Inter­view – Univ. Prof. Dr. Her­bert Watzke: Empa­thie wecken

10.09.2010 | Medizin

Wel­che Bedeu­tung einem empa­thi­schen Pati­en­ten­zu­gang nicht nur im Pal­lia­tiv­be­reich, son­dern auch im täg­li­chen Spi­tal­s­all­tag zukommt, erläu­tert der Lei­ter der Pal­lia­tiv­sta­tion am AKH und Pro­fes­sor für Pal­lia­tiv­me­di­zin an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, Her­bert Watzke, im Gespräch mit Bir­git Oswald.

ÖÄZ: Warum ist Pal­lia­tiv­me­di­zin in unse­rer Zeit so wich­tig, dass dafür ein eige­ner Lehr­stuhl geschaf­fen wurde?
Watzke: Die Erkran­kun­gen der Onko­lo­gie stei­gen stark an. Onko­lo­gi­sche Pati­en­ten haben oft einen sehr dra­ma­ti­schen und kur­zen Krank­heits­ver­lauf und wer­den dann sehr früh mit der Tat­sa­che kon­fron­tiert, dass gegen den Tumor selbst nichts mehr zu machen ist. Da stel­len sich sowohl medi­zi­ni­sche Pro­bleme, wie Schmer­zen, Übel­keit und Gewichts­ver­lust, als auch Sinn­ver­lust ein. Darum wird Pal­lia­tiv­me­di­zin immer wich­ti­ger.

Die Mitte des 20. Jahr­hun­derts lebende bri­ti­sche Kran­ken­schwes­ter und Ärz­tin Cicely Saun­ders gilt als Begrün­de­rin der Pal­lia­tive Care. Was ist von ihrem Gedan­ken­gut geblie­ben?
Ihre ursprüng­li­che Inten­tion war, Schmerz nicht nur eine kör­per­li­che, son­dern auch eine psy­chi­sche, soziale und spi­ri­tu­elle Kom­po­nente zuzu­tei­len. Spä­ter wur­den diese Kom­po­nen­ten auf das ganze Behand­lungs­kon­zept eines Pati­en­ten und nicht nur auf die Schmer­zen umge­legt. Der Zugang zum Pati­en­ten und die Sicht des Pati­en­ten ist immer noch so, wie sie ihn gese­hen hat. Was sich geän­dert hat, ist, dass die Schmerz­the­ra­pie mitt­ler­weile schon State of the Art und auf dem Top­ni­veau der Zeit ist. Auch die mobi­len Ver­sor­gun­gen sind heute anders als damals. Aber ihr Grund­ge­danke gilt nach wie vor.

Wel­che neuen Erkennt­nisse gibt es im Bereich der Pal­lia­tiv­me­di­zin und Pal­lia­tive Care?
Eine ame­ri­ka­ni­sche Stu­die zeigt, dass, wenn mit unheil­bar Kran­ken früh­zei­tig über ihre Bedürf­nisse und Befürch­tun­gen gespro­chen wird, deren Lebens­qua­li­tät in ihrer letz­ten Lebens­zeit signi­fi­kant höher ist. Auch die Qua­li­tät des Ster­be­pro­zes­ses wird bes­ser und viele Schritte und Kos­ten der Inten­siv­me­di­zin kön­nen ver­mie­den wer­den.

Was sehen Sie als Ihr Haupt­ziel und die Haupt­auf­ga­ben Ihrer Pro­fes­sur?
Mein Bestre­ben war und ist, mehr wis­sen­schaft­li­che Evi­denz in die Pal­lia­tiv­me­di­zin zu brin­gen. Pati­en­ten, die etwa von der Onko­lo­gie, die sich durch einen hohen Grad an Evi­denz aus­zeich­net, auf die Pal­lia­tiv­sta­tion kom­men, befin­den sich plötz­lich in einem Behand­lungs­plan, der gegen jede Evi­denz ist, aber viel Empa­thie mit sich bringt. Ich habe immer gefun­den, dass das nicht so blei­ben kann und dass Evi­denz auch hier geschaf­fen wer­den muss, zum Wohl des Pati­en­ten. Auch in unsere Stu­dien, die sich vor­wie­gend auf die psy­chi­sche und kör­per­li­che Ver­fas­sung in den letz­ten Lebens­ta­gen bezie­hen, möchte ich mehr Evi­denz brin­gen. Die Lehre auf die­sem Gebiet soll ebenso vor­an­ge­trie­ben wer­den. Momen­tan hören die Stu­die­ren­den der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien acht mal zwei Semi­nar­stun­den zur Pal­lia­tiv­me­di­zin und zu ver­wand­ten ethi­schen The­men. Und natür­lich bedeu­tet der Lehr­stuhl auch Aner­ken­nung des Faches, was von der Pal­lia­tiv­ge­meinde sehr begrüßt wird.

