Sehverschlechterung: Augen-Notfall erkennen

25.02.2010 | Medizin

Ein hoher Prozentsatz derjenigen Patienten, die eine durch retinale Embolien oder Gefäßspasmen verursachte Amaurosis fugax haben, erleidet innerhalb von fünf Jahren einen Insult. Über die wichtigsten augenärztlichen Notfälle in der Ordination eines Allgemeinmediziners informiert der folgende Beitrag. Von Irene Mlekusch   

Die Erhebung der Anamnese ist bei Sehverschlechterungen jeder Art unerlässlich. Die wesentlichen Informationen dabei sind seit wann die Sehverschlechterung besteht, ob es sich um ein beid- oder einseitiges Geschehen handelt und was genau der Betroffene unter dem Begriff „schlecht sehen“ versteht. Univ. Doz. Andrea Mistlberger, Fachärztin für Augenheilkunde und Optometrie in Salzburg, empfiehlt in jedem Fall einen genauen Blick aufs Auge des Patienten zu werfen. „Ist das Auge gerötet und produziert die Bindehaut ein Sekret, welches das Auge in der Früh verklebt, so kann man von einer Konjunktivitis ausgehen.“ In diesem Fall kann eine rasche Behandlung mit antibiotischen Augentropfen durch den Allgemeinmediziner erfolgen. Tritt allerdings nach längstens drei Tagen keine Besserung ein, muss der Patient an einen Facharzt für Augenheilkunde überwiesen werden.

Univ. Prof. Susanne Binder, Leiterin der Augenabteilung an der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien, ist davon überzeugt, dass jeder Patient mit Verdacht auf eine Augenerkrankung dem Facharzt vorgestellt werden sollte, da die Augenheilkunde im Turnus nicht inkludiert ist und die praktische Erfahrung daher nicht immer ausreicht. Außerdem sollte bei jeder chronischen Bindehautrötung eine Visus-Überprüfung erfolgen, um Refraktionsfehler als Ursache auszuschließen. Waren die Augen längere Zeit ungeschützt ultravioletter Strahlung ausgesetzt wie beispielsweise bei Schweißarbeiten, im schneebedeckten Hochgebirge oder auch im Solarium, kann es zur Ausbildung einer Keratoconjunctivitis photoelectrica kommen. Dieser „Sonnenbrand“ der Hornhaut ist für den Betroffenen unter Umständen sehr schmerzhaft, heilt aber fast immer innerhalb weniger Tage problemlos ab. Hornhautpflegende Augensalben lindern die Beschwerden. Häuft sich dieser Umstand, kann aus den entstehenden Narben in weiterer Folge eine Sehverschlechterung resultieren.

Treten zusätzlich zur Rötung des Auges, dumpfe Schmerzen sowie Schleiersehen auf, so kann es sich um eine Regenbogenhautentzündung handeln, die differentialdiagnostisch so rasch wie möglich vom Facharzt vom akuten Glaukom abgegrenzt werden muss. Nur eine schnelle und adäquate Behandlung kann Komplikationen wie ein passageres Sekundärglaukom, Synechien oder beim Glaukom Schäden am Sehnerv verhindern.

Oft ist der Allgemeinmediziner mit roten Augen auch durch andere Noxen konfrontiert. Binder weist darauf hin, dass auch Verletzungen, Verätzungen oder Verbrennungen zu Sehverschlechterungen führen können. Vor allem bei Verätzungen muss das betroffene Auge rasch und intensiv – am besten mit Wasser – ausgespült werden. Hierbei gilt es an den Selbstschutz sowie eine entsprechende Fixierung des Patienten zu denken, da der Abwehrreflex gegen das Spülen sehr ausgeprägt sein kann. Der Transport in eine entsprechende Klinik ist in jedem Fall zu organisieren.

Immer wieder berichten aber vor allem Brillenträger über einen Grauschleier, der auf einem oder beiden Augen das Sehvermögen trübt. „In diesem Fall sollte hinterfragt werden, wie lange der Patient die Brille schon hat und wer die Brille angepasst hat“, rät Mistlberger. Vor allem Träger von Gleitsichtbrillen klagen bei längerem Lesen über beidseitige Sehverschlechterungen, da sie die für diese Brille entsprechende Kopfhaltung beim Lesen nicht einnehmen. Beide Expertinnen bestehen darauf, dass die Verordnung von Sehbehelfen nicht durch den Optiker um die Ecke erfolgt, sondern durch den Augenarzt der auch den Augendruck und Augenhintergrund begutachten kann. „Zeigt sich der Grauschleier auf beiden Augen, passt entweder die Brille nicht oder es handelt sich um ein cerebrales Problem, wie etwa eine Durchblutungsstörung“, erklärt Mistlberger. Hier gilt es in der Anamnese nach Hinweisen auf einen Insult oder kardiale Beschwerden zu suchen. Tritt der Grauschleier dagegen nur einseitig auf und ist die betroffene Person älter als 55 Jahre, könnte es sich um eine beginnende Katarakt handeln.

