CIRS: Erfolgs­bi­lanz nach einem Jahr

10.10.2010 | Politik


Seit 6. Novem­ber des Vor­jah­res, also knapp ein Jahr, ist das Feh­ler­mel­de­sys­tem CIRS in Betrieb. Bis­her gab es mehr als 23.000 Zugriffe auf die Home­page www.cirsmedical.at.

Von Kurt Markaritzer

Mit Stich­tag 20. Sept. 2010 wur­den im Sys­tem 126 Mel­dun­gen abge­ge­ben, von denen 88 ver­öf­fent­licht wur­den, die von all­ge­mei­nem Inter­esse sind. Mehr als 23.000 Zugriffe auf die Home­page www.cirsmedical.at bele­gen, dass das neue Feh­ler­be­richts­sys­tem sogar rascher akzep­tiert wird, als es die Initia­to­ren in der Ärz­te­kam­mer erhoff­ten. Das ergibt sich aus einem Ver­gleich mit den Zah­len in Deutsch­land, wo das Sys­tem seit 2005 genützt wird. In die­sen fünf Jah­ren wur­den 340 Fälle auf­ge­zeigt, also durch­schnitt­lich 70 pro Jahr. Wech­sel­ber­ger: „Wir sind zuver­sicht­lich, dass wir in Öster­reich schon im ers­ten Jahr auf 100 ver­öf­fent­lichte Mit­tei­lun­gen kom­men wer­den.“

Offen­sicht­lich erken­nen viele, die im Gesund­heits­we­sen tätig sind, wie wich­tig und wert­voll ein Sys­tem ist, das hilft, Feh­ler zu ver­mei­den, noch ehe sie ent­ste­hen. Genau das ist die Ziel­set­zung der Initia­tive. Die Web­seite www.cirsmedical.at ist nicht für all­ge­meine Beschwer­den gedacht oder für Straf­an­zei­gen wegen vor­sätz­li­cher Hand­lun­gen, es lässt auch keine Beschimp­fun­gen oder Dis­kri­mi­nie­run­gen zu. Ent­spre­chende Mel­dun­gen wer­den gelöscht. Schließ­lich geht es bei dem Berichts­sys­tem darum, Feh­ler erst gar nicht zuzu­las­sen. Das Feh­ler­mel­de­sys­tem zielt nicht vor­ran­gig auf große Fehl­leis­tun­gen ab, son­dern auf kri­ti­sche Situa­tio­nen im orga­ni­sa­to­ri­schen Ablauf und in der Kom­mu­ni­ka­tion, die bei­nahe schwere Pan­nen ver­ur­sacht hät­ten. Des­halb wer­den nicht nur Berichte über bereits ein­ge­tre­tene Feh­ler gesam­melt, ana­ly­siert und ver­öf­fent­licht, son­dern vor allem auch Mel­dun­gen über Situa­tio­nen, in denen es bei­nahe zu einem Feh­ler gekom­men wäre.

Sta­tis­tik legt Zah­len offen

Inter­na­tio­nale Erfah­run­gen zei­gen, dass aus etwa 200 die­ser Bei­nahe-Feh­ler ein tat­säch­li­cher Feh­ler mit mög­li­chen schwe­ren Fol­gen ent­steht. Durch die Ver­öf­fent­li­chung im Inter­net erlan­gen viele Stel­len von die­ser Feh­ler­quelle Kennt­nis und kön­nen sie besei­ti­gen. „Die bis­her 88 ver­öf­fent­lich­ten Mel­dun­gen zei­gen, dass es in Öster­reich genü­gend Fälle gibt, die es wert sind, berich­tet zu wer­den“, betont Wech­sel­ber­ger.

Die Sta­tis­tik von CIRS­me­di­cal macht auch klar, aus wel­chen Fach­be­rei­chen die Infor­ma­tio­nen kom­men. 28 Pro­zent aller Mel­dun­gen lie­fern die All­ge­mein­me­di­zi­ner, denen offen­sicht­lich nicht zuletzt auf­grund ihrer Schnitt­stel­len­funk­tion häu­fig Bei­nahe-Feh­ler auf­fal­len. 17 Pro­zent aller Fälle stam­men aus der Inne­ren Medi­zin. Der Rest ver­teilt sich auf andere Fächer wie Chir­ur­gie (sie­ben Pro­zent), Anäs­the­sio­lo­gie (sie­ben Pro­zent) und HNO-Heil­kunde (fünf Pro­zent), Not­fall­me­di­zin (7 Pro­zent) und Frauenheilkunde/​Geburtshilfe (drei Pro­zent). Ins­ge­samt erfasst die Sta­tis­tik der­zeit 26 medi­zi­ni­sche Fächer und Bereiche.

