ELGA: Wer profitiert wirklich?

15.12.2010 | Politik

Wer zahlt bei E-Health-Anwendungen, wer ist Nutznießer? Unterschiedliche Studien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gelangen zum gleichen Ergebnis: Den größten Nutzen schöpft die Allgemeinheit, die Investitionskosten allerdings bleiben bei den Gesundheitsdienste-Anbietern – vor allem bei Ärzten und Krankenhäusern – hängen.
Von Ruth Mayrhofer

Weil die meisten E-Health-Anwendungen durchgehende Prozesse im Gesundheitswesen zum Ziel haben, fallen die Kosten häufig nicht dort an, wo Nutzen entsteht. Ein System, das volkswirtschaftlich Sinn macht, kann betriebswirtschaftliche für einzelne Beteiligte nachteilig sein. So klar formuliert die „Strategie E-Health Schweiz“* das Problem, mit dem in Sachen ELGA auch Österreich konfrontiert ist.

Was die Kosten betrifft, so gibt es für Österreich keine wirklich seriösen Gesamt-Schätzungen**; das Budget für die erste Ausbaustufe beträgt jedenfalls 30 Millionen Euro. Die bisher noch nicht offiziell publizierte (sprich: von der Politik nicht frei gegebene) Kosten-Nutzen-Analyse für ELGA von Debold und Lux aus Hamburg (Hauptautor: Prof. Heiko Burchert, Bielefeld) erstellt im Auftrag der Bundesgesundheitskommission im Jahr 2008, die, wie es heißt, „nach bestem Wissen und Gewissen und in Anlehnung an internationale Standards erstellt“ wurde, gibt 135 Millionen Euro für die Implementierung der Kernanwendungen – davon 59,7 Millionen Euro für die Infrastruktur und 75,5 Millionen Euro Kosten für die Gesundheitsdiensteanbieter (GDA) – sowie 36 Millionen Euro für den jährlichen Betrieb an.

Ärzte werden zur Kasse gebeten

Sieht man sich diese Kosten-Nutzen-Analyse für Österreich jedoch etwas detaillierter an (siehe Grafik: Seite 23, KNA ELGA), wird auf einen einzigen Blick deutlich, dass die Schweizer Prognose auch über eine Periode von fünf bis zehn Jahren gerechnet für Österreich und – wie Studien zeigen, auch für Deutschland – Gültigkeit besitzt: Den größten Nutzen an ELGA haben der Staat und die Allgemeinheit, also die Gesellschaft; was die Kosten betrifft sind diese vorrangig in den Arzt-Ordinationen sowie in den Krankenhäusern angesiedelt. Das heißt, dass – abseits der „Zahler“ beziehungsweise ELGA-Auftraggeber Bund, Sozialversicherung und Länder – die Finanzlast von diesen Gesundheitsdiensteanbietern getragen wird. Dies zeigt sich auch in den prognostizierten Investitionskosten der Gesundheitsdiensteanbieter für ELGA: Unter anderem wird hier pro Vertragsarzt-Ordination mit 2.200 Euro gerechnet, pro Wahlarzt-Ordination 2.600 Euro, oder für ein Spital mit zwischen 200 und 999 Betten mit 136.500 Euro (siehe Kasten). Die in der Grafik dargestellte Gruppe der Ordinationen umfasst Vertrags- genauso wie Wahlärzte. „Die in dieser Studie ermittelten Effizienzpotenziale können allein der Solidargemeinschaft zugerechnet werden“, heißt es in der Kosten-Nutzen-Analyse. Und weiter: „Die dargestellten Effizienzpotenziale betreffen nur quantitativ bewertbaren Nutzen“.

Was den volkswirtschaftlichen Nutzen von ELGA anbelangt, beziehen sich die Studienautoren primär auf solche, die auch außerhalb des Gesundheitswesens Wirkung zeigen. Dazu zählen potenziell die Verhinderung von stationären Krankenhausaufnahmen, die auch Arbeitsausfälle – sprich Krankenstände – verhindern helfen würden. Sollten diese Arbeitsausfälle länger andauern, würden sie das Gesundheitswesen auch direkt belasten. Die voraussichtlichen Effizienzpotenziale für vermiedene Arbeitsausfälle wurden mit rund 74 Millionen Euro auf Basis eines Wirkungsgrades von 80 Prozent ermittelt.

Was die weiteren Einsparungsmöglichkeiten mit einem ebenfalls durchgängigen Nutzungsgrad von 80 Prozent durch ELGA betrifft (Nutzenpotenziale), würden diese allein im Bereich der E-Medikation – das ist der größte Posten – mit 122.200.000 Euro zu Buche schlagen. In Summe könnten die Einsparungen inklusive der Punkte Integrierte Versorgung und verkürzte Aufnahmezeiten in Pflegeheimen stattliche 226.900.000 Euro ausmachen.