Wie ist es mög­lich, Empa­thie im Stu­dium zu ver­mit­teln?
Rich­tig ver­stan­dene Empa­thie, näm­lich die, dass man gefühls­mä­ßig auch weiß, wo der Pati­ent steht, aber selbst kein Leid ver­spürt, wenn man den Pati­en­ten sieht, ist ein Zugang, den man in allen Dis­zi­pli­nen der Medi­zin braucht und den Stu­die­ren­den mit­ge­ben muss. In jedem Men­schen schlum­mert Empa­thie, man muss sie nur wecken. Natür­lich gibt es wel­che, die haben einen distan­zier­ten und andere einen empa­thi­schen Umgang. Die arbei­ten dann aber wahr­schein­lich spä­ter auch in Dis­zi­pli­nen, wo jeweils das eine oder andere sehr gebraucht wird.

Wie sehr ist die­ser empa­thi­sche Zugang in der Pra­xis leb­bar?
Für mich heißt das zu füh­len, wo die Schmer­zen und Pro­bleme des Pati­en­ten lie­gen und auch in schwers­ten Krank­heits­zu­stän­den des Gegen­übers nicht – wie Freud sagt – ‚vom Gefühl ange­steckt zu wer­den’ son­dern eine pro­fes­sio­nelle Distanz zu bewah­ren. Es ist wich­tig, Mit­leid, aber keine Gefühl­s­an­ste­ckung zu erle­ben. Wer das nicht schafft, rutscht schnell in ein Burn­out und kann dann gar nicht mehr hel­fen. Men­schen stel­len sich dem Ster­be­pro­zess sehr unter­schied­lich, und alle diese For­men wer­den von einem empa­thi­schen Betreu­ungs­zu­gang respek­tiert und die Men­schen­würde dadurch gewahrt. Schwie­rig wird es manch­mal für uns Betreu­ende, wenn die eigene Situa­tion mit der des Pati­en­ten ähnelt. Dann bricht eine rie­sige Belas­tung aus, die man mit Super­vi­sion auf­ar­bei­ten muss. Eine der­ar­tig schwere Belas­tung erlebt man aber nicht jeden Tag.

Sie stam­men aus einer Ärz­te­fa­mi­lie. Hat Sie die­ses Umfeld in punkto Empa­thie und bei der Wahl des Faches Pal­lia­tiv­me­di­zin geprägt?
Ich glaube schon, wenn man in der Fami­lie erlebt, dass der Arzt­be­ruf ein dem Pati­en­ten die­nen­der Beruf ist, dass man das auto­ma­tisch über­nimmt. Es ist extrem wesent­lich, dass man das vor­lebt.

Kommt der Kom­mu­ni­ka­tion genug Bedeu­tung in der Pra­xis zu?
Wir Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner befin­den uns in einem pri­vi­le­gier­ten Umfeld, wo wir unsere Zeit­ein­tei­lung am Pati­en­ten ori­en­tie­ren. Das ist in vie­len ande­ren Berei­chen der Medi­zin nicht mög­lich, aber das ist auch gut so, sonst wür­den die Pati­en­ten in ande­ren Berei­chen zu kurz kom­men. Eine gute Gesprächs­füh­rung ist auch in einem kur­zen Gespräch mög­lich. Wir füh­ren in der Pal­lia­tiv­me­di­zin pati­en­ten­zen­trierte Gesprä­che. Der Pati­ent gibt das Tempo vor, wir pas­sen uns an. Rück­fra­gen oder bestä­ti­gen­des Nicken kos­ten keine Zeit, der Pati­ent fühlt sich aber ver­stan­den. Das sind wich­tige Tech­ni­ken, die man erler­nen kann.

Ste­hen andere medi­zi­ni­sche Dis­zi­pli­nen in der Ver­su­chung, sich der Empa­thie zu ent­zie­hen und sie zur Auf­gabe der Pal­lia­tiv­me­di­zin zu machen?
Viele Pati­en­ten kom­men nicht auf die Pal­lia­tiv­sta­tion, daher brau­chen auch die Ärzte auf ande­ren Sta­tio­nen Empa­thie und Know-how. Wenn alle Ärzte diese Fer­tig­keit hät­ten und den adäqua­ten Pati­en­ten­um­gang erlernt hät­ten, bräuch­ten wir keine Pal­lia­tiv­sta­tio­nen mehr. Das ist meine Zukunftsvision.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 17 /​10.09.2010