10 Jahre akademie der ärzte: Fortbildung als Erlebnis gestalten

25.04.2010 | Politik

Frontale Vorträge bei der ärztlichen Fortbildung haben weitgehend ausgedient. Vielmehr steht der individuelle Lernprozess im Fokus nachhaltig wirksamer Wissensvermittlung, wie internationale Experten bei einer Enquete anlässlich des zehnjährigen Bestehens der „österreichischen akademie der ärzte“ erklärten.
Von Birgit Oswald

Vor allem Fragen der Umsetzung, der Methoden und der Messbarkeit von CPD (Continuing Professional Development) standen im Mittelpunkt der international besetzten Enquete Anfang April in Wien, die unter dem Motto „Kompetenz im Mittelpunkt – die Wirkung ärztlicher Fortbildung“ stand. ÖÄK-Präsident Walter Dorner zeigte sich in seiner Begrüßung über die erfolgreiche Bilanz der „österreichischen akademie der ärzte“ erfreut: „Mittlerweile gibt es 28 ÖÄK-Spezialdiplome, zwei ÖÄK-Zertifikate sowie zwei CPD-Weiterbildungen, wobei vergangenes Jahr 1.701 Bescheinigungen ausgestellt wurden.“ Auch die Abwicklung der Facharztprüfung sowie der Prüfungen zum Arzt für Allgemeinmedizin erfolgt hier. Seit ihrem Bestehen habe die Akademie wesentliche Schritte zur Qualitätssicherung des österreichischen Gesundheitswesens gesetzt; das Diplom-Fortbildungsprogramm dient sogar international als Vorbild. Dorner weiter: „Zentraler Punkt der Fortbildung in Zukunft muss jedenfalls die Umsetzung des erworbenen Wissens zum Nutzen des Patienten sein.“

Wolfgang Routil, Präsident der akademie der ärzte, erläuterte den Stellenwert und die zunehmende Bedeutung von Fortbildung angesichts der Explosion des Wissens. Die Fortbildung insgesamt stehe im Spannungsfeld zwischen Qualität (nur die am besten wirksamen Fortbildungsformate führen tatsächlich zu einer ärztlichen Verhaltensänderung im Sinn einer Verbesserung der Performance) und der Wirkung (unter welchen Bedingungen beginnt der Veränderungsprozess bei Ärzten zu greifen? Wie kann die Gültigkeit von übermitteltem Wissen gesichert werden?). Worum es im Letzten ginge, sei die Performance dem Patienten gegenüber. „Und diese setzt sich aus dem Wissen, den technischen Fertigkeiten und der Haltung zusammen“, resümierte der Fortbildungschef.

Mit der Überlegung für ein bedarfsorientiertes Angebot, das individuell auf die Bedürfnisse der Teilnehmer ausgerichtet ist, eröffnete Martina Kadmon, Oberärztin der Chirurgischen Universität Heidelberg und Koordinatorin der Lehre im Operativen Stoffgebiet, ihren Vortrag. Sie verwies auf die notwendige Vielschichtigkeit des Fortbildungsangebots, da das ärztliche Wirkungsgebiet heutzutage sehr breit gefächert ist. Nur so könnten alle Interessen und Kompetenzbereiche abgedeckt werden. Mediziner beschränken sich in ihren Tätigkeiten nicht mehr auf medizinische Fertigkeiten, sondern fungieren ebenso als kommunikative Schnittstelle zwischen Patienten und Angehörigen, sowie als Manager, Gesundheitsberater und Lehrer. Kadmon: „Diese Erweiterung des Berufsfelds sowie der ständige medizinische Fortschritt ziehen ein breites Fortbildungsspektrum nach sich, das am Bedarf zu konzipieren ist.“ Diese Bedarfsanalyse müsse allerdings nicht nur auf die inividuellen Bedürfnisse der Ärzte eingehen, sondern auch die Anliegen der Patienten und Angehörigen sowie der Institution einbeziehen.

Wissenslücken füllen

Die Selbsteinschätzung spielt bei der Erhebung des Fortbildungs-Bedarfs nach Ansicht von Kadmon eine große Rolle, denn „die Teilnehmer an einer Fortbildung kennen in vielen Fällen ihre persönliche Wissenslücke, an der gearbeitet werden kann und muss“. Den Aussagen der Expertin zufolge müssten die Themen aufeinander aufbauend angeboten werden. Um die Nachhaltigkeit des Wissens zu sichern, spricht sie sich für die Einbeziehung von interaktiven Elementen aus. Kadmon plädiert für weniger Frontalvorträge, da diese selten zielführend sind und empfiehlt kurze Impulsreferate mit langen Verarbeitungsphasen.

Auch Prof. Janet Grant vom Centre for Education in Medicine der Open University in Milton Keynes sieht Bedarfserhebungen als geeignetes Mittel, um individuell auf die Teilnehmer eingehen zu können. Ärzte sollen in ihrem Lernprozess nicht in Systeme mit vorgefertigtem Lehrplan gezwungen werden, nur weil diese messbar beziehungsweise sichtbar gemacht werden können. Es gehe um Ergebnisse. „Wirkungsvolles Lernen soll auf die spezifischen Bedürfnisse der Ärzte abgestimmt sein und sich auf ihre allgemeine berufliche Weiterentwicklung auswirken“, erklärte Grant. Follow-up Aktivitäten können die vermittelten Inhalte verstärken und in der Praxis vertiefen. Eine Messung der Outcomes von Continuing Professional Development (CPD) ist laut Grant aber unmöglich, weswegen der Lernprozess an und für sich unterstützt werden müsse. Als Beispiele für die breit gefächerten Lernmöglichkeiten nennt sie etwa Kurse im Krankenhaus, Lerngruppen, Zwischenfallbesprechungen, kollegiale Überprüfungen, Audits, Seminare, Beurteilungen und auch „Distance learning“ – ein Element, das bereits von der „Akademie“ umgesetzt wird.

