Einigung mit der SVA: Zukunftsweisend

25.06.2010 | Politik


Exakt 13 Tage lang hat die vertragsfreie Zeit zwischen ÖÄK und SVA gedauert. Rückwirkend mit 1. Juni ist ein neuer Gesamtvertrag in Kraft getreten und bringt die längst notwendige Stärkung des niedergelassenen Bereichs.

Von Agnes M. Mühlgassner

Ein Signal der SVA – das war es, worauf Günther Wawrowsky lange Zeit gewartet hatte. Ganz besonders in den letzten Mai-Tagen. Jetzt ist es da: Für alle SVA-Ärzte wird es eine tarifwirksame Erhöhung der Honorare um vier Prozent geben. Ausnahmen dabei sind die technischen Fächer: hier gibt es beim Labor und bei den Radiologie-Unkosten eine Absenkung um 22 Prozent. Die Einigung gilt rückwirkend mit 1. Juni 2010.

Darüber – und über einige grundlegende Änderungen bei der Betreuung von SVA-Patienten – haben sich die Präsidenten der Ärztekammer und Wirtschaftskammer, Walter Dorner und Christoph Leitl, sowie der Bundeskurienobmann der Niedergelassenen Ärzte, Günther Wawrowsky und der stellvertretende SVA-Obmann Martin Gleitsmann in einem nächtlichen Verhandlungsmarathon geeinigt – und die Details im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert.

Wieso waren nun sieben Stunden Zeit – nach eineinhalb Jahren Verhandlungen – genug, um zu einem Ergebnis zu kommen? Leitl: „Die Verkrampfung ist weg, heute ist es ein Vertrauensverhältnis“. Man wolle für die Gesundheitsversorgung Maßstäbe setzen. Das soll wie folgt geschehen: Künftig werden die Ärzte den Patienten als Gesundheits-Coaches begleiten und der Vorsorge ein zentraler Stellenwert beigemessen. Wenn ein Patient sein Übergewicht reduziert oder zur Senkung des erhöhten Cholesterinwerts beiträgt, wird das belohnt: Der Patient zahlt dann – im Laufe eines Betreuungspfades – anstelle des bisher 20-prozentigen Selbstbehaltes nur noch zehn Prozent. Das Konzept für dieses Projekt soll bis Ende 2010 stehen; ein großflächiger Pilotversuch samt Evaluation ist für 2011 geplant und ab 1.1.2012 soll dieses Modell dann allen Versicherten zur Verfügung stehen. Dorner sieht darin eine „epochale Veränderung“. Wie Leitl betonte, wolle man damit „den guten alten Hausarzt aufwerten“ – einem Wunsch von Wawrowsky folgend. Eine von ÖÄK und SVA paritätisch besetzte Task force wird dieses Projekt begleiten und der „Problemvermeidung“ (Dorner) dienen. „Es ist uns gelungen, einen innovativen Schritt zu setzen, der im übrigen Gesundheitssystem Vorbild sein wird“, zeigt sich der ÖÄK-Präsident überzeugt.

Weitere Eckpunkte, die in die neue Vereinbarung eingeflossen sind: die Sicherstellung der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung von SVA-Versicherten – bislang gab es keine vertragliche Regelung dafür – sowie der Ausbau der Zuwendungsmedizin – speziell im ländlichen Bereich. Dorner dazu: „Wenn ein Landarzt eine psychotherapeutische Ausbildung hat, soll er diese den SVA-Versicherten zur Verfügung stellen. An einem modernen Zeitmanagement, das unnötige Wartezeiten in der Ordination vermeidet, wird nun ebenfalls gearbeitet. Für die Vorsorge wird ein Call- und Recall-System eingeführt, das bisher bei SVA-Versicherten nur in beschränktem Ausmaß durchgeführt wurde. Ebenso wird die Kommunikation zwischen dem niedergelassenen Hausarzt und dem Spital intensiviert und ausgebaut.