Die Änderung der Brechkraft ist auch ein typisches Zeichen einer sich entwickelnden Linsentrübung. Plötzlich ist das Lesen ohne Brille möglich! „Beim Verdacht auf ein Glaukom sollte man die Familienanamnese Ernst nehmen“, sagt Mistlberger. Das Risiko, an einem Glaukom zu erkranken, ist bei Glaukombelastung in der Familie sechsfach erhöht. Binder weist auf die Gefahr des akuten Glaukomanfalls hin. „Präsentiert sich ein Patient mit rasenden Kopf- und Augenschmerzen, die bis in die Stirn und Schläfen ausstrahlen, ist eine vergleichende Palpation zur Feststellung des erhöhten Augendruckes notwendig“, wie die Expertin betont. Das betroffene Auge imponiert rot und fühlt sich steinhart an. Gleichzeitig treten auch immer wieder Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auf. Hier besteht die Gefahr der Verwechslung mit einem akuten Abdomen oder einer Hirndrucksteigerung. Das akute Glaukom stellt einen echten augenärztlichen Notfall dar und bedarf einer prompten Behandlung mit der schnellen Senkung des Augeninnendruckes. Wird das akute Glaukom – oft tritt es schubartig auf – nicht erkannt, tritt nach etwa ein bis zwei Wochen die Erblindung ein. Erfahrungsgemäß führt aber das akute Glaukom den Betroffenen wegen der Schmerzsymptomatik relativ rasch zum Arzt. Gefährlicher, weil schleichend und schmerzlos, ist das chronische Glaukom – primär chronisches Offenwinkelglaukom genannt. Hierbei gilt es auf die Wichtigkeit der Vorsorgeuntersuchungen zu pochen, sodass Frühstadien ehest möglich erkannt und therapiert werden können.

Ein echter augenärztlicher Notfall, der einer sofortigen Handlung bedarf, ist der „Schlaganfall im Auge.“ „Bei einem akuten Gefäßverschluss im Auge sieht der Patient plötzlich gar nichts mehr“, schildert Binder die Dramatik des Geschehens. Mistlberger hinterfragt in diesem Fall die Symptomatik und möchte vom Patienten wissen, wie dunkel es tatsächlich im Auge war. „Jede Minute zählt“, verdeutlicht Mistlberger und weist darauf hin, dass das Augenlicht bereits sechs Stunden nach dem Ereignis für immer verloren sein kann. Die Ursache der arteriellen retinalen Verschlusserkrankungen wie Zentralarterien- und Ast- Arterienverschluss ist zumeist eine Embolie. Als prädisponierende Faktoren gelten hier exulzerierte Plaques im Bereich der A. carotis, Herzklappenerkrankungen, Vorhofflimmern und die Einnahme von oralen Kontrazeptiva. Meist ist bei der Visusprüfung noch ein exzentrisches Restsehvermögen vorhanden. „Trotzdem muss der Patient rasch mit der Rettung in die nächste Augenklinik gebracht werden“, so Binder. Der Klinik-Eintritt mit Verdacht auf einen akuten Gefäßverschluss im Auge sollte unbedingt vorab angemeldet werden, da nur so eine die Sehkraft rettende Lyse vorbereitet werden kann.

Aufmerksam sollte der behandelnde Arzt auch dann sein, wenn der Patient über eine nur wenige Minuten anhaltende Herabsetzung des Sehvermögens auf einem Auge berichtet. Diese durch kleinere retinale Embolien oder Gefäßspasmen hervorgerufene Amaurosis fugax löst zwar keinen permanenten Verschluss aus, kann aber einen arteriellen Verschluss ankündigen. „Ein hoher Prozentsatz der Patienten mit einer Amaurosis fugax erleidet innerhalb von fünf Jahren einen Insult“, sagt Mistlberger dazu und empfiehlt in diesem Fall eine internistische Abklärung mit einem sorgfältigen Check der vaskulären Risikofaktoren, sowie einen Carotisduplex. Neben Netzhautgefäßverschlüssen im arteriellen Bereich gibt es auch eine venöse Variante. Die Zentralvenen- und Venenastthrombose finden sich gehäuft bei Risikofaktoren wie Arteriosklerose, Hypertonie und Diabetes. Sie gehen mit einer eher schleichenden, aber auch schmerzlosen Visus-Abnahme einher. Weitere alarmierende Symptome sind das Auftreten von Lichtblitzen, aufsteigender Rauch oder Rußregen im Gesichtsfeld sowie zunehmende Schatten. „Diese Photopsien werden durch einen Zug an den Sinneszellen ausgelöst“, berichtet Mistlberger. Ein Netzhautdefekt oder eine beginnende Netzhautablösung sollten hier schnellstmöglich abgeklärt werden.

Die häufigste Ursache für eine schwere Visus-Minderung im Alter stellt die Makuladegeneration dar. Durch eine Dysfunktion des retinalen Pigmentepithels kommt es zur langsam progredienten Abnahme der Sehschärfe, vor allem die Lesefähigkeit ist eingeschränkt. Ein orientierendes Sehen bleibt lange Zeit erhalten. Gerade bei diesem Krankheitsbild gibt es in den letzten Jahren Erfolg versprechende Therapieansätze.

Nicht alle visuell wahrgenommenen Phänomene müssen ihren Ursprung in einer Augenerkrankung haben. Abgesehen von den bereits genannten Durchblutungsstörungen im Gehirn, findet sich auch bei Migräne in etwa zehn Prozent eine im Auge wahrnehmbare Aura. Bei massiven Gesichtsfeldeinschränkungen kann auch eine Hirnblutung oder ein Hirntumor vorliegen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2010