Ethik-Symposium: Autonom im Alter

10.06.2010 | Politik

Mit dem geriatrischen Patienten und den Möglichkeiten zur Selbstbestimmung im Alter befasste sich ein Ethik-Symposium in Wien. Dabei standen Sachwalterschaften im Mittelpunkt der Diskussion.
Von Birgit Oswald

„Selbstbestimmung im Alter ist wichtig, da wir in unserer Zeit immer mehr dehumanisieren. Wir müssen wieder rehumanisieren, um im Alter autonom sein zu können“, betonte ÖÄK-Präsident Walter Dorner in seinem Eingangs-Statement eines Ethik-Symposiums der Ärztekammer Wien. Zustimmend äußerte sich auch Michael Peintinger, Leiter des Ethik-Referates in der Wiener Ärztekammer und meinte, dass Selbstbestimmung nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Arzt ausschlaggebend ist. „Arzt und Patient können nur dann auf gleicher Augenhöhe sein, wenn beide selbstbestimmt sind. Erst die Autonomie beider Akteure sichert die Partnerschaft“, so Peintinger. Die Selbstbestimmung habe für beide Partner eine Schutzfunktion, die sowohl Arzt als auch Patient vor heteronomen Entscheidungen, die in Interessen anderer stehen, bewahre. „Durch Fürsorge und Pflege kann die Selbstbestimmung des Patienten und unsere eigene Autonomie gefördert werden. Der dadurch entstehende Werte-Widerhall in uns selbst schützt uns etwa vor Burnout“, so Peintinger. Einschränkungen der Selbstbestimmung sieht er im Verlust der Sehkraft, des Hörvermögens oder Auffassungsvermögens gegeben, die vom Arzt beachtet werden müssen. „Der Arzt muss auch bedenken, dass alte Menschen in einem paternalistischen System aufgewachsen sind und es für sie oftmals ungewohnt ist, bei medizinischen Entscheidungen miteinbezogen zu werden“, fügt Peintinger hinzu. Er schlägt deshalb vor, diese Altersgruppe vorsichtig an die Selbstbestimmung heranzuführen, um eine Überforderung zu vermeiden.

In seinem Vortrag befasste sich Konrad Kubiczek, Bezirksrichter am Bezirksgericht Hernals, mit den Regelungen der Sachwalterschaften bei geriatrischen beziehungsweise entscheidungsunfähigen Patienten. Ein Sachwalterschafts-Verfahren kann mit einem Antrag des Betroffenen oder mit dem von Angehörigen sowie dem behandelnden Arzt beginnen. Voraussetzung für ein Verfahren ist die geistige Behinderung oder psychische Erkrankung des Klienten. „Häufig stehen medizinische Behandlungen an, die dringend durchgeführt werden müssen, oder ein Pflegeheim-Vertrag muss unterschrieben werden. Es kommt auch vor, dass Patienten wegen Verwahrlosung oder Spielsucht nicht mehr fähig sind, selbst zu entscheiden“, so Kubiczek.Liegt keine Vorsorgevollmacht oder verbindliche Patientenverfügung vor, kommt es zu einer Erstanhörung vor Gericht. Auf diesem Weg kann sich der Richter einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen verschaffen. Gibt es einen Sachwalter, wird nach Möglichkeit ein Angehöriger für dieses Amt bestellt; falls dies nicht möglich ist, vertritt ein Sachwalter des Gerichts den Betroffenen, der dessen Interessen so authentisch wie möglich vertreten soll. Kubiczek betont, dass bei einer Sachwalterschaft das Wohl des Betroffenen im Mittelpunkt steht und die Lebensqualität des Patienten gesteigert werden soll. Eine mündliche Verhandlung, bei der neben Richter auch die Betroffenen selbst sowie medizinische Sachwalter und der eigentliche Sachwalter anwesend sind, folgt einige Monate danach. „In diesem Verfahren wird beschlossen, ob die Sachwalterschaft eingestellt werden kann oder weitergeführt werden muss. Ein Bericht darüber, ob die Sachwalterschaft noch notwendig ist, kann vom Richter aber immer eingeholt werden“, klärt Kubiczek auf.