Austausch fördern

Max Giger, Präsident des Schweizerischen Instituts für Ärztliche Weiter- und Fortbildung, bereichert die Palette der Lehrinhaltsvermittlung durch die Komponente des Multimedialen Einsatzes und befürwortet Lehrveranstaltungen im Workshop- Charakter, mit der eine aktive Beteiligung der Teilnehmer erreicht werden kann. „Auch das Aufzeigen der Effektivität und die Qualitätssicherung der Fortbildung ist wichtig“, betont Max Giger. Die Lehrveranstaltungen sollen in jedem Fall Problem-basiert sein und definierten Lernzielen folgen. Frontalunterricht zu vermeiden und den Austausch der Ärzte untereinander zu fördern, da auf diesem Weg nachhaltig gelernt und viele praktische Fähigkeiten erworben werden können, darin ist Giger einer Meinung mit Grant.

Welche konkreten Auswirkungen diese neuen Erkenntnisse nun haben, stand im Mittelpunkt der anschließenden Podiumsdiskussion. Kadmon machte auf die Tatsache aufmerksam, dass 90 Prozent der Ärzte nicht an Institutionen beschäftigt sind, wo dieser kollegiale Austausch möglich ist. Ärzte in Ordinationen seien oft isoliert und hätten nicht so leicht Zugang zu Kommunikation mit Kollegen. Als Lösung schlägt sie eine Plattform vor, im Rahmen derer ein solcher Austausch stattfinden könnte. Wolfgang Routil warnt vor der Kontrolle der Fortbildung durch den Staat, betont jedoch gleichzeitig die Wichtigkeit einer ausführlichen Dokumentation derselben.

„Fortbildung muss ein Mix sein, der nicht nur passiv vor dem Computer stattfinden darf“, warf Giger in die Diskussion ein und meinte außerdem: „Fortbildungsangebote in einem abwechslungsreichen Stil sind immer gut gebucht, schlechte Lehrveranstaltungen nicht“. Allerdings warnte er davor, Fortbildung dazu zu benutzen, Patienten zu akquirieren. Kadmon bringt die Interdisziplinarität ins Spiel, wenn sie meint: „Diese verlangt zunehmend ein individualisiertes Angebot an Fortbildungsmöglichkeiten. Das klassische Beispiel hierzu ist die Onkologie“. Dennoch müsse das Angebot expertenorientiert sein, um Qualität zu garantieren. Kadmon sieht viele Möglichkeiten, mit Hilfe derer die Inhalte vermittelt werden können, wie etwa elektronische Medien, Qualitätszirkel, praktische Trainings etc… „Wichtig ist nur, den Bedarf zu decken, dazu ist jedes Mittel erlaubt.“ Ein Problem sei nach wie vor die Messbarkeit, da die Messkriterien unklar sind.

Dass der Austausch mit Kollegen überaus wichtig ist, betonen Kadmon, Giger und Grant. „Das Gespräch zwischen Kollegen ist der Weg, wie Ärzte funktionieren“, so Grant. Demzufolge ist ihrer Meinung nach die „face to face-Kommunikation“ unter der Ärzten entscheidend. Grant weiter: „Isolierte Ärzte, die sich nicht austauschen, sind ein Risiko“ und sie plädiert dafür, sich auf die wesentlichen Aspekte zu konzentrieren. „Wir denken zu viel über Aspekte nach, die andere Kompetenzbereiche betreffen. Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren“, fordert Grant. Den Austausch zu fördern, lächerliche Fragen auszublenden und das System realistisch zu gestalten – das forderte die Expertin am Ende ihrer Ausführungen.

Die beiden Komponenten, auf denen Continuing Professional Development beruht, sind laut Routil folgende: Einerseits der situative Bedarf, der Ärzte betrifft, andererseits der objektive Bedarf, der relevant für die Gesellschaft ist. In diesem Zusammenhang betont der Fortbildungschef einmal mehr die Chancen von „blending learning“, das durch die Einbeziehung von vielen Lernmöglichkeiten eine breite Palette an Vermittlungswegen von Wissen zulässt. Auf diesem Weg ist es auch möglich, Zeitressourcen zu sparen, da viele Lerninhalte im Selbststudium erlernt werden können. „Das Ziel ist, Fortbildung als Erlebnis zu gestalten“, sagt Routil. Im Bildungsdschungel des 21. Jahrhunderts seien es vor allem drei Gruppen von Personen, wenn es um Fortbildung geht, wie es Dave Davis aus Toronto formuliert: Zehn Prozent sind „Fortbildungs- Tiger“, die Freude am Lernen haben und sehr viele Fortbildungen besuchen. Die meisten Ärzte gehören aber zu den „Lemmings“, die sich dadurch auszeichnen, dass sie „das machen, was alle machen“. Die „Black sheep“ hingegen sind diejenigen, die durch nichts und niemanden zur Fortbildung zu bewegen sind. Routil dazu: „Ich appelliere an die Politik: Verschont uns mit Maßnahmen, die sich an den ‚Black sheep’ orientieren. Orientieren wir uns an den Fortbildungs- Tigern. Denn wir müssen uns an den Besten orientieren“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2010