Tumor­bio­bank Graz: Größte Gewe­be­samm­lung Europas

10.03.2010 | Medizin


Die Samm­lung der Tumor­bio­bank Graz umfasst mitt­ler­weile die Gewe­be­pro­ben von mehr als 800.000 Pati­en­ten. Die For­schungs­schwer­punkte lie­gen dabei auf dem Mamma- und dem Kolon­kar­zi­nom sowie dem hepa­to­zel­lu­lä­ren Kar­zi­nom.

Von Sabine Fisch

Um Ant­wor­ten auf Fra­gen zur Ent­ste­hung und Ent­wick­lung von Tumor­ge­webe beant­wor­ten zu kön­nen, sollte eine zen­trale Tumord­a­ten­bank ent­wi­ckelt wer­den. Das war 2002 – In die­sem Jahr fiel der Start­schuss für eine umfas­sende und für For­schungs­zwe­cke zugäng­li­che Tumor­bio­bank in Graz. Die Vor­aus­set­zun­gen waren her­vor­ra­gend: Rund drei Mil­lio­nen in Par­af­fin kon­ser­vierte Gewebs­pro­ben bil­de­ten den Grund­stock für die Daten­samm­lung der Tumor­bio­bank in Graz. Dazu kamen noch rund 28.000 in flüs­si­gem Stick­stoff gela­gerte neuere Proben.

Mit der Grün­dung der Gra­zer Tumor­bio­bank wollte der Patho­loge Univ. Prof. Kurt Zat­lou­kal dazu bei­tra­gen, einem Miss­stand abzu­hel­fen, der For­scher bis dahin viel­fach behin­derte: „Es gab zwar immer wie­der grö­ßere Gewe­be­samm­lun­gen in den Uni­ver­si­täts­pa­tho­lo­gien, die waren aller­dings nur lokal ver­füg­bar.“ Und um die Ent­ste­hung, Wei­ter­ent­wick­lung, aber auch die The­ra­pie von Krebs­er­kran­kun­gen zu erfor­schen, wer­den rie­sige Men­gen an Pro­ben benö­tigt. All dies – und die Unter­stüt­zung des Öster­rei­chi­schen Genom­for­schungs­pro­jekts Gen-AU (siehe Kas­ten) machte die Tumor­bio­bank in Graz von Anfang an zu einem Erfolg und dies zu rela­tiv gerin­gen Kos­ten: Das erste Pro­jekt wurde mit 1,1 Mil­lio­nen Euro, das dar­auf fol­gende mit 1,7 Mil­lio­nen Euro geför­dert. Zum Ver­gleich: Die Kos­ten für die Bio­da­ten­bank in Groß­bri­tan­nien lagen bei rund 90 Mil­lio­nen Euro. 

Der Auf­bau der ers­ten ver­netz­ten Tumor­bio­ban­ken in Europa warf aller­dings eine ganze Reihe von Fra­gen auf: Wem gehö­ren die Pro­ben, die in den Daten­ban­ken gesam­melt wer­den? Muss der Pati­ent, dem die Probe ent­nom­men wird, in die Auf­be­wah­rung sei­nes Gewe­bes ein­wil­li­gen? Kön­nen die gesam­mel­ten Pro­ben und Daten von Pati­en­ten rück­ver­folgt werden?

Für Kurt Zat­lou­kal sind Tumor­bio­ban­ken nicht die Ursa­che, son­dern die Lösung für diese Pro­bleme: „Eine Bio­bank schafft defi­nierte Rah­men­be­din­gun­gen für For­schun­gen an Gewe­be­pro­ben, in dem stan­dar­di­sierte Pro­zesse ein­ge­führt wer­den.“ Dazu gehört für die Gra­zer Tumor­bio­bank etwa die Anony­mi­tät der Spen­der, der „infor­med con­sent“, bevor Pro­ben ent­nom­men wer­den und die umfas­sende Auf­klä­rung der Pati­en­ten dar­über, was mit den Gewe­be­pro­ben geschieht. Zat­lou­kal dazu: „Unsere Erfah­rung zeigt, dass viele Pati­en­ten gar nicht an einer detail­lier­ten Auf­klä­rung inter­es­siert sind. Sie wol­len – vor allem, wenn sie an einer Krebs­er­kran­kung lei­den – die For­schung unter­stüt­zen und stim­men daher der Samm­lung ihrer Gewe­be­pro­ben zu.“ 