Fälle, in denen der Einsatz eines Sachwalters problematisch sein kann, zeigt Peter Vitecek, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie am SMZ Baumgartner Höhe in Wien, anhand eines Beispiels auf: „Eine 82-jährige Patientin, die an
depressiven Episoden leidet, sich von diesen aber immer wieder erholt, trennt sich in ihren manischen Phasen von all ihren Besitztümern. Da die Patientin in dieser Verfassung nicht entscheidungsfähig wirkt, wird ein Sachwalter bestellt, der ihre Wohnung verkauft. Die Betroffene wird anschließend in ein Pensionistenheim übersiedelt. Nach einer Behandlung mit Antidepressiva verschwinden ihre manischen Symptome, das Hab und Gut ist allerdings bereits verkauft“. Vitecek betont, dass bei Unklarheiten, ob der Betroffene entscheidungsfähig ist oder nicht, eine Überprüfung durch einen Arzt oder Facharzt für Psychiatrie notwendig ist. „Zweifel sind zum einen bei einer Bewusstseinsstörung, bei psychischen Erkrankungen und Krankheiten wie Demenz, Delir, und Bewusstseinsstörungen nach somatischen Erkrankungen, zum anderen bei affektiven und schizophrenen Störungen gegeben. Auch Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie psychosewertige Störungen können die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigen“, erklärt Vitecek. Geriatrische Patienten sind nach Aussagen des Experten deshalb of schwer im Hinblick auf ihre Entscheidungsfähigkeit einzuschätzen, weil im Alter ein gewisser „Eigensinn“ entwickelt wird. „Persönliche Eigenschaften verschärfen sich dann oft. Genaue Menschen werden pedantisch, sparsame geizig und vorsichtige misstrauisch“, beschreibt Vitecek. Um als entscheidungsfähig zu gelten, müssen die Betroffenen vernünftig werten, beurteilen und nach ihren individuellen Kriterien entscheiden können. Die Gedächtnisfunktionen und die Konzentrationsfähigkeit müssen erhalten sein.

Dreistufiger Prozess

„Der Entscheidungsprozess läuft über drei Stufen ab: Nach der Aufklärung folgt der Verarbeitungsprozess, bevor anschließend eine Entscheidung getroffen wird. Viele geriatrische Patienten entscheiden sich sehr schnell, weil sie es nicht aushalten, sich nicht zu entscheiden“, sagt Vitecek. Der Entscheidungsprozess soll aber nicht linear ablaufen, sondern im optimalen Fall dialogisch. Eine mündliche Einverständnis-Erklärung nach einer adäquaten Aufklärung genügt allerdings, um eine Behandlung beginnen zu können. Allgemeine Aspekte zum geriatrischen Patienten präsentierte Andreas Wehrmann, Facharzt für Innere Medizin am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien. Geriatrische Betreuung bedeutet für ihn, kurative, rehabilitative, präventive, palliative und soziale Aspekte in die Fürsorge einzubeziehen. „Alte Menschen müssen in allen Dimensionen wahrgenommen werden. Das ist der Weg zu einer patientenorientierten Medizin“, sagt Wehrmann. Er definiert den geriatrischen Patienten durch die Merkmale der Instabilität, Immobilität, Inkontinenz und den intellektuellen Abbau, weshalb er einer besonderen Fürsorge bedarf. Deshalb soll gleich bei der Aufnahme des Patienten mit einer Remobilisierung begonnen werden. Auch Nebenerkrankungen sollen genauso wie die Haupterkrankung in die Behandlung mit einbezogen werden. Um neuere Verletzungen zu vermeiden, schlägt Wehrmann vor, Sturzprävention und Mobilitätstests durchzuführen. „Beim geriatrischen Patienten muss immer beachtet werden, dass die Lebensqualität des Patienten bei allen Schritten immer im Vordergrund steht“, so Wehrmann abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010