2. Gesund­heits­po­li­ti­sches Sym­po­sium: Ähn­li­che Pro­bleme und Lösungen

25.02.2010 | Politik


Ähn­li­che Pro­bleme und Lösungen 

Die Pro­bleme, mit denen die neuen deut­schen Bun­des­län­der zu kämp­fen haben, sind jenen in Öster­reich nicht unähn­lich: der zuneh­mende Frau­en­an­teil in der Medi­zin, die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung bei Pati­en­ten und Ärz­ten und eini­ges mehr, wie sich beim zwei­ten Erfah­rungs­aus­tausch in Wien zeigte. Von Agnes M. Mühlgassner 

Deutsch­land und Öster­reich sind eine Kon­stante in Europa, die den Fort­schritt vor­an­trei­ben“ – davon zeigte sich ÖÄK-Prä­si­dent Wal­ter Dor­ner in sei­nem Ein­gangs-State­ment beim 2. Gesund­heits­po­li­ti­schen Sym­po­sium, zu dem die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer Ende Jän­ner in ihre Räum­lich­kei­ten gela­den hatte, über­zeugt. „Viel­leicht sind die deutsch­spra­chi­gen Län­der jener Bereich, die die­ses Mit­tel­eu­ropa zusam­men­hal­ten. Sol­che Ver­an­stal­tun­gen wie das 2. Gesund­heits­po­li­ti­sche Sym­po­sium tra­gen im Selbst­ver­ständ­nis dazu bei“, so der ÖÄK-Prä­si­dent. Nach dem gro­ßen Erfolg der Ver­an­stal­tung im Vor­jahr waren auch heuer zahl­rei­che Reprä­sen­tan­ten der Spit­zen­po­li­tik, der Kran­ken­haus­ge­sell­schaf­ten, der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung sowie der Lan­des­ärz­te­kam­mern aus den neuen deut­schen Bun­des­län­dern, mit denen es Freund­schafts­ver­träge gibt, gekom­men: aus Bran­den­burg, Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen. Auch die Bot­schafts­rä­tin aus Deutsch­land, Chris­tiane König, nahm am Sym­po­sium teil. 

„Wir haben den Vor­teil und die Chance, dass uns ähn­li­che Pro­bleme und Lösungs­an­sätze ver­bin­den“, erklärte Ste­phan Helm von der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft Sach­sen in sei­nem Ein­gangs- State­ment. Schil­der, auf denen steht, „es wird pol­nisch gespro­chen“ seien nur einer der Aspekte – nicht nur auf Pati­en­ten bezo­gen, son­dern auch bei Ärz­ten und Schwes­tern komme dies ver­mehrt vor. „Eine Ent­wick­lung, der wir uns gerne stel­len“, wie Helm betonte. In der 13 Mil­lio­nen Ein­woh­ner umfas­sen­den Region der neuen deut­schen Bun­des­län­der handle es sich durch­wegs um sehr moderne, teil­weise im Neu­bau befind­li­che Kran­ken­häu­ser, die noch dazu in vie­len Regio­nen die „ein­zig ver­blie­be­nen Arbeit­ge­ber mit sta­bi­len Arbeits­plät­zen sind“, so Helm. Ein Arbeits­platz im Kran­ken­haus sichere 2,5 Arbeits­plätze im Umfeld, habe eine Stu­die erge­ben. „Das ist in Deutsch­land auch bei den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern ange­kom­men“, wie Helm betonte. Des Wei­te­ren sei auch zu beob­ach­ten, dass immer mehr Frauen in den Arzt­be­ruf drän­gen und dem­entspre­chend fami­li­en­freund­li­che Arbeits­zei­ten und Rah­men­be­din­gun­gen wie Kin­der­gär­ten ein Thema sind. 

