2. Österreichischer Gesundheitswirtschaftskongress: Ineffizienz ist unethisch

10.04.2010 | Politik



Rund 300 in- und ausländische Experten waren zum 2. Österreichischen Gesundheitswirtschaftskongress Ende Feber in Wien gekommen.

Von Anton Sinabell*

Im Eröffnungsvortrag bei der in Kooperation mit der Plattform Gesundheitswirtschaft der Wirtschaftskammer Österreich durchgeführten Veranstaltung ging Prof. Ilona Kickbusch vom Graduate Institute Genf auf die Chancen, aber auch auf die Gefahren für den Patienten ein, die dadurch entstehen, dass man den Gesundheitsbereich als neue wirtschaftliche Triebkraft identifiziert hat. Gesundheit und Wellness stellen sich als die zentralen Motive unserer Gesellschaft heraus, in einem Umfeld in dem zwar widersprüchliche aber verkoppelte Triebkräfte am Werk sind. In einer vierfachen Expansion entwickeln sich der Staat, die Gesundheitssysteme und der Markt. Der vierte Eckpfeiler, das Individuum, ist abwechselnd Bürger, Konsument und Patient und hat dadurch oft widersprüchliche Erwartungen an das Gesundheitssystem. Probleme treten dann auf, wenn die Expansionsgeschwindigkeiten dieser Bereiche nicht aufeinander abgestimmt sind. Und auch der Patient befindet sich im Wandel: War er aus heutiger Sicht in den 1960er Jahren noch ein bevormundeter Patient, so ist er derzeit auf dem besten Weg, ein kompetenter Patient zu sein – „Mitverantwortung statt Eigenverantwortung – denn Gesundheit ist ein Co-Produkt“, so Kickbusch.

Der riesige Anteil, den die Informationstechnologie zu dieser Entwicklung beiträgt, hat allerdings auch den Effekt, dass ein Zutritt zu dieser Technologie die Voraussetzung für die Informations-Demokratisierung darstellt. Die Leistungserbringer registrieren, dass die Patienten bereits ein Vorwissen mitbringen, und das in der unterschiedlichsten Quantität und Qualität. Schweizer Studien zufolge gibt es unter den Patienten zehn Prozent funktionelle Analphabeten.

Die Spezialisierung auf allen Ebenen führt zur Entstehung neuer Gesundheitsberufe und zu komplexen Behandlungssystemen, die aber die Anzahl der Schnittstellen erhöhen und „Navigationshilfen“ erfordern. Die oft widersprüchlichen Faktoren der Patienten/Konsumentenerwartungen im Gegensatz zu begrenzten öffentlichen Budgets erzwingen eine adäquate Marktentwicklung mit neuen Organisationsformen und Partnerschaften. Diese Aspekte werden vermehrt in einem länderübergreifenden Kontext zu sehen sein, denn die Migration der Professionisten ist bereits ein großes Thema, jenes der Patienten wird bald eines werden.

Gleichsam als praktische Illustration dieser Analysen schloss sich eine prominent besetzte Podiumsdiskussion an, an der unter anderen Gesundheitsminister Alois Stöger, Martin Gleitsmann (Wirtschaftskammer Österreich), Arno Melitopulos (Gesundheit Österreich GmbH) und Jan Pazourek (WGKK) teilnahmen. Einig war man sich darüber, dass die Gesundheitsbranche zwar eine wirtschaftlich stabile sei, wenngleich die Sonderstellung des Gesundheitswesens dieses zu einem äußerst atypischen Markt machen. Die von Kongresspräsident Wilhelm Marhold (Wiener Krankenanstaltenverbund) gewünschte „neue Qualität in der Diskussion“ wurde unter Beteiligung des Publikums nur kurz durch einen Wortwechsel durchbrochen; dadurch war jedoch das Konfliktpotential zwischen öffentlicher Finanzierung und industriellen Interessen erkennbar. Der Rest der Veranstaltung war geprägt von einem überwiegend konsensualen Neben- und Miteinander, wobei die Diskussionen und Wortmeldungen wesentlich gehaltvoller ausfielen als bei sonstigen Veranstaltungen dieser Art, wozu sicher auch die praxisnahe Referentenliste beigetragen hat.

