Periphere Nervenläsionen: Rasch handeln fördert Regeneration

10.05.2010 | Medizin

Wird bei einem Unfall ein peripherer Nerv durchtrennt, soll der Betroffene möglichst rasch an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Bei der anschließenden Rehabilitation ist Geduld angesagt: Denn sie kann bis zu zwei Jahre dauern.

Bei 40 Prozent aller Unfälle handelt es sich um Verletzungen an der Hand, weswegen periphere Nervenläsionen eher an der oberen Extremität vorzufinden sind. Entzündliche Veränderungen können ebenso wie die Entfernung eines Tumors im Nahbereich eines Nervs zu peripheren Nervenläsionen, die häufig mit schweren funktionellen Schädigungen einhergehen, führen.

In der Diagnostik spielt der Faktor Zeit eine extrem wichtige Rolle. Wird eine Nervenschädigung bereits bei der Erstversorgung diagnostiziert und behandelt, kann man damit langwierige und aufwendige Transplantationen hintan halten. „Eine mögliche Nervenläsion, die auch bei sehr kleinen Schnittoder Stichverletzungen etwa an der Hand auftreten kann, sollte auf jeden Fall vor der Wundversorgung abgeklärt werden“, zeigt sich Univ. Prof. Manfred Frey, Leiter der Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie am Wiener AKH überzeugt. Frey weiter: „Leider kommt es immer wieder vor, dass dies übersehen wird.“

Das Risiko für Nervenschädigungen ist vor allem dort groß, wo Nerven sehr nahe am Knochen verlaufen. Bei der Diagnostik einer peripheren Nervenläsion kommt vor allem der Elektroneurographie ein hoher Stellenwert zu. Damit kann die klinische Diagnose zum einen bestätigt werden; zum anderen lässt sich damit die Läsionshöhe bestimmen. Die dabei ebenfalls durchzuführende Elektromyographie hilft bei der Bestimmung der Schädigung an der Muskulatur im Innervationsgebiet des Nerven. „Damit lassen sich vorhandene Potenziale ableiten und Veränderungen messen, was wichtige Vorinformationen für rekonstruktive Eingriffe darstellt“, erläutert Manfred Frey.

Eine relativ neue Methode stellt die Traktographie dar, ein hochauflösendes Magnetresonanztomographieverfahren, mit Hilfe dessen funktionierende Nervenfasern in peripheren Nerven sichtbar und dreidimensional dargestellt werden können. Dies ist etwa dann von Relevanz, wenn ein Tumor an einer neuralgischen Stelle entfernt werden soll. „Wir können damit feststellen, wo Faszikelgruppen stoppen, oder ob der Nerv durch den Tumor verdrängt ist“, erklärt Frey. Auch der hochauflösende, dynamische Ultraschall ist wesentlich, um das Gleitvermögen eines Nervs zu beurteilen.

Spannungsfreie Nervennaht

Ist die festgestellte Nervenschädigung irreversibel, muss eine operative Sanierung angestrebt werden. Vor allem bei sogenannten frischen Läsionen ist die spannungsfreie primäre Nervennaht die Methode der ersten Wahl. Diese ist allerdings nur dann möglich, wenn der Nerv scharf durchtrennt wurde und sollte im besten Fall am Tag des Unfalls erfolgen. Frey dazu: „Wird im Zusammenhang mit einem Unfall eine Nervenverletzung diagnostiziert, ist es wenig sinnvoll, sich stundenlang der Wundversorgung hinzugeben. Besser ist die möglichst rasche Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum.“

Ist eine Akutversorgung des verletzten Nervs nicht möglich, werden Nerventransplantate gesetzt, um die Funktion des betroffenen Gebiets möglichst wieder herstellen zu können. Eine neuere Methode dabei ist die End-zu-Seit-Nervennaht. Dabei wird versucht, zwischen distal-intaktem und distal nicht-intaktem Nerv eine Verbindung herzustellen, weil dies die Regenerationsstrecken deutlich verkürzen kann. Ist zum Beispiel eine Nervenverletzung am Oberarm Ursache von Bewegungsstörungen der Hand, müssen immerhin 60 Zentimeter Regenerationsstrecke überwunden werden. Ein Nerv wächst etwa einen Millimeter pro Tag – das bedeutet rund 600 Tage Regenerationszeit. Die End-zu-Seit-Nervennaht kann diese Strecken und damit auch Regenerationszeiten erheblich verkürzen und damit zu einem besseren funktionellen Ergebnis beitragen.

