Inter­view – Univ. Prof. Dr. Her­mann Toplak: Effi­zi­en­ter therapiert

25.05.2010 | Medizin

Moderne orale Anti­dia­be­tika sind genauso effek­tiv wie andere orale Anti­dia­be­tika, ver­ur­sa­chen aber kaum Hypo­glyk­ämien. Mit Univ. Prof. Her­mann Toplak, dem wis­sen­schaft­li­chen Lei­ter der 26. Früh­jahrs­ta­gung der Öster­rei­chi­schen Dia­be­tes-Gesell­schaft, die Ende Mai in Graz statt­fin­det, sprach Corina Pet­scha­cher.

ÖÄZ: Wel­che Beson­der­hei­ten muss man bei einem Dia­be­ti­ker im Kin­des- oder Jugend­al­ter beach­ten?
Toplak: Zunächst wird es um die Her­aus­for­de­run­gen in der The­ra­pie des Typ 1‑Diabetes in der Päd­ia­trie gehen. Wenn man hier Insu­lin rich­tig ergänzt und auf die Ernäh­rungs- und Lebens­si­tua­tion abstimmt, lässt sich ein kind­li­cher Dia­be­tes gut the­ra­pie­ren. Da aber Kin­der und Jugend­li­che betrof­fen sind, die mit dem Krank­heits­be­griff nicht viel anfan­gen kön­nen, fehlt den Pati­en­ten oft das Ver­ständ­nis für ihre Krank­heit und die dafür not­wen­dige The­ra­pie. Für diese Pati­en­ten­gruppe wer­den zum Bei­spiel Dia­be­tes-Kin­der- und Jugend­camps ange­bo­ten, im Rah­men derer im Team gemein­sam mit ande­ren Betrof­fe­nen der rich­tige Umgang mit der Krank­heit und ein Zurecht­kom­men im All­tag trotz Dia­be­tes erlernt wird.

Eine Neue­rung im öster­rei­chi­schen Mut­ter-Kind-Pass stellt die Ein­füh­rung des ora­len Glu­kose-Tole­ranz­tests bei schwan­ge­ren Frauen dar. Wel­che Kon­se­quen­zen erge­ben sich dar­aus für die The­ra­pie?
Die Auf­nahme des ora­len Glu­ko­se­to­le­ranz­tests in den Mut­ter-Kind-Pass ist eine sehr wich­tige Maß­nahme, die von Dia­be­to­lo­gen schon jah­re­lang gefor­dert wurde. Es gibt sehr viele Frauen, die, ohne es zu wis­sen, wäh­rend der Schwan­ger­schaft einen Dia­be­tes ent­wi­ckeln. Vom Gesta­ti­ons­dia­be­tes kön­nen auch schlanke Frauen betrof­fen sein; die ver­än­derte Situa­tion kann auch zu einer Insu­lin­re­sis­tenz füh­ren. Gleich­zei­tig kann es auch zu einer Schwan­ger­schafts-Hyper­li­pi­dä­mie kom­men. Als Folge des hohen Zucker­ge­halts im müt­ter­li­chen Blut steigt das Kör­per­ge­wicht des Kin­des und es beginnt, ver­mehrt Insu­lin zu pro­du­zie­ren. Durch den Hyper­in­su­li­nis­mus kann es in wei­te­rer Folge auch zu Schä­di­gun­gen des kind­li­chen Gehirns kom­men. Außer­dem kann es bei Frauen, die einen unbe­han­del­ten Schwan­ger­schafts­dia­be­tes hat­ten, einige Jahre spä­ter zur Aus­bil­dung eines mani­fes­ten Dia­be­tes kom­men. The­ra­piert wird auf der einen Seite mit diä­te­ti­schen Maß­nah­men, auf der ande­ren Seite mit Insu­lin, um den Blut­zu­cker wie­der zu normalisieren.

Wel­che Neue­run­gen im Bereich medi­ka­men­töse The­ra­pie des Dia­be­tes gibt es und wohin gehen die Trends in die­sem Bereich?
Moderne orale Anti­dia­be­tika sind zum Bei­spiel die soge­nann­ten DPP 4‑Inhibitoren wie Vildag­lip­tin und Sitag­lip­tin oder auch die Glu­ca­gon-like Pep­tide-Abbau­hem­mer, kurz GLP genannt. Das Hor­mon GLP 1, das bei der Nah­rungs­auf­nahme frei­ge­setzt wird, stei­gert bei vor­han­de­nem Glu­ko­se­reiz im Kör­per die Insu­lin­aus­schüt­tung und unter­drückt gleich­zei­tig die Aus­schüt­tung von Glu­kagon, was man sich beim Ein­satz von Abbau­hem­mern des Enzyms GPP 4, das für den Abbau von GLP 1 im Kör­per zustän­dig ist, zu Nutze macht. Nach dem Wirk­prin­zip des kör­per­ei­ge­nen GLP 1 funk­tio­niert eine andere Gruppe neuer Dia­be­tes­me­di­ka­mente, die so genann­ten GLP-Ago­nis­ten. Diese müs­sen aller­dings genauso wie Insu­lin sub­ku­tan inji­ziert wer­den. Dazu gehört etwa Exe­na­tide. Ein wesent­li­cher Vor­teil die­ser neuen Medi­ka­mente ist, dass sie bei glei­cher Effek­ti­vi­tät wie bei ande­ren ora­len Anti­dia­be­tika gewichts­neu­tral sind oder sogar das Kör­per­ge­wicht sen­ken kön­nen und außer­dem risi­ko­är­mer sind, weil sie so gut wie keine Hypo­glyk­ämien verursachen.