Wawrowsky betonte, dass ihm sehr viel an dieser Sozialpartnerschaft liege: „Ich habe sehr darunter gelitten, dass wir in einen Konflikt geraten sind.“ Aber der größte Sieger dieses Konflikts sei das Sozialversicherungssystem. Wawrowsky weiter: „Diese Arbeit ist etwas Vorbereitendes für die Zukunft“. Martin Gleitsmann zeigte sich besonders froh darüber, dass man sich nicht nur ein Programm vorgenommen habe, das von der Begleitung von chronisch Kranken rede, sondern dass „wir auf vielen Stellen Neuland betreten werden“.

In den Gesprächen hat man sich auch darauf verständigt, in einem neuerlichen Streitfall nicht die Bundesschiedskommission anzurufen – hier würde sofort eine vertragsfreie Zeit eintreten. „Aber davon gehe ich nicht aus“, sagte Leitl. „Wir haben klimatisch eine völlig andere Situation als vor ein, zwei Wochen“. Sowohl der Ärztekammerpräsident als auch der Wirtschaftskammerpräsident werden sich in den weiteren Prozess involvieren.

Auch zu einem anderen Streitpunkt zwischen ÖÄK und SVA gab es ein Signal von Christoph Leitl. Er kündigte an, die Ärzte-GmbH unterstützen zu wollen: „Wir sind bereit, dem eine Chance zu geben“. Wie auch insgesamt die Zusammenarbeit offensichtlich ganz neu aufgestellt werden soll – sagte jedenfalls Leitl, der „unbeeinflusst von der Vergangenheit“ einen neuen Weg gehen will …

Reaktionen

ÖVP und SPÖ begrüßten die Einigung; erleichtert über das Ende der vertragsfreien Zeit zeigten sich auch die Vertreter der Opposition, übten jedoch Kritik an der Vorgangsweise von Ärzten und SVA. FP-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein kritisierte die SVA als neoliberalen Versuchsballon der Krankenversicherung, wo die sozial Schwachen die Dummen seien. BZÖ-Gesundheitssprecher Wolfgang Spadiut sprach von einem „unwürdigen Machtkampf“ auf dem Rücken der SVA-Versicherten und forderte die Streichung der Kammern aus der Verfassung. Für den Grünen Sozialsprecher Karl Öllinger haben Ärztekammer und SVA „gerade noch einmal die Kurve gekratzt“.

Gesundheitsminister Alois Stöger will weiterhin einen gesetzlichen Mechanismus zur verbindlichen Schlichtung von Tarifkonflikten schaffen, um einen neuerlichen vertragslosen Zustand zu verhindern.

Vertrags-Konditionen neu – ab 1. Juni 2010

  • Erhöhung der Tarife um rund vier Prozent – ausgenommen sind nur die Bereiche Großlabor und Radiologie-Unkosten.
  • Ab sofort wird wieder mit der E-Card abgerechnet.
  • Im Gesamtvertrag wurde die Möglichkeit aufgenommen, Gruppenpraxen zu eröffnen. Bei den Honoraren in Gruppenpraxen wird es keine Abschläge geben!
  • Die Abrechnung erfolgt ab 1.1.2011 monatlich statt wie bisher quartalsweise.
  • Ausbau der Prävention: Die SVA wird ein flächendeckendes Call- und Recall-System bei der Vorsorgeuntersuchung installieren. Bonifikationen der SVA für Versicherte, die an Vorsorgeprojekten teilnehmen, sind vorgesehen.
  • Ein innovatives Entlassungsmanagement, das heißt die verstärkte Einbindung des behandelnden niedergelassenen Arztes;
  • Ein eigenes Hausarzt-Vertrauensarztmodell für chronisch Kranke;
  • Besondere Berücksichtigung von Psychotherapie und der therapeutischen Aussprache;
  • Kinder- und Jugendpsychiatrie im niedergelassenen Bereich;
  • Zwischen ÖÄK und SVA wird eine Task force zur laufenden Problemlösung und zur Begleitung eines neuen Gesundheits-Modells eingerichtet.
  • Ein klares Bekenntnis zur Stärkung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010