Nach der operativen Sanierung einer peripheren Nervenläsion kommt der Rehabilitation eine erhebliche Bedeutung zu, um Folgeschäden zu vermeiden und Funktionseinschränkungen möglichst zu minimieren. Hier hat auch der behandelnde Allgemeinmediziner eine nicht unwesentliche Rolle. „Der Patient muss für die oft sehr lange dauernde Rehabilitationszeit motiviert werden“, weiß Frey. „Zudem stellt der Hausarzt den Kontakt zu rehabilitativen Einrichtungen her und überprüft die Fortschritte beim Patienten.“

Vor Beginn der umfangreichen rehabilitativen Maßnahmen ist die Instruktion des Patienten ein wesentlicher Punkt. „Dabei muss mit dem Betroffenen der Verlauf der Rehabilitation und Regeneration sowie die Unsicherheit der Prognosestellung besprochen werden“, erklärt Univ. Prof. Tatjana Paternostro-Sluga von der Universitätsklinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation am AKH Wien. Die Aufklärung des Patienten bis hin zur Hilfe bei der Arbeitssuche oder Neugestaltung des Arbeitsplatzes, aber auch der Appell an die Geduld des Patienten, da die Rehabilitation über mehrere Jahre gehen kann, stellen wesentliche Gesprächsinhalte dar.

Bei der medikamentösen Schmerzbehandlung sind ein frühzeitiger Beginn und eine ausreichende Analgesie wichtig, auch um chronische Schmerzsyndrome und Spätschäden zu vermeiden. Eingesetzt werden etwa Antiepileptika, Antidepressiva, Opioide, nicht-opioide Analgetika, Muskelrelaxantien und topische Therapien. „Die medikamentöse Schmerztherapie kann zudem mit Elektrotherapie unterstützt werden“, sagt Tatjana Paternostro-Sluga. Hier kommen vor allem Stromformen aus dem Niederfrequenzbereich zum Einsatz.

Liegt eine rezente Läsion mit Re-Innervation vor, bei der vor allem eine motorische Bahnung erfolgen soll, sollten kurzzeitige Stimulationszeiten eingesetzt werden. Bei chronischen, partiellen Denervationen ohne Dynamik steht die Kräftigung des betroffenen Muskels im Vordergrund, was mit Hilfe von höheren Stimulationszeiten erreicht werden kann. Zur Muskelkräftigung hat sich außerdem Biofeedback-getriggertes Training als wirkungsvoll erwiesen. „Biofeedback hilft auch, wenn es bei höhergradigen Plexus brachialis-Läsionen zu einer Fehlreinnervation kommt“, berichtet Tatjana Paternostro-Sluga. „In einem solchen Fall kann es zur Massenanspannung von Bizeps und Trizeps kommen. Das Biofeedbacktraining hilft dann bei der Unterbrechung dieses Vorgangs.“

Eineinhalb bis zwei Jahre kann die Rehabilitationszeit nach einer peripheren Nervenläsion dauern. Kooperation und Geduld des Patienten sind dabei eine wesentliche Komponente, ebenso spielt das Behandlungsteam, das immer interdisziplinär zusammengesetzt sein sollte, eine extrem wichtige Rolle. Für Paternostro-Sluga stehen folgende Themen im Mittelpunkt jeder Rehabilitation nach peripherer Nervenläsion: „Probleme müssen antizipiert werden, und es muss früh genug reagiert, regelmäßig kontrolliert und auf den Verlauf flexibel eingegangen werden.“ Ein gutes Betreuungsmanagement, ein interdisziplinäres Team und eine starke soziale Komponente sowie die Mitarbeit des Patienten bilden die Eckpfeiler für eine gelingende Rehabilitation.
SF

Therapieziele bei der Rehabilitation

  • Bahnung der Motorik
  • Kräftigung der Muskulatur
  • Förderung der Sensibilität
  • Schmerzbehandlung
  • Vermeidung von Sekundärfolgen
  • Training von Kompensationsstrategien sowie
  • Aktivierung der Neuroplastizität
  • Funktionsverbesserung und
  • Erhalt der sozialen Integration

 

 

Maßnahmen der Rehabilitation

  • Bewegungstraining
  • Funktionstraining
  • Schienenbehandlung
  • Medikamentöse Schmerztherapie
  • Elektrotherapie
  • Biofeedbacktraining
  • Ultraschalltherapie
  • Massagetechniken

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010