Die haupt­säch­li­chen Feh­ler­quel­len wer­den in Spi­tä­lern geor­tet, aus denen knapp mehr als die Hälfte aller Mel­dun­gen (49 Pro­zent) stam­men. 33 Pro­zent wur­den in Ordi­na­tio­nen fest­ge­stellt, der Rest ver­teilt sich annäh­rend gleich­mä­ßig auf Not­fall- bezie­hungs­weise Ret­tungs­dienste, Haus­be­su­che und Lang­zeit­pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Zwei Pro­zent der Mel­dun­gen betref­fen kri­ti­sche Situa­tio­nen in Apotheken.

Die häu­figs­ten Pro­bleme (20 Pro­zent) erge­ben sich bei der Erstel­lung der Dia­gnose; eine ähn­lich bedeut­same Feh­ler­quelle ist die Orga­ni­sa­tion (Schnittstellen/​Kommunikation), die nahezu jede vierte Mel­dung in CIRS­me­di­cal betrifft. Mit 18 Pro­zent bezie­hungs­weise 22 Pro­zent sind inva­sive und nicht­in­va­sive Maß­nah­men in Dia­gnos­tik und The­ra­pie etwa gleich oft als mög­li­che Feh­ler­quel­len erkannt wor­den. Erwar­tungs­ge­mäß das geringste Risiko ergibt sich in der Prä­ven­tion, obwohl auch dort Mel­dun­gen erstat­tet wur­den, die mit fünf Pro­zent aller Fälle aller­dings kaum ins Gewicht fal­len. Die größte Gefahr von Fehl­leis­tun­gen besteht übri­gens im Rou­ti­ne­be­trieb, auf den sich zwei Drit­tel aller Mel­dun­gen bezie­hen. Wech­sel­ber­ger dazu: „Die Sta­tis­tik ist auf­schluss­reich und gibt gute Anhalts­punkte für Stra­te­gien, wie man die Feh­ler­ver­mei­dung wei­ter ver­bes­sern kann. Wün­schens­wert wäre es aller­dings, wenn sich noch mehr Berufs­grup­pen im Gesund­heits­we­sen an die­ser Vor­beu­gungs-Initia­tive betei­li­gen. Der­zeit trägt die Ärz­te­schaft die Haupt­last des Sys­tems.“

Ärzte als Vorbilder

Laut Sta­tis­tik stam­men 68 Pro­zent aller ver­öf­fent­lich­ten Mel­dun­gen von Ärz­tin­nen und Ärz­ten, 14 Pro­zent steu­er­ten Pflege- und Ordi­na­ti­ons­per­so­nal bei. Für den Vize­prä­si­den­ten der Ärz­te­kam­mer ist die Dif­fe­renz erklär­lich: „Wir haben uns sehr bemüht, bei den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen das Bewusst­sein für die Sinn­haf­tig­keit, ja Not­wen­dig­keit eines sol­chen Feh­ler­mel­de­sys­tems zu akti­vie­ren. Jetzt wäre es an der Zeit, dass andere Berufs­grup­pen die­sem Bei­spiel fol­gen!“ Als Bei­spiel nennt Wech­sel­ber­ger die Beschäf­tig­ten in der Kran­ken­pflege und im Kran­ken­trans­port: „Die sind zah­len­mä­ßig grö­ßere Grup­pen als die Ärz­te­schaft, aber sie lie­fern wesent­lich weni­ger Feed­back. Wir hof­fen, dass sich das ändert.“

Mit­tel­fris­tig erhof­fen sich die Ärz­te­kam­mer und die ÖQMed, die für die ope­ra­tive Aus­füh­rung des Sys­tems zustän­dig ist, noch mehr Unter­stüt­zung von Spi­tä­lern. Wech­sel­ber­ger: „Die könn­ten der­ar­tige Sys­teme im eige­nen Haus ein­set­zen und Vor­komm­nisse, die von all­ge­mei­ner Bedeu­tung sind, häu­fi­ger als bis­her an CIRS wei­ter­mel­den. Das wäre ein gutes haus­in­ter­nes Qua­li­täts­ma­nage­ment und würde zugleich die über­re­gio­nale Wirk­sam­keit eines sol­chen Warn­sys­tems sicher stel­len.“