Viele Dia­be­ti­ker lei­den auch gleich­zei­tig an erhöh­tem Blut­druck oder Adi­po­si­tas. Was ist hier im Spe­zi­el­len bei der The­ra­pie zu beach­ten?
Im Ver­gleich zu Nor­mal­ge­wich­ti­gen, bei denen im Durch­schnitt rund 15 Pro­zent der Bevöl­ke­rung in mitt­le­rem Alter an erhöh­tem Blut­druck lei­den, beträgt die Anzahl der Hyper­to­ni­ker unter Adi­pö­sen rund 30 Pro­zent. Das heißt ein um circa 15 Kilo­gramm höhe­res Kör­per­ge­wicht ver­dop­pelt das Risiko für eine Hyper­to­nie. Lebens­sti­län­de­rung steht heute an ers­ter Stelle bei der Dia­be­tes­the­ra­pie und spielt bei Pati­en­ten mit Über­ge­wicht oder Blut­hoch­druck eine wesent­li­che Rolle. Han­delt es sich um einen Dia­be­ti­ker, der gleich­zei­tig an Blut­hoch­druck lei­det, ist dar­auf zu ach­ten, kein dia­be­to­gen wir­ken­des Prä­pa­rat, son­dern ein Stoff­wech­sel-neu­tra­les Medi­ka­ment zu ver­ord­nen. Bei der The­ra­pie eines Dia­be­ti­kers mit erhöh­tem Kör­per­fett­an­teil kom­men Sub­stan­zen zum Ein­satz, die dem ent­ge­gen­wir­ken, wie zum Bei­spiel die GPP 4‑Inhibitoren oder auch Met­formin.

Wel­che neuen The­ra­pie­aspekte gibt es bei ger­ia­tri­schen Pati­en­ten?

Hier spielt neben der Qua­li­tät die The­ra­pie­si­cher­heit eine enorm große Rolle. Der Schwer­punkt liegt dabei in der Ver­mei­dung von aku­ten Hypo­glyk­ämien, die bei ger­ia­tri­schen Pati­en­ten etwa zu Stür­zen bis hin zu lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen füh­ren kön­nen. Ein gro­ßes Pro­blem in der Ger­ia­trie stellt auch die The­ra­pie bei Dia­be­ti­kern, die an Demenz lei­den, dar. Hier kön­nen sowohl zu nied­rige als auch zu hohe Dosen an Medi­ka­men­ten von Betrof­fe­nen ein­ge­nom­men oder auf das Essen zur gespritz­ten Insu­lin­menge ver­ges­sen wer­den, was kata­stro­phale Fol­gen haben kann. Demenz­kranke Dia­be­ti­ker brau­chen auf jeden Fall in irgend­ei­ner Weise Hilfe bei der The­ra­pie. Bei der The­ra­pie gewin­nen immer mehr spe­zi­ell adap­tierte Bewe­gungs­pro­gramme für ältere Men­schen mit Dia­be­tes an Bedeu­tung.

Bei der Tagung wird auch über die Chan­cen und Ris­ken der Behand­lung von Dia­be­tes in der täg­li­chen Pra­xis gespro­chen. Was sollte der All­ge­mein­me­di­zi­ner beach­ten?

Im Rah­men des Dia­be­tes­fo­rums wer­den ver­schie­dene The­men wie der neue Lipidkon­sen­sus, der in Kürze prä­sen­tiert wird, und aktu­elle Blut­druck-Gui­de­lines bespro­chen. Aber für die Teil­neh­mer wer­den auch Insu­lin­pum­pen­kurse ange­bo­ten und The­ra­pien mit ora­len Anti­dia­be­tika bespro­chen, die das Pro­blem der immer wie­der auf­tre­ten­den Hypo­glyk­ämien bei Dia­be­ti­kern gering hal­ten sol­len wie zum Bei­spiel Met­formin, Acar­bose, DPP 4‑Hemmern oder Glitazone/​Insulinsensitizer bezie­hungs­weise eine Kom­bi­na­tion der genann­ten Prä­pa­rate. Zu Beginn einer Dia­be­tes­er­kran­kung bezie­hungs­weise The­ra­pie ist es sinn­voll, wenn der All­ge­mein­me­di­zi­ner den Pati­en­ten ein­mal zu einem Spe­zia­lis­ten über­weist, damit er dort genau unter­sucht und ent­spre­chend ein­ge­stellt wird. Im wei­te­ren Ver­lauf kann dann der All­ge­mein­me­di­zi­ner die Betreu­ung über­neh­men. Spä­tes­tens wenn trotz bestehen­der The­ra­pie der HbA1c Wert über acht liegt, soll wie­der zum Spe­zia­lis­ten über­wie­sen werden.

Gibt es sonst noch einen Tipp für die Pra­xis?
Die soge­nannte basal unter­stützte orale The­ra­pie, auch BOT genannt, bei der ein­mal am Tag zusätz­lich zu ora­len Anti­dia­be­tika ein basa­les Insu­lin gespritzt wird, kann eine wirk­same The­ra­pie­form dar­stel­len. Zu die­sem Thema bie­ten wir auch heuer wie­der im Rah­men unse­rer Tagung Schu­lun­gen zum Ein­stieg in die Insu­lin­the­ra­pie in der Pra­xis an.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2010