Enquete im Ländle: Ärzte an den Grenzen

25.03.2010 | Politik

Hochmotivierte Ärzte, die unter schwierigsten Rahmenbedingungen arbeiten müssen und dabei ihre Gesundheit gefährden – so sieht der Alltag in den Spitälern aus, hieß es bei der Enquete „Ärzte an den Grenzen“ Mitte März in Dornbirn.
Von Kurt Markaritzer

Die zunehmenden Verwaltungsund Dokumentationsaufgaben, zu lange Arbeitszeiten und überfüllte Ambulanzen erschweren die tägliche Arbeit der Spitalsärzte“, erklärt Burkhard Walla, Kurienobmann der angestellten Ärzte in Vorarlberg. Diese Arbeitsbedingungen drücken auf die Stimmung der Mediziner, wie repräsentative Tiefeninterviews mit 24 Ärzten in den Krankenhäusern Bregenz, Dornbirn, Hohenems, Rankweil, Feldkirch und Bludenz belegen. Das Ergebnis: Die Vorarlberger Spitalsärzte sind mit ihrer derzeitigen Arbeitssituation nur mittelmäßig zufrieden. Nur wenige glauben, dass sich in Zukunft etwas bessern wird, die Mehrheit befürchtet eher Verschlechterungen.

Die aussagestarke Umfrage war einer der zentralen Punkte bei der Enquete „Ärzte an den Grenzen“ in Dornbirn. Burkhard Walla: „Wir haben mit renommierten Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen die Zukunft des Vorarlberger Spitalswesens diskutiert. Denn eines ist klar: Die jetzigen Zustände sind auf Dauer für die Ärzteschaft, aber auch für die Patienten unzumutbar.“

An Diskussionsthemen mangelte und mangelt es nicht. „Störfaktor Nummer 1 bei der Arbeit der Spitalsärzte ist die immer stärker werdende Administration und die damit verbundene ‚Sekretariatsarbeit‘, die der Arzt erledigen muss“, berichtet Jutta Zorn-Schnötzinger, Geschäftsführerin des Marktforschungsinstituts Brainpool, das die Untersuchung durchgeführt hat. Simon Mayer, Sprecher der Vorarlberger Turnusärzte, bringt ein konkretes Beispiel für unnötigen Aufwand: „Dienstzettel müssen immer noch händisch geschrieben werden.“ Administrative Aufgaben dieser und anderer Art nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, die den Ärzten für die medizinische Versorgung der Patienten, für Aufklärungsgespräche, für Absicherung von Untersuchungen, aber auch für die Ausbildung der Turnusärzte fehlt. 

Ein weiteres wesentliches Problem sind die Dienstzeiten. Nur sieben der 24 Ärzte sind mit ihnen einverstanden, für die Mehrzahl ist die Grundarbeitszeit, die wegen der Pauschalierung 48 Stunden beträgt, zu hoch. Außerdem werden Überstunden kaum abgegolten – weder in Zeit noch in Geld. Auch mit der Nachtdienstregelung sind die heimischen Spitalsärzte unzufrieden: Die durchgehende Arbeitszeit von bis zu 26 Stunden – im Gegensatz zum Pflegepersonal haben Ärzte keinen Wechsel nach zwölf Stunden – wird von vielen als zu lang oder gar als verantwortungslos empfunden. Sechs bis sieben Mal pro Monat müssen Vorarlbergs Spitalsärzte Nachtdienst leisten, was vor allem für Ärzte über 45 Jahren eine enorme Belastung mit sich bringt. Reinhard Germann, Leiter der Anästhesie und Intensivmedizin am Landeskrankenhaus Feldkirch: „Verlängerte Dienste – beispielsweise 24 bis 36 Stunden am Stück unter der Woche, 49 Stunden am Wochenende – können auf arbeitsintensiven Abteilungen nicht mehr gesetzeskonform erbracht werden. Aufgrund der dichten Arbeitsbelastung haben die Ärzte praktisch keine Ruhezeiten mehr. Lange Dienste sind jedoch nur mit entsprechenden Pausenzeiten erlaubt.“

