Ärztliche Hausapotheken: Nahversorgung ist Energie-schonend

25.05.2010 | Politik

Durch die Ausweitung der Apothekenschutzzone sowie eine – rein hypothetische – Abschaffung aller hausärztlichen Apotheken müssten mehr als 115 Millionen zusätzliche Kilometer zurückgelegt werden, wie eine Studie des Energieinstituts der Johannes Kepler-Universität Linz ergab.
Von Ruth Mayrhofer

Im Herbst 2009 beauftragte die Ärztekammer Niederösterreich das Energieinstitut der Johannes Kepler-Universität in Linz mit einer Analyse energetischer und ökologischer Effekte von geplanten, aber auch hypothetischen Änderungen des Apotheken-Gesetzes in Bezug auf die zu erfüllenden Voraussetzungen zur Haltung einer hausärztlichen Apotheke. Da auch in der Europäischen Union sowie in Österreich und seinen Gebietskörperschaften die Reduktion des Energieverbrauchs, die Steigerung der Energieeffizienz und die damit korrelierende Reduktion der Treibgasemissionen prioritäre umwelt- und wirtschaftspolitische Themen darstellen, sind die Studien-Ergebnisse genauso in einem grenzüberschreitenden Kontext zu sehen. Und diese sind nicht nur erstaunlich, sondern auch bedenklich.

Der zentrale Parameter der Studie ist die Veränderung des Treibstoffverbrauches durch zusätzliche Fahrten zu Apotheken sowie Änderungen in der Beschaffungslogistik der Apotheken/Hausapotheken, die sich wie folgt ergeben:
Szenario 1: Die Ausweitung der „Apotheken-Schutzzone“ von vier auf sechs Kilometer gemäß der Änderung des § 29 Apothekengesetz in der Apothekengesetz-Novelle 2006;
Szenario 2: Alle Hausapotheken werden aufgelassen;
Szenario 3: Ein allgemeines Dispensierrecht für Hausärzte wird erlassen.

Die Studie beinhaltet allerdings keinerlei Analyse der gesundheitspolitischen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Gesetzesänderung sowie der hypothetischen Änderungen, wie sie in den Szenarien 2 und 3 angenommen wurden.

„Die Analysen der Änderung des Mobilitätsverhaltens ergeben, dass sowohl die Ausweitung der Apothekenschutzzone als auch eine hypothetische Abschaffung aller hausärztlichen Apotheken ein zusätzliches Verkehrsaufkommen bewirken“, erklärte der Direktor des Energieinstituts an der Johannes Kepler-Universität Linz, Horst Steinmüller. Dabei steigen die zurückgelegten Kilometer im Zuge einer Medikamentenbeschaffung in Folge eines Arzt- oder eines Hausbesuches deutlich an. Dahingegen werden die Fahr-Kilometer im Logistikprozess reduziert. Insgesamt würden in Österreich allein durch die Ausweitung der Apothekenschutzzone jährlich stolze 12,3 Millionen Kilometer mehr als bisher zurückgelegt, wenn aufgrund der seit 2006 gültigen Rechtslage alle Hausapotheken im Umkreis von vier bis sechs Kilometer um eine öffentliche Apotheke geschlossen werden. Bei einer hypothetischen Auflassung aller ärztlichen Hausapotheken würde sich diese Zahl auf 103,2 Millionen Kilometer zusätzlich belaufen.

Dieser gestiegene Mobilitätsbedarf bewirkt neben den Auswirkungen auf den Verkehr an sich weitere ökologische Effekte im Zuge der Emissionen von Luftschadstoffen und Treibhausgasen. So werden in Österreich durch die Ausweitung der Apothekenschutzzone bei Wegfall aller betroffenen Hausapotheken jährlich um rund 1.700 Tonnen mehr an Kohlendioxid-Emissionen frei gesetzt, bei einer Auflassung aller hausärztlichen Apotheken pro Jahr etwa um 14.100 Tonnen mehr Kohlendioxid emittiert.

