man das beim nächsten Mal korrigieren und verliert keine Zeit. Man schafft den Abschluss immer noch innerhalb der Ausbildungszeit.“ 


Wichtiger Beitrag zur optimalen Qualität

„Die Prüfungen der angehenden Fachärzte sind ein wertvoller Beitrag zur Qualitätssicherung im österreichischen Gesundheitswesen“, sagt Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich sowie Leiter des Bildungsausschusses und der Prüfungskommission Facharztprüfung der ÖÄK. „Schließlich soll durch die Prüfung festgestellt werden, ob die Kandidaten in der Lage sind, ihre zukünftige Arbeit kompetent auszuführen oder nicht.“ Damit diese Feststellung möglichst objektiv erfolgt, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Die Prüfungsinhalte müssen für das Fach repräsentativ, zudem wissenschaftlich korrekt und für die ärztliche Tätigkeit relevant sein. Und sie müssen sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren, welche auf den hohen Qualitätsstandard in der ärztlichen Versorgung vertraut.

Es war keine einfache Aufgabe, alle diese Voraussetzungen in den insgesamt 45 Sonderfächern zu schaffen, in denen Facharztprüfungen abgelegt werden können, schließlich reicht das Spektrum von Anästhesiologie und Intensivmedizin bis Virologie. Die österreichische akademie der ärzte hat deshalb im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer gemeinsam mit den wissenschaftlichen Fachgesellschaften der einzelnen Sonderfächer und in Zusammenarbeit mit der „Besonderen Einrichtung für medizinische Aus- und Weiterbildung“ der Medizinische Universität Wien Grundlagen für die Facharztprüfungen erarbeitet, die dann von den Fachgesellschaften ausgestaltet wurden.

Die Art, wie die Prüfungen in Österreich durchgeführt werden, findet international Anerkennung. So kamen zur jüngsten Facharztprüfung in Chirurgie Beobachter aus Polen angereist, um Erfahrungen für den Aufbau eines Prüfsystems in ihrer Heimat zu sammeln.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2010