An alle, die Zugang zum Sys­tem haben (siehe Kas­ten) appel­liert Wech­sel­ber­ger, sich ver­stärkt an den Dis­kus­sio­nen zu betei­li­gen, die das Sys­tem ermög­licht: „Jeder, der sich enga­giert, kann zu den Mel­dun­gen im Sys­tem Stel­lung bezie­hen, das erwei­tert den Blick­win­kel und führt unter Umstän­den zu Lösun­gen, die bis­her noch nicht gefun­den wur­den.“ Erfreu­lich ist, dass die vor der Ein­füh­rung des CIRS hit­zig dis­ku­tier­ten Fra­gen des Daten­schut­zes in der Pra­xis keine Rolle spie­len. Von den ins­ge­samt 126 Berich­ten, die bis­her ein­ge­gan­gen sind, wur­den nur fünf gelöscht – es han­delte sich dabei um Beschwer­den; die Anony­mi­tät der Infor­man­ten ist und bleibt garantiert.

Womög­lich noch erfreu­li­cher: Jene Fach­ex­per­ten, die von den CIRS-Ver­ant­wort­li­chen um Stel­lung­nah­men gebe­ten wer­den, um mög­lichst fun­dierte Lösungs­an­sätze zu fin­den, betei­li­gen sich gerne an dem Sys­tem und machen mit. Wech­sel­ber­ger: „Und zwar unent­gelt­lich. Das zeigt, wie groß die Wert­schät­zung von CIRS in den weni­gen Mona­ten sei­nes Bestehens gewor­den ist!“

Wie funk­tio­niert CIRS?

CIRS ist die Abkür­zung für Cri­ti­cal Inci­dent Report­ing Sys­tem (Berichts­sys­tem für kri­ti­sche Vor­komm­nisse). Mel­dun­gen über Feh­ler und Bei­nahe-Feh­ler kann grund­sätz­lich jeder erstat­ten, der im Gesund­heits­we­sen beschäf­tigt ist und Zugang zu der dafür ein­ge­rich­te­ten Seite CIRSmedical.at im Inter­net hat: Ärzte, Schwes­tern, Pfle­ge­per­so­nal, und auch die Pati­en­ten­an­walt­schaf­ten oder Selbst­hil­fe­grup­pen von Patienten.

Sich an dem Feh­ler­mel­de­sys­tem zu betei­li­gen, ist nicht schwie­rig. Jeder, der zum Sys­tem über einen Link auf der Home­page sei­ner Inter­es­sens­ver­tre­tung zugreift, kann über eine Maske anonym Feh­ler und Feh­ler­quel­len auf­zei­gen, wel­che für die Sicher­heit im Gesund­heits­we­sen von Bedeu­tung sind. Das kön­nen Feh­ler, Bei­nahe-Schä­den, ent­deckte Risi­ken, kri­ti­sche oder auch uner­wünschte Ereig­nisse sein, wobei es sich um Vor­fälle han­deln muss, die von den berich­ten­den Per­so­nen selbst wahr­ge­nom­men wur­den, die sich in Öster­reich zuge­tra­gen haben und die inhalt­lich von Bedeu­tung sind.

Esther Tha­ler, Geschäfts­füh­re­rin der ÖQMed: „Die Teil­nahme an dem Berichts­sys­tem erfolgt auf frei­wil­li­ger Basis. Wir garan­tie­ren, dass jeder, der einen Feh­ler mel­det oder eine Feh­ler­quelle bekannt macht, anonym bleibt und kei­ner­lei Sank­tio­nen befürch­ten muss.“

Die Feh­ler­mel­dun­gen wer­den von den Fach­leu­ten in der ÖQMed erfasst und bear­bei­tet. Wenn ein der­ar­ti­ger Feh­ler bereits in einem ande­ren CIRS – bei­spiels­weise in einem Spi­tal – auf­ge­zeich­net wurde, wird der neue Bericht sofort online gestellt. Han­delt es sich um eine neu auf­ge­tre­tene Feh­ler­quelle, wird die Mel­dung von Exper­ten über­prüft. Ein ent­spre­chen­der Pool rekru­tiert sich unter ande­rem aus Ver­tre­tern der medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten und Fach­grup­pen, Exper­ten aller Gesund­heits­be­rufe, Ver­tre­ter aller Gesund­heits­ein­rich­tun­gen, die daran teil­neh­men, bestimmte Sozi­al­ein­rich­tun­gen wie Kran­ken­ver­si­che­rungs­trä­ger, Trä­ger von Rehab-Zen­tren oder Pfle­ge­hei­men. Fach­leute kom­men­tie­ren die Mel­dung und erar­bei­ten Lösungs­vor­schläge, wel­che dann ver­öf­fent­licht wer­den.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2010