Die Zustim­mung zur Kon­ser­vie­rung von Gewe­be­pro­ben erfolgt – nach einem Auf­klä­rungs­ge­spräch – in Form eines Doku­ments, das der Pati­ent unter­schreibt und mit dem er die Rechte an sei­nen Gewe­be­pro­ben in der Tumor­bio­bank groß­teils auf­gibt. Die­ser infor­med con­sent ist mitt­ler­weile natio­nal und inter­na­tio­nal Standard. 

Die Zustim­mung des Pati­en­ten zur Archi­vie­rung ist aller­dings erst seit etwa einem Jahr­zehnt Stan­dard. Zat­lou­kal steht zwar dem admi­nis­tra­ti­ven Auf­wand des „infor­med con­sent“ kri­tisch gegen­über, ist aber gleich­zei­tig davon über­zeugt, dass nur eine trans­pa­rente und offene Vor­gangs­weise das Anle­gen von Tumor­bio­ban­ken und die For­schung an Pati­en­ten­ge­webe rechtfertigt.

Die Gra­zer Bio­bank setzt auch euro­päi­sche Stan­dards um, um even­tu­elle daten­schutz­recht­li­che Pro­bleme gar nicht erst ent­ste­hen zu las­sen. So wer­den Arti­kel 21 und 22 der Bio­me­di­zin­kon­ven­tion der EU umge­setzt. Diese Arti­kel regeln das „Gewinn­ver­bot aus Kör­per­sub­stan­zen“ sowie den bereits beschrie­be­nen infor­med con­sent. „Es muss ein Kom­mer­zia­li­sie­rungs­ver­bot für Gewe­be­pro­ben bestehen“, zeigt sich auch Kurt Zat­lou­kal über­zeugt. „Aller­dings muss auch die Mög­lich­keit gege­ben sein, mit der Indus­trie zusam­men zu arbei­ten, etwa um neue Medi­ka­mente oder Dia­gnos­tika zu ent­wi­ckeln.“ In Öster­reich ist dem­zu­folge auch nicht vor­ge­se­hen, Pati­en­ten an mög­li­chen Gewin­nen aus der­ar­ti­gen Pro­jek­ten zu betei­li­gen – eine für den Exper­ten nach­voll­zieh­bare Vor­gangs­weise: „Man wird wahr­schein­lich nur in den sel­tens­ten Fäl­len kom­mer­zi­elle Erfolge eines Medi­ka­men­tes auf eine ein­zige Gewe­be­probe bezie­hungs­weise einen Pati­en­ten zurück­füh­ren kön­nen“. Dar­über hin­aus setze man bei der Ver­ar­bei­tung der Pro­ben auf best­mög­li­che Anony­mi­tät, was wie­derum im Wider­spruch zur Doku­men­ta­tion des Bei­tra­ges eines Pro­ben­spen­ders zu einem For­schungs­pro­jekt und etwa­igen dar­aus ent­stan­de­nem Pro­dukt stehe. 

Mitt­ler­weile sind Daten- und Gewe­be­pro­ben von mehr als 800.000 Pati­en­ten in der Gra­zer Bio­bank gesam­melt. For­schungs­schwer­punkte bil­den der­zeit das Mamma- und das Kolon­kar­zi­nom, aber auch das hepa­to­zel­lu­läre Kar­zi­nom. Warum begüns­ti­gen chro­ni­sche Stoff­wech­sel­er­kran­kun­gen das Leber­zell­kar­zi­nom? Wie kön­nen wir das hepa­to­zel­lu­läre Kar­zi­nom in Zukunft frü­her erken­nen? – das sind Kern­fra­gen der For­schungs­gruppe um Kurt Zat­lou­kal. So soll etwa die Ent­wick­lung von neuen Früh­erken­nungs­ver­fah­ren beim hepa­to­zel­lu­lä­ren Kar­zi­nom zu einer bes­se­ren Pro­gnose beitragen. 