Im Gegensatz dazu, betonte Horst Steinmüller, bewirkt ein uneingeschränktes
Dispensierrecht für alle Hausärzte eine Reduktion des Mobilitätsbedarfs und somit auch eine Verringerung der Luftschadstoff- und Treibhausgas-Emissionen. In diesem Szenario werden in ganz Österreich jährlich um 62,35 Millionen Kilometer weniger zurückgelegt. Als Konsequenz eines unlimitierten Dispensierrechtes werden somit – so die Studie – aufgrund des geringeren Mobilitätsbedarfs jährlich um 19.325 Tonnen weniger Kohlendioxid freigesetzt als bei einer Auflösung aller hausärztlichen Apotheken. Alle genannten Daten wurden aufgrund niederösterreichischer Ergebnisse auf ganz Österreich hochgerechnet. Bei der Studie wurden übrigens lediglich Ärzte mit Kassenvertrag berücksichtigt, deren Patienten mit einem Arzneimittel-Rezept die Apotheke aufsuchen.

Finanzieller Schaden für Patienten

„Bereits aus ökologischer Sicht sind daher Hausapotheken höchst sinnvoll“, stellte Christoph Reisner, Präsident der Ärztekammer für Niederösterreich, anlässlich der Präsentation der neuen Daten fest. „Man darf jedoch den zusätzlichen Aufwand für die Patienten nicht vergessen: Allein aufgrund der Ausdehnung der Apothekenschutzzone müssen diese – zieht man das amtliche Kilometergeld zur Berechnung heran – mittelfristig mit 15 Millionen Euro Mehrausgaben rechnen. Schafft man die Hausapotheken gänzlich ab, beläuft sich diese Summe auf mehr als 200 Millionen Euro“. Abseits dessen stellt Reisner die Frage: „Was machen ältere Patienten, die nicht mehr mobil sind, oder Nicht-Autofahrer, oder Menschen, die in einem Umfeld einer mangelnden Infrastruktur leben?“

Daher appelliert Reisner für eine gesetzliche Streichung der Apothekenschutzzone im Interesse der Patienten: „Wir müssen trachten, dass Patienten schnell und unbürokratisch zu den von ihnen benötigten Arzneimitteln kommen“, und kritisiert, dass die Situation derzeit „weit weg vom angestrebten One-Stop-Shop, wie etwa in Ämtern bereits üblich“, sei. Für Reisner spricht daher alles für ein „friedliches Miteinander“ von Ärzten und Apotheken, umso mehr, als es erstens schon Kooperationsformen gäbe, die auch funktionierten, und zweitens es lediglich um die Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln, genauso wie sie der Arzt verordnet, ginge. „Die Apotheken brauchen nicht um ihre Umsätze zu fürchten“, betont der Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer.

Wolfgang Geppert, Medikamentenreferent der Ärztekammer für Niederösterreich und niedergelassener Allgemeinmediziner in Wilfersdorf im Weinviertel, sorgt sich bereits jetzt um die Versorgung seiner Patienten, wenn er in absehbarer Zeit in den Ruhestand tritt. „Ich bin zurzeit der letzte Hausarzt mit Apotheke in meinem Dienstsprengel“, stellt Geppert fest. „Mein Nachfolger – falls ich überhaupt einen finde – wird keine Hausapotheke mehr führen dürfen“. Das bringt, so der Arzt, der auch für das Hilfswerk tätig ist, zusätzlich auch in anderen Bereichen Probleme mit sich. „Allein 2009 wurden bei der Hilfswerk-Hauskrankenpflege 7.239 Einsatzstunden gezählt. Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich die Zahl der betreuten Pflegefälle von 20 auf 37 erhöht. Derzeit holt sich die Pflegekraft die benötigten Arzneimittel für diese Patienten aus der Ordination ab und bringt sie zu den von ihr Betreuten.“ Ändert sich die Situation, müssten die Arzneimittel in Mistelbach besorgt werden. Für Geppert ist ein Zurückfahren der ärztlichen Hausapotheken daher „eine Gefährdung der landärztlichen Versorgung der Patienten“.

Fazit von Reisner: „Die derzeitige Situation lässt sich nur durch einen Nationalratsbeschluss ändern. Derzeit orte ich leider keinerlei Bereitschaft zur Verbesserung der Situation der Landbevölkerung“, ein Vorwurf, den er auch in Richtung der starren Haltung der Apothekerschaft in Sachen Hausapotheken macht. Und er stellt die Frage: „Wann wird die Vernunft im Sinne der Patienten endlich siegen?“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2010