Drogensubstitution: Keine einfache Sache

25.02.2010 | Politik

Die Kompetenz für die Ausbildung in puncto Drogensubstitution liegt seit Dezember 2009 wieder in den Händen der ÖÄK. Weiters bringt eine Novelle zur Suchtgift-Verordnung bei der Behandlung der Patienten Veränderungen, etwa bei der Mitgabe von Substitutionsmitteln. Von Ruth Mayrhofer  

Rund 8.000 Menschen in Österreich unterziehen sich einer Drogensubst i tut ionsbehandlung. Die Hälfte von ihnen kommt aus dem Wiener Raum, der Rest teilt sich auf das übrige Bundesgebiet auf. „Nur 25 Prozent der niedergelassenen Ärzte verfügen über den Abschluss der notwendigen Ausbildung, die sie berechtigt, Drogensubstitution zu betreiben“, weiß Rolf Jens, Obmann der Sektion Ärzte für Allgemeinmedizin der Wiener Ärztekammer, und ergänzt: „Aber es ist nicht sicher, ob all diese Kolleginnen und Kollegen auch tatsächlich in diesem Feld arbeiten“.

Kaum Anreize für Ärzte

Fakt ist, dass sich niedergelassene Allgemeinmediziner offenbar immer schwerer tun, den „Schritt in die Drogensubstitution“ zu wagen. Die Anreize, in der eigenen Praxis mit Drogensubstitutionspatienten zu arbeiten, sind – leidenschaftslos betrachtet – auch eher als gering einzustufen. Da ist zum einen die bundesweit gesetzlich geregelte und somit verpflichtend vorgeschriebene Aus- und Weiterbildung, die durchaus anspruchsvoll und zeitintensiv ist. Zum anderen ist die Verrechenbarkeit der „Leistung Drogensubstitution“ aber nicht bundeseinheitlich geregelt. Ist in Wien dafür sehr wohl eine eigene Verrechnungsposition mit den Krankenkassen gegeben, gibt es in den Bundesländern mit Ausnahme von Oberösterreich und Tirol derzeit noch keine gesonderte Verrechnungsgrundlage im Rahmen der niedergelassenen Versorgung. In Kärnten sind lediglich zwei Zentren „abrechnungsbefugt“, der niedergelassene Bereich ist nach wie vor ausgeklammert. Zurzeit stehen Aufwand und Entlohnung – so die Meinung vieler Ärzte – jedenfalls in einem Missverhältnis. Und zu guter Letzt erscheint so manchem Behandler der administrative Aufwand reduzierbar, die Qualität der Zusammenarbeit mit den Amtsärzten verbesserungswürdig.

Substitutionspatienten als „Imageproblem“

Der Umgang mit den Substitutionspatienten verlangt außerdem von Arzt und den Mitarbeitern in der Ordination viel Zeit, Geduld sowie ein gerüttelt Maß an Fingerspitzengefühl. Noch dazu stoßen sich „normale“ Patienten häufig daran, das Wartezimmer mit Personen, die sie subjektiv als ‚Junkies‘ oder ‚Sandler‘ klassifizieren, teilen zu müssen.

„Natürlich hat man als Arzt, der Substitutionspatienten betreut, auch ein Imageproblem“, sagt Jens offen. Und: „Selbstverständlich habe ich auch schon Patienten deswegen verloren“. Wert legt er jedoch auf die Feststellung, dass Drogenpatienten genauso Patienten wie etwa Hypertoniker oder Diabetiker sind und daher menschlich und fachlich genauso betreut werden müssen.

Hohe Anforderungen an Praxispersonal

In den Bundesländern schrumpft die Zahl der Ordinationen, die eine Substitutionstherapie anbieten, aus den zuvor genannten Gründen kontinuierlich weiter. So ist beispielsweise Johann Holler aus Leibnitz in der Steiermark seit Jahren der einzige niedergelassene Allgemeinmediziner, der im gesamten Bezirk Substitutionspatienten betreut. So sehr Holler diese Situation bedauert, so sehr ist es sein Anspruch, diese Patienten „wie alle anderen auch“ zu behandeln und sie nicht von vornherein in eine negativ besetzte Schublade zu packen. Große Bedeutung misst Holler der Schulung seiner Ordinations-Mitarbeiter bei, da Betroffene häufig – speziell während eines Entzugs – „sehr anstrengend und fordernd“ sein können. Dies unterstreicht auch Rolf Jens: „Jeder Arzt muss seine Mitarbeiter so konditionieren, dass sie ihm helfen“. Natürlich sei es aber schon vorgekommen, dass Teamangehörige diese spezielle Klientel „ganz einfach nicht ausgehalten“ und als Folge davon gekündigt hätten, bedauert Jens.