Und die neuen deut­schen Bun­des­län­der suchen noch immer Ärzte: Die Zahl der offe­nen Stel­len glie­dert sich wie folgt: 159 in Bran­den­burg, 358 in Sach­sen, 270 in Sach­sen-Anhalt und 170 in Thü­rin­gen; für Meck­len­burg-Vor­pom­mern wur­den keine Anga­ben gemacht. Zu den Top 10 der Fach­rich­tun­gen, in denen die meis­ten Ärzte gesucht wer­den, zäh­len Chir­ur­gie, Interne, Anäs­the­sie, Gynä­ko­lo­gie, Päd­ia­trie, Radio­lo­gie und Neu­ro­lo­gie. Helm berich­tete auch über ein wei­te­res Phä­no­men, die „Ruck­sack-Anäs­the­sis­ten“. Zwar ver­füge man über genü­gend Anäs­the­sis­ten; aller­dings wähl­ten diese immer die attrak­tivs­ten Jobs aus – meist zeit­lich befris­tet – und fehl­ten dann dort, wo sie dau­er­haft not­wen­dig wären. 

Auf eine wei­tere Ent­wick­lung – die auch in Öster­reich zuneh­mend ein Thema wird – machte Gösta Hee­le­mann von der Kran­ken­haus­ge­sell­schaft Sach­sen- Anhalt auf­merk­sam: die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung, die zu Pro­ble­men mit der Leis­tungs­fi­nan­zie­rung führe. In den Not­fall­am­bu­lan­zen wie­derum ver­zeichne man zwei­stel­lige Zuwachs­ra­ten; spe­zi­ell nach 17h. Als Lösung dafür ließ sich der Gesetz­ge­ber in Deutsch­land die MVZs (Medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­tren) ein­fal­len, die ja in ähn­li­cher Form in Öster­reich geplant waren (AVZ; Ambu­lante Ver­sor­gungs­zen­tren). Neu hin­ge­gen sind hoch­spe­zia­li­sierte Ambu­lan­zen, die es seit zwei Jah­ren gibt und „wo in Deutsch­land ein unend­li­ches poli­ti­sches Gezänk darum ent­stan­den ist“, bemerkte Hee­le­mann. Kon­kret werde darum gestrit­ten, ob es sich tat­säch­lich um einen inte­grier­ten Ver­sor­gungs­auf­trag han­delt, weil es eine ein­pro­zen­tige Anschub-Finan­zie­rung gege­ben hat. 

Jens-Uwe Schreck war­tete mit einem Pro­blem auf, mit dem spe­zi­ell Bran­den­burg kon­fron­tiert ist: Obwohl die Bevöl­ke­rung weni­ger wird, wird sie krän­ker. Und: Trotz stei­gen­der Ärzte-Zah­len gibt es einen Ärz­te­man­gel. Schreck dazu: „Würde man die EU-Arbeits­zeit- Richt­li­nie umset­zen, bräuchte man um 27.000 Ärzte mehr“. Und die Demo­gra­phie zeigt ihre Aus­wir­kun­gen nicht nur bei den Pati­en­ten, son­dern auch bei den Ärz­ten: In Deutsch­land ist jeder vierte Arzt über 60 Jahre alt. 

Infor­ma­tio­nen dar­über, wie denn nun die MVZs tat­säch­lich funk­tio­nie­ren, lie­ferte Dipl. med. Regina Feld­mann von der Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung Thü­rin­gen. Die MVZs wur­den direkt in Kran­ken­häu­sern gegrün­det, erklärte sie, „aber sie ste­hen hin­ter der Leis­tungs­fä­hig­keit eines nie­der­ge­las­se­nen Arz­tes deut­lich zurück.“ Ziel bei der Ein­füh­rung: der dro­hen­den Man­gel­ver­sor­gung v.a. im länd­li­chen Bereich ent­ge­gen­zu­wir­ken. Ein wei­te­rer Aspekt kommt zum Tra­gen: Nach der Wende hät­ten viele Men­schen – vor allem junge – Thü­rin­gen ver­las­sen. Das Durch­schnitts­al­ter der Haus­ärzte liegt bei 50 Jah­ren. Die Bevöl­ke­rung wird in Thü­rin­gen zurück­ge­hen; trotz­dem wir eine 4,8 Pro­zent höhere Inan­spruch­nahme von Leis­tun­gen regis­triert. Und es gibt auch schon „Rent­ner-MVZs“: Da schon jetzt Augen­ärzte, Neu­ro­lo­gen, Uro­lo­gen und Kar­dio­lo­gen feh­len, bie­tet man Ärz­ten, die bereits in Pen­sion sind, an, in sol­chen MVZs zusam­men zu arbeiten… 

