Interview – Dr. Brigitte Schmied: Aids: Co-Morbiditäten sind ein Problem

25.06.2010 | Medizin

Co-Morbiditäten wie etwa koronare Herzkrankheiten oder Diabetes stellen in den letzten Jahren vermehrt ein Problem bei der Behandlung von HIV/AIDS-Patienten dar, erklärt die Präsidentin der Österreichischen AIDS-Gesellschaft, Brigitte Schmied, im Vorfeld der 18. Internationalen Aids-Konferenz Mitte Juli in Wien im Gespräch mit Birgit Oswald.


ÖÄZ: Wie wird der Aids-Kongress die derzeitige Behandlung von HIV/AIDS-Patienten beeinflussen?

Schmied: Es wird sehr interessante Neuigkeiten in der Therapie und im Erkrankungsverlauf geben. Das Ziel ist, die Lebensqualität zu erhöhen und das Risiko für Begleiterkrankungen zu verringern. Es werden auch sehr viele sozialpolitische Diskussionen geführt werden, der Kongress fokussiert ja auch zum Teil Osteuropa und Zentralasien, dort ist die Therapiesituation wesentlich schlechter.

Welche Neuigkeiten in der HIV/AIDS-Therapie und -Diagnose gibt es für niedergelassene Ärzte?
Die Therapien sind gut wirksam, das ist allgemein bekannt. In den letzten zwei bis drei Jahren gewinnen die Co-Morbiditäten an Bedeutung. Das ist einerseits dadurch bedingt, dass unsere Patienten immer älter werden und sich daraus andere Erkrankungen wie Diabetes oder Koronare Herzkrankheiten ergeben. Zum anderen ist das HI-Virus für eine Änderung in den Endothel-Zellen in der Arterienwand verantwortlich, so dass es scheint, dass das kardiale Risiko höher ist. Bewiesen ist das nicht, es gibt verschiedene Studien, die unterschiedliche Ergebnisse haben. Zusätzlich zur routinemäßigen Kontrolle des Blutdrucks, der Blutfette, des Blutzuckerspiegels und anderer Laborparameter wird bei jedem Patienten das kardiale Risiko evaluiert.

Können bei Begleiterkrankungen wie Hyperlipidämie Standardtherapien angewandt werden?
Man kann nicht jedes lipidsenkende Medikament verwenden. Es gibt auch Unterschiede innerhalb der Substanzklasse. Bei den Statinen muss man extrem aufpassen und darf nur jene verwenden, die in Zusammenhang mit der antiretroviralen Therapie ein geringes Risiko für Nebenwirkungen haben. Atorvastatin ist absolut kontraindiziert. Bei den Fibraten ist es ein bisschen einfacher.

Spielen opportunistische Infektionen, Pilze oder Keime noch eine Rolle?
Kaum mehr. Systemische Pilzerkrankungen treten nur bei Menschen mit fortgeschrittenem Immunmangelsyndrom auf. Natürlich kann ein HIV-Patient wie
jeder andere eine Grippe, Lungenentzündung oder einen Harnwegsinfekt bekommen. Das verläuft aber normalerweise genauso unkompliziert oder kompliziert wie bei einem nicht infizierten Menschen. Opportunistische Infektionen spielen nur bei Menschen, die nicht wissen, dass sie HIV positiv sind, das sind etwa 30 Prozent in Österreich, eine Rolle.

Gibt es Neuigkeiten bezüglich der Medikamentenverträglichkeit?

Da hat sich sehr viel getan. Die tägliche Tablettenanzahl konnte reduziert werden, da einige Wirkstoffe zu einer Tablette zusammengefasst wurden. Die Verträglichkeit hat sich enorm verbessert. Man kann noch besser auf die individuellen Bedürfnisse und auf die individuelle Verträglichkeit eingehen. Bei Therapiebeginn versuchen wir, die Wünsche der Patienten so weit es geht zu berücksichtigen, etwa ob eine einmal tägliche oder zweimal tägliche Therapie erfolgen soll, das betrifft sehr häufig Berufstätige. Um die Verträglichkeit zu überprüfen, bestellen wir die Patienten zehn bis 14 Tage nach Beginn zur ersten Kontrolle, um eventuelle Nebenwirkungen oder etwaige Probleme zu besprechen und auch Laborparameter zu überprüfen. Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Durchfall geben sich oft nach einigen Wochen, es hängt auch davon ab, wie geschwächt das Immunsystem ist. Wenn der Patient nur mehr wenig CD4-Zellen hat, treten oft zu Beginn stärkere Nebenwirkungen auf. Der Allgemeinzustand kann sich in den ersten drei bis vier Wochen sogar verschlechtern, danach kommt es zu einer Verbesserung. Wenn die Nebenwirkungen zu belastend sind, kann auf eine andere Kombination umgestellt werden.

Gibt es altersmäßig eine Bevölkerungsgruppe in Österreich, die verstärkt von HIV betroffen ist?
Das Durchschnittsalter, in dem eine Infektion diagnostiziert wird, liegt zwischen 30 und 35 Jahren. Das Durchschnittsalter der Betroffenen liegt bei 43,7 Jahren in Österreich. Mehr als 99,9 Prozent aller Neugeborenen, deren Mütter HIV-positiv sind, kommen gesund zur Welt. Diese Möglichkeit gibt es seit 1997, seither sind nur in Ausnahmefällen HIV-positive Kinder zur Welt gekommen, etwa wenn die Mütter ihren HIV-Status nicht gekannt haben oder keine Medikamente einnehmen wollten.

Wie ist die österreichweite Tendenz der letzten Jahre?
Durch die verringerte Mortalität und die mehr oder weniger gleich bleibende Infektionsrate ergibt sich ein kontinuierlicher Anstieg der zu betreuenden Patienten über die Jahre. In Wien sind die meisten Patienten in Betreuung. Wir gehen davon aus, dass es in Österreich 9.000 HIV-Infizierte gibt, wovon mehr als 5.000 in den sieben spezialisierten Zentren beziehungsweise bei niedergelassenen Ärzten in Betreuung sind.

Wann sollte der Allgemeinmediziner einen HIV-Test empfehlen?

80 Prozent der Patienten mit einer akuten HIV-Infektion suchen einen Arzt oder ein Krankenhaus auf, in den seltensten Fällen wird die richtige Diagnose gestellt. Die typische Differentialdiagnose zur akuten HIV-Infektion ist die infektiöse Mononukleose. Es können auch Hautausschläge, Lymphknotenschwellungen, Fieber, eine neurologische oder Grippe-Symptomatik, auftreten. Hinsichtlich der Risikoeinschätzung ist die Erhebung der Anamnese oft entscheidend. Bei Drogengebrauch, ungeschützten Sexualkontakten oder sexuell übertragbaren Erkrankungen wie Syphilis oder Gonorrhoe sollte ein Test unbedingt empfohlen werden. Seit heuer ist auf freiwilliger Basis auch im Mutter-Kind-Pass ein HIV-Test vorgesehen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2010