Nutzeneffekte: noch große Lücken

Was die qualitative Beschreibung von Nutzeneffekten betrifft, beschränkte sich die Debold & Lux-Analyse „auf relevante Nutzeneffekte, die sich einer methodischen Betrachtung erschlossen haben“. Zurück bleibt, so attestiert die Studie, „eine große Lücke möglicher, aber nicht monetär bestimmbarer Effekte einer ELGA“. Während die Effekte der E-Medikation wie beschrieben auch finanziell bewertet wurden, mussten Themen wie etwa Lebensqualität oder Quality-adjusted-lifeyears (QALY) mangels harter Fakten ausgeklammert werden. Bei der Beschreibung des ethisch-qualitativen Nutzens von ELGA stellen die Autoren jedoch fest, dass „es zahlreiche Studien gibt, die zeigen, dass durch die Einführung einer E-Medikation Todesfälle vermieden werden“.

Entscheidend ist jedoch, dass bei allen Kosten-Nutzen-Analysen zu E-Health, wie sie auch aus Deutschland und der Schweiz vorliegen, bei einer fünf- bis zehnjährigen Periode der Nutzen – sprich: die monetären Einsparungen – auf Seiten der Verwaltung (der Krankenkassen) beziehungsweise des Staates im volkswirtschaftlichen Kontext liegt; die zusätzlichen Kosten jedoch von den GDAs – und hier zu einem hohen Prozentsatz von der Ärzteschaft – zu tragen sind. Die Frage, wer das alles bezahlen soll, ist noch immer unklar.

Ist ELGA „auf Sand gebaut“?

Artur Wechselberger, Vizepräsident der ÖÄK und Präsident der Tiroler Ärztekammer, bringt es auf den Punkt: „Diese ELGA-Kosten-Nutzen-Analyse untermauert die Unausgewogenheit zwischen Nutzern und Kostenträgern“. Weiters will er möglichst viele am Gesundheitssystem Beteiligten ins System eingebunden wissen: „Denn nur so macht ELGA Sinn“. Und er unterstreicht eine Erkenntnis dieser Kosten-Nutzen-Analyse, nämlich, dass (Zitat Kosten-Nutzen-Analyse) „für den gesamtwirtschaftlichen Nutzen, den die Analyse nachweist, nur eine Realisierung besteht, wenn durch Transferleistungen die asymmetrische Allokation der Lasten und Vorteile auf ein gesellschaftspolitisch verträgliches Maß reduziert wird“. Wechselberger dazu: „ELGA ist eine öffentliche Einrichtung, die unbestreitbar großen Nutzen für die Öffentlichkeit und damit für die Gesellschaft verspricht. Das zeigt die Kosten-Nutzen-Analyse überdeutlich auf. Sie ist damit vergleichbar mit dem Straßenbau und dem Bildungswesen. Daher muss sie auch zur Gänze öffentlich finanziert werden“. Wenn dies so wäre, so der ÖÄK-Vizepräsident weiter, dann würden auch viele derzeit noch immer schwelende Widerstände beziehungsweise Ängste in Sachen ELGA wegfallen. Sollte das nicht so kommen, befürchtet Wechselberger, sei ELGA „auf Sand gebaut“ und „zum Scheitern verurteilt“.

Was nun jedoch fehlt, ist ein klares politisches Bekenntnis Österreichs und damit von Gesundheitsminister Alois Stöger, dass die Kosten insgesamt vom Staat im Sinne der Gesellschaft zu tragen sind. Man darf gespannt sein, wann – und ob überhaupt – ein solches in nächster Zeit zu erwarten sein wird.

Investitionskosten der jeweiligen Gesundheitsdiensteanbieter

Investitionskosten GDAs

Summe in Euro

Ordination Vertragsarzt

2.200,-

Ordination Vertragsarzt mit Radiologie

7.300,-

Ordination Wahlarzt ohne VU

2.600,-

Radiologie-Institut

11.500,-

Laborinstitut

32.500,-

Apotheken

3.300,-

Spital mit > 1.000 Betten

230.500,-

Spital mit 200-999 Betten

136.500,-

Spital mit < 200 Betten

80.900,-

Pflegeheim

2.600,-

(Quelle: KDA ELGA – Monetäre Quantifizierung der Kosten und des Nutzens der Kernanwendungen mit den Methoden einer Kosten-Nutzen-Analyse, Prof. Dr. Heiko Burchert, Debold & Lux, 2008, Seite 25)


* Quelle: Strategie E-Health Schweiz, Seite 45; Dokument im Volltext: www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/10357/10359/index.html
** Quelle: www.initiative-elga.at/ELGA/kosten.htm

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2010