Mit Enttäuschungen leben

Welche Eigenschaften aber sollten Ärzte mitbringen, um im Feld der Drogensubstitution erfolgreich zu sein? „Ärzte sollten neben der entsprechenden Ausbildung (Grundausbildung und berufsbegleitende Module, Anm.) eine gefestigte Persönlichkeit mitbringen. Sie müssen die Situation ihrer Patienten akzeptieren können, und sie müssen in der Lage sein, eine Vertrauensbasis zum Patienten herzustellen“, nennt Rolf Jens die Grundvoraussetzungen für den Umgang mit Substitutionspatienten. „Die meisten Substitutionspatienten haben massive psychische Probleme und/oder psychiatrische Begleiterkrankungen, mit denen sie durch Drogenkonsum versuchen, fertig zu werden“, erzählt Jens aus seinem Alltag. Daher sei es ganz wichtig, mit ihnen an der Ursache für diese Probleme – etwa Arbeitsplatzverlust, Wohnungssorgen, Scheidung – in kleinen Schritten zu arbeiten, im Zuge dessen Rückfälle in Richtung Drogenkonsum nie auszuschließen sind. Aber: „Genauso wichtig ist es, dass Ärzte mit dieser speziellen Patientengruppe einen klaren Behandlungsvertrag schließen.“ Das heißt, eine zwischen beiden Partnern vereinbarte Abmachung, ein ausgemachtes Ziel oder eine terminliche Frist müssen pünktlichst und genauestens eingehalten werden, um dem Patienten deutlich zu machen, dass er in der Ordination keinen Verhaltensspielraum hat. Denn: „Anders funktioniert das nicht“, spricht Jens aus Erfahrung. ‚Funktioniert‘ es tatsächlich auf längere Sicht nicht – wie etwa bei einem Drittel seiner Patienten – sei eine Trennung von Arzt und Patient unausweichlich.

Sehr vorsichtigen und keineswegs statistisch zuverlässigen Schätzungen zufolge sind es gerade einmal zehn Prozent der Substitutionspatienten, die tatsächlich aufgrund der Therapie dem Drogenkonsum für immer Lebewohl sagen. Für Ärzte, die sich engagiert für ihre Patienten einsetzen, ist das zweifellos wenig befriedigend und auch oft höchst belastend. „Ärzte müssen lernen, dass man nicht jedem helfen kann und nicht jeder heilbar ist“, gibt Jens zu bedenken. Seit mehr als zehn Jahren habe sich daher der Besuch der sogenannten ärztlichen „Drogenzirkel“, einem Mittelding zwischen Qualitätszirkel und Balint-Gruppen, zum Erfahrungsaustausch bewährt. „Das Reden mit Kollegen ist hilfreich und entlastet“, betont Rolf Jens.

Drogensubstitution erlernen

Seit dem Inkrafttreten der Novelle zur Weiterbildungsverordnung am 24.12.2009 ist der inhaltliche Ausbildungsweg für Ärzte, die Drogensubstitution erlernen wollen, nicht mehr in den Händen des Bundesministeriums für Gesundheit, sondern in jenen der Österreichischen Ärztekammer. Das Gesundheitsministerium legt seitdem nur noch den Umfang der Ausbildung fest. „Das ist ein großer Schritt in eine richtige Richtung“, freut sich Norbert Jachimowicz, stellvertretender Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Wiener Ärztekammer und Referatsleiter für Drogenbelange in der ÖÄK. „Wir haben nach langen und zähen Verhandlungen diese Kompetenz vom Gesundheitsministerium zurückgeholt“.

Die Neuerungen im Detail

1) Die Basisausbildung zur umfassenden Qualifikation zur Substitutionsbehandlung (ÖÄK-Diplom Substitutionsbehandlung) besteht aus insgesamt 40 Lehreinheiten, von denen 20 Einheiten im E-Learning absolviert werden können.

2) Ärzte, die bereits vor Inkrafttreten der ursprünglichen Weiterbildungsverordnung in Sachen Drogensubstitution mehr als 24 Monate tätig waren, benötigen lediglich 18 Weiterbildungseinheiten, deren Inhalte den Teilnehmern überlassen bleiben. E-Learning, der Besuch von Veranstaltungen oder Kongressen – alles zählt.

3) Nur sechs Lehreinheiten benötigen Ärzte, die sich als „Weiterbehandler“ mit Drogensubstitution beschäftigen. Sie dürfen lediglich in einem vorgegebenen Rahmen, beispielsweise nach den Empfehlungen eines Zentrums, Patienten behandeln. Diese Regelung soll dazu beitragen, speziell in den Bundesländern die entsprechenden Zentren zu entlasten. Niedergelassene Ärzte sollen mit dieser „Schmalspurregelung“ motiviert werden, in ihren Praxen Drogensubstitution anzubieten.

4) Die bisherige Übergangsfrist zur Basis-Ausbildung (das betrifft die 40 Lehreinheiten sowie die 18 Lehreinheiten umfassende Ausbildung), festgelegt bis Ende 2009, wurde bis 31.12.2010 verlängert.

Mehr Praxisnähe bei Drogensubstitution

Eine Novelle zur Suchtgift-Verordnung bringt auch bei der Behandlung der Patienten Veränderungen:

1) Die Mitgabe von Substitutionsmitteln aus beruflichen Gründen wird nicht mehr an eine Behandlung bei ein- und demselben Arzt über einen Zeitraum von zwölf Wochen beziehungsweise bei Morphinpräparaten in Retardform über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg gebunden. Ebenso auch nicht die Mitgabe zu Urlaubszwecken an eine Therapie über sechs Monate hinweg beim gleichen Arzt. Der Arzt beziehungsweise die Behandlungseinrichtung können auch gewechselt werden – dann sollen bereits dokumentierte Behandlungszeiten angerechnet werden.

2) Bei der Urlaubsmitgabe von Substitutionsmitteln wird nicht mehr zwischen Patienten mit aufrechter Beschäftigung oder in Schulungsprogrammen und Arbeitslosen beziehungsweise Pensionisten unterschieden, um eine Diskriminierung zu verhindern. Alle Substitutionspatienten sollen die Möglichkeit haben, im Jahr für maximal 35 Tage für Urlaubszwecke die Medikamente zu erhalten.

3) Methadon und Buprenorphin sollen weiterhin „Ersatzdrogen der ersten Wahl“ bleiben. Bei Unverträglichkeit kommen retardierte Morphine zur Anwendung.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2010