Die Folgen dieser Überlastung beschreibt der Wissenschafter Florian Ernst, Ko-Autor einer Studie der Medizinischen Universität Innsbruck, bei der untersucht wurde, welche Auswirkungen auf den Körper im Nachtdienst gemessen werden können: „Während des Journaldienstes mit einer 24-stündigen Rufbereitschaft besteht für Mediziner ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Der Nachtdienst ist quasi ein ‚Dauerstresszustand‘, bei dem Herzfrequenz und Blutdruck ständig hoch reguliert sind.“ Nachtdienste und verlängerte Arbeitszeiten schädigen nicht nur die Gesundheit der Ärzte nachhaltig, sondern stellen auch ein allgemeines Sicherheitsrisiko dar, warnte Ernst: „Es liegen Daten vor, dass die Reaktionsfähigkeit der Ärzte nach langen Diensten ähnlich wie bei einer leichten Alkoholisierung mit etwa 0,8 Promille ist.“ Als mögliche Verbesserung sieht Germann eine Abänderung des aktuellen Dienstmodells, zum Beispiel einen „2×12-Stunden Schichtdienst“. Derzeit scheitern neue Modelle allerdings an der Verrechnung der Dienste beziehungsweise an der fehlenden Anerkennung der erbrachten Nachtdienststunden. 

Vor einem Ausweg, den manche Spitalserhalter wählen wollen, warnt Lukas Stärker, Jurist in der Österreichischen Ärztekammer: „Die immer wieder angesprochene Arbeitszeitflexibilisierung ist mehr Fluch als Segen. Letztendlich führt sie sehr häufig zur Benachteiligung der einzelnen Ärzte.“ Nicht nur aus juristischer, sondern auch aus arbeitsmedizinischer Sicht ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeit abzulehnen.

Landesstatthalter Markus Wallner, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Krankenhausbetriebsgesellschaft, zeigt Verständnis für die Anliegen der Ärzte: „Die Ärztebelastung ist durch die hohen Belagszahlen im stationären Bereich, besonders aber auch durch die steigenden Frequenzen in den Ambulanzen fast unerträglich!“ Eine Arbeitsgruppe ist mit Verbesserungsvorschlägen betraut, die erste Ergebnisse gebracht haben. So werden neu eintretenden Oberärzten ihre Vordienstzeiten angerechnet, was die Arbeitsplätze attraktiver macht. Keine konkreten Änderungen zeichnen sich dagegen bei den Nachtdiensten ab, wobei Wallner konzediert: „Es muss zu einer Verbesserung kommen, von der vor allem auch Oberärzte mit zunehmendem Lebensalter profitieren.“

Detail-Erfolge verzeichnet das Ländle beim Bürokratieabbau für Ärzte. In den Internen Abteilungen der Krankenhäuser Feldkirch und Bregenz wurden als Pilotprojekt zwei Dokumentationsassistenten eingestellt. Wallner: „Das hat sich bewährt, die beiden Dienstposten werden jetzt fix etabliert. Möglicherweise können wir im Rahmen des Dienstpostenplans für 2011 weitere Dokumentationsassistenten beschäftigen, das hängt von der Gesamtentwicklung der Kosten ab.“

Grundsätzlich hält Wallner eine nachhaltige Entlastung der Spitäler nur in einer nachhaltigen Kooperation mit dem niedergelassenen Bereich für erzielbar: „Das bedeutet aber auch mehr Bereitschaftsdienste und verlängerte Öffnungszeiten bei den Ordinationen.“ In Teilen klappt diese Zusammenarbeit bereits, so werden Koloskopien in Vorarlberg fast ausschließlich von niedergelassenen Ärzten durchgeführt. Und in Zukunft, so meint Wallner, könnten die Ärzte-GmbHs eine fühlbare Entspannung der Situation bringen. 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2010