In mehreren, teilweise parallel abgehaltenen Blöcken widmete man sich in Folge
differenzierten Themenkomplexen wie „Erfolgsmodellen für das Gesundheitswesen“, „Markenmedizin“, „Outsourcing und strategische Partnerschaften“, „Wachstum durch Demographie“, „Personalrecruiting“, „Komplexität und IT“. Oberflächlich betrachtet wirken diese Themen wie singuläre Spezialthemen, im Detail zeigt sich aber die Vernetzung und die Interaktion dieser Teilbereiche.

In der Schlussrunde fanden sich mehrere Manager sowohl von öffentlichen als
auch privaten Trägern am Podium. Aufgrund der bohrenden Fragen des Moderators, ob „Krankenhäuser ein Wirtschaftsunternehmen seien oder nicht“, führten die Antworten je nach beleuchtetem Aspekt zu einem anderen Ergebnis – und der Moderator kam am Ende zu einem „Jein“. Die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit steht dabei aber exemplarisch für jede leistungserbringende
Organisation im Gesundheitswesen.

Krankenhäuser (Institute, Ambulatorien, eigene Einrichtungen, Gemeinschaftspraxen, Ordinationen etc.) setzen modernste Managementtools ein, so wie jeder andere Wirtschaftszweig auch. Unter diesem Aspekt wird die Frage zu bejahen sein. Gleichzeitig bewegt man sich jedoch in „Märkten“, die je nach Ansicht entweder keine Märkte sind oder eben nach sehr eigenwilligen Regeln funktionieren. Die Abgangsdeckung – jedenfalls für die Träger, für die sie zutrifft – stellt einen Aspekt dar, der für Wirtschaftsunternehmen untypisch ist.
Das Aufeinandertreffen von marktwirtschaftlich orientiertem Management und quasi-„planwirtschaftlichen“ Strukturen einer zentralen Gesundheitsplanung ist ein weiterer Systemwiderspruch ohne wirkliche Alternative dazu, seine Auflösung aber die Vorrausetzung für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Qualität im Gesundheitssystem.

*) Mag. Anton Sinabell ist in der ÖÄK für die Bereiche Statistik und Volkswirtschaft verantwortlich

Zitiert

Im Zuge der Diskussionen zeigten sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der einzelnen Leistungserbringer, ihre Selbstdefinition und ihre Positionierung im ersten oder zweiten Gesundheitsmarkt, der als die positive Alternative zur „Zwei-Klassen-Medizin“ gesehen wird.

„Der Patient hat keine Marktposition, deshalb ist Gesundheit ein öffentlicher Auftrag“. (Stöger)

„Ich bin dagegen, den Gesundheitsmarkt zu feiern, wenn man gleichzeitig den öffentlichen Bereich niederspart“. (Pazourek)

„Kreatives Management ist die Frage, nicht die Trägerschaft…..das einzige, was uns unterscheiden sollte (öffentlich zu privat; Anm.) ist die Gewinnverwendung“ (Marhold)

„Nicht ‚öffentlich‘ ist das Problem, sondern ‚politisch‘ ist das Problem“. (Strehlau, Hessische Krankenhausgesellschaft)

„Die Welt ist dabei, sich zu verändern, wir brauchen eine Vernetzung von Sicherheit und Flexibilität….. Wir werden die Frauen in der Führung brauchen“. (Böhm, Goldenes Kreuz)

„Das Krankenhaus ist erst seit kurzem eine Organisation, früher war es eine Sammlung von Einzelimperien“. (Harnoncourt, Elisabethinen)

„Ineffizienz ist unethisch“. (Hadschieff, PremiaMed Management GmbH Wien)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010