Auch jun­gen Kol­le­gen will man den Start erleich­tern: Die Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gung rich­tet Ordi­na­tion ein, stellt die Ange­stell­ten ein und betreut den Arzt in der Anfangs­phase. Nach einem Jahr kann sich die­ser ent­schei­den, ob er die Pra­xis zum Zeit­wert kau­fen will. Hin­ter­grund für die­ses Ange­bot ist die Tat­sa­che, dass viele junge Ärzte das Risiko einer Ordi­na­ti­ons­grün­dung und dem­entspre­chende Inves­ti­tio­nen nicht in Kauf neh­men woll­ten. Wal­ter Dor­ner bringt Erfah­run­gen aus dem Besuch einer Lehr­pra­xis in der Stei­er­mark und Gesprä­chen mit jun­gen Kol­le­gen. Einer der Jung­ärzte hätte ihm dort erklärt, „sich nicht zu Tode arbei­ten zu wol­len“. Die jun­gen Ärzte woll­ten zu fünft, zu sechst zusam­men in einer Ordi­na­tion arbei­ten. „Das ist auto­ma­tisch ein Qua­li­täts­zir­kel. Dann brau­chen wir auch keine minis­te­ri­elle Ver­ord­nung mehr dafür.“ 

Den Grund, warum in Öster­reich doch eini­ges anders ist als in Deutsch­land, sieht Gesund­heits­mi­nis­ter Alois Stö­ger in den Rah­men­be­din­gun­gen, die hier anders sind. „Es gibt einen ande­ren Umgang mit der Ärz­te­schaft, mit Pla­nun­gen und das Bemü­hen, viele Punkte ein­ver­nehm­lich zu regeln.“ Auch sei die Sozi­al­part­ner­schaft aus­ge­präg­ter. Und Stö­ger zog eine posi­tive Bilanz dar­über, was man im Vor­jahr alles zuwege gebracht habe: zusätz­li­ches Geld für die Kran­ken­ver­si­che­rung, Abkom­men mit der Phar­ma­in­dus­trie. „Das soll aber nicht hei­ßen, dass Gesund­heits­fra­gen auch Kos­ten­fra­gen sein dür­fen. Die Gesund­heits­po­li­tik darf nicht dem Kos­ten­dik­tat unter­ge­ord­net wer­den“, betonte der Minister. 

Die Frage, wie man den medi­zi­ni­schen Fort­schritt finan­zie­ren, die Kos­ten­ent­wick­lung in den Griff bekom­men wolle, beant­wor­tete Stö­ger wie folgt: „Es ist eine Frage der Ver­tei­lung“ – und nannte als Bei­spiel den Kauf der Hypo-Alpe- Adria-Bank, die die Bun­des­re­gie­rung hat „kau­fen müs­sen – kön­nen – dür­fen.“ Die zen­tra­len Fra­gen seien: was kos­tet etwas in der Medi­zin und: was muss die Volks­wirt­schaft leis­ten? Das Thema dürfe man nicht krank­haft dog­ma­tisch behan­deln. „Es ist nicht zu wenig Geld da, son­dern: wie ver­teilt man es rich­tig? Und auch Stö­ger stellte klar: „Das Gesund­heits­we­sen ist ein Sys­tem, in dem Wert­schöp­fung pas­siert.“ Die Bran­che, die in Zei­ten der Krise die Arbeits­plätze erhal­ten habe, sei das Gesund­heits­we­sen. Wie Stö­ger der schlei­chen­den Ent­so­li­da­ri­sie­rung – jeder will alles und zu jeder Zeit – im Gesund­heits­we­sen ent­ge­gen wir­ken will? „Diese Aus­ein­an­der­set­zung wer­den wir füh­ren müs­sen“- meinte er und erteilte gleich­zei­tig allen Über­le­gun­gen für eine Prio­ri­sie­rung eine klare Absage. 