Zat­lou­kal selbst kon­zen­triert sich in sei­nen For­schungs­ar­bei­ten der­zeit auf das Thema Leber­er­kran­kun­gen. Im Rah­men eines EU-Pro­jekts für Sys­tem­bio­lo­gie beschäf­tigt er sich mit der Frage, warum Men­schen, die das glei­che Risi­ko­pro­fil für Leber­er­kran­kun­gen auf­wei­sen, ver­schie­dene For­men die­ser Erkran­kun­gen ent­wi­ckeln. Zusam­men mit dem Max Planck-Insti­tut für mole­ku­lare Gene­tik in Ber­lin arbei­tet die Bio­bank Graz an einer Cha­rak­te­ri­sie­rung aller gene­ti­schen Ver­än­de­run­gen bei der Ent­ste­hung eines Kolon­kar­zi­noms. „Seit das humane Genom ent­schlüs­selt wurde, hat sich die Tech­no­lo­gie der DNA­Se­quen­zie­rung grob um den Fak­tor 1000 gestei­gert“, betont Zat­lou­kal. Mit den nun vor­han­de­nen Tech­no­lo­gien kann exakt fest­ge­stellt wer­den, wel­che gene­ti­schen Ver­än­de­run­gen in ver­schie­de­nen Tumor­sta­dien zusam­men­wir­ken und damit die Krank­heits­ent­ste­hung und den Ver­lauf einer Dick­darm­krebs­er­kran­kung bestim­men. „Wir gehen im Rah­men unse­rer For­schungs­ar­bei­ten immer stär­ker in Rich­tung indi­vi­dua­li­sierte Medi­zin“, fasst Zat­lou­kal zusammen. 

Die Gra­zer Tumor­bio­bank hat sich – seit ihrer Ent­ste­hung – stark gewan­delt. Mitt­ler­weile dient sie als inter­dis­zi­pli­näre For­schungs­in­fra­struk­tur für die gesamte Medi­zi­ni­sche Uni­ver­si­tät Graz. Als nächste Schritte wer­den die Eta­blie­rung und Akkre­di­tie­rung der Gra­zer Bio­bank als „Bio­lo­gi­cal Resource Cen­ter“ im Sinne der OECD und die Eta­blie­rung als euro­päi­sche For­schungs­in­fra­struk­tur ange­strebt. Hier kommt wie­der der Begrün­der der Gra­zer Bio­bank, Kurt Zat­lou­kal, ins Spiel: Er hat den Vor­sitz in der Koor­di­na­tion des EU-Infra­struk­tur­pro­jek­tes „Bio­banks and Bio­mole­cu­lar Resour­ces Rese­arch Infra­struc­ture (BBMRI)“ inne. „Graz ver­fügt euro­pa­weit über die größte Pro­ben­samm­lung und spielt daher eine zen­trale Rolle in der euro­päi­schen Ver­net­zung von Bio­ban­ken“, betont er. 

Das GEN-AU-Pro­jekt
Nach einer Emp­feh­lung des Rates für For­schung und Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung lan­cierte das Bun­des­mi­nis­te­rium für Wis­sen­schaft und For­schung (BMWF) im Sep­tem­ber 2001 das öster­rei­chi­sche Genom­for­schungs­pro­gramm GEN-AU. Das Pro­jekt ist mit 100 Mil­lio­nen Euro für neun Jahre dotiert. Das GEN-AU Pro­gramm för­dert vor allem die inter­dis­zi­pli­näre Zusam­men­ar­beit zwi­schen Exper­ten aus der Bio­lo­gie, Medi­zin, Phy­sik, Che­mie, Mathe­ma­tik und den Inge­nieurs­wis­sen­schaf­ten. Bis­her resul­tie­ren aus diver­sen GEN-AU-Pro­jek­ten rund 220 Publi­ka­tio­nen in eva­lu­ier­ten Fach­ma­ga­zi­nen; im glei­chen Zeit­raum wur­den auch etwa 20 Patent­an­mel­dun­gen ein­ge­reicht.

Tipp:
www.meduni-graz.at

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2010