Wie Artur Wech­sel­ber­ger, 1. Vize­prä­si­dent der ÖÄK, betonte, sei der Aus­tausch zwi­schen den bei­den Staa­ten aus einem Man­gel ent­stan­den. In Öster­reich hätte es einen Man­gel an Aus­bil­dungs­stel­len gege­ben, in Deutsch­land einen Man­gel an jun­gen Ärz­ten. „Mit die­sem Pro­gramm des Inter­na­tio­na­len Büros gibt es die Mög­lich­keit, über die Gren­zen hin­aus zu schauen“, zog Wech­sel­ber­ger ein posi­ti­ves Resü­mee. Denn: „Bis 2015 wird das Pro­blem mit unse­ren Aus­bil­dungs­stel­len gerin­ger, dafür wer­den wir in den Ver­sor­gungs­man­gel kommen“. 

Kran­ken­häu­ser sind Wachstumsmotoren 

The­ma­ti­scher Schwer­punkt am zwei­ten Tag des Sym­po­si­ums war der „Wirt­schafts­fak­tor Medi­zin“. Dabei refe­rierte Tho­mas Czy­pionka vom Insti­tut für Höhere Stu­dien über die „Wert­schöp­fungs­ef­fekte des Wirt­schafts­sek­tors Gesund­heit“ – einen aus­führ­li­chen Bericht dar­über fin­den Sie in der ÖÄZ 3 vom 10. Feber 2010. 

Die Aus­füh­run­gen von Univ. Prof. Gott­fried Haber von der Alpe- Adria Uni­ver­si­tät Kla­gen­furt lie­ßen kei­nen Zwei­fel daran, dass die Kran­ken­an­stal­ten ein Wachs­tums­mo­tor und keine Kos­ten­falle sind. Auf­grund sei­ner Ana­ly­sen kommt der Experte zu fol­gen­dem Schluss: Wäh­rend in Öster­reich die Aka­de­mi­ker­quote im Durch­schnitt bei 9,6 Pro­zent liegt, beträgt sie in den Kran­ken­an­stal­ten 18,8 Pro­zent. Dar­über hin­aus wei­sen wei­tere 43,6 Pro­zent der Beschäf­tig­ten einen hohen Bil­dungs­grad auf (diplo­mier­tes bezie­hungs­weise Fach­per­so­nal). Das bedeu­tet letzt­end­lich, dass min­des­tens 62,4 Pro­zent der Mit­ar­bei­ter in einem Kran­ken­haus fach­lich hoch­qua­li­fi­ziert sind. Haber zu den wei­te­ren Effek­ten: „Die Jobs im Kran­ken­haus sind unab­hän­gig von der Kon­junk­tur und sta­bi­li­sie­ren über indi­rekte und sekun­däre Effekte auch andere Bran­chen“. So beschäf­ti­gen die Kran­ken­an­stal­ten unmit­tel­bar rund 4,1 Pro­zent der in Öster­reich Erwerbs­tä­ti­gen – inklu­sive Fol­ge­ef­fek­ten sind es sogar knapp 6,1 Pro­zent der Beschäf­tig­ten. Der Wert­schöp­fungs­an­teil (inklu­sive Fol­ge­ef­fekte) liegt damit bei etwa 4,4 Pro­zent. Zum Ver­gleich: für die Land­wirt­schaft beträgt die­ser Wert 1,5 Pro­zent, für das Bau­we­sen 6,2 Pro­zent und für den Tou­ris­mus 4,1 Prozent.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2010