Influenza: Impfstoff aus Zellkulturen

10.11.2010 | Medizin

Ein neuartiger Impfstoff, bei dem die Influenzaviren in Zellkulturen gezüchtet werden, soll die Bevölkerung besser schützen. Außerdem musste das Impfvirus nicht an das Wachstum im Hühnerei adaptiert werden, sondern es konnte das von der WHO frei gegebene Virus verwendet werden.
Von Sabrina Amlacher

Die jährlich auftretende Grippe ist die am meisten unterschätzte Infektionskrankheit in Österreich. Von den rund 380.000 Österreichern, die im vergangenen Winter an der saisonalen Influenza erkrankt sind, verstarben rund 2.500 Personen an den Folgen. Im Vergleich dazu wurden bei der pandemischen „Neuen Grippe“ im gleichen Zeitraum rund 4.000 Erkrankungsfälle und 40 Todesfälle registriert. Ein neuartiger Impfstoff, bei dem die Influenzaviren in Zellkulturen gezüchtet werden, soll die Bevölkerung nun besser schützen. „Die Zusammensetzung des Impfstoffes ist dieselbe wie die der gewöhnlichen Impfstoffe. Außergewöhnlich ist aber die Herstellung und die Tatsache, dass man das Impfvirus nicht an das Wachstum im Hühnerei adaptieren musste, sondern direkt das von der WHO frei gegebene Virus verwenden konnte“, erklärt Univ. Prof. Herwig Kollaritsch, Leiter der Unit Epidemiologie und Reisemedizin am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien. „Wenn man Grippeimpfstoffe mit Autos vergleichen würde, so wäre die neue Injektionstechnik eine neue Karosserie bei gleicher Technik, die neue Herstellungstechnologie aber eine fundamental neue Technik bei gleicher Karosserie.“

Österreich als Vorreiter

Österreich ist das erste Land der Welt, in dem dieser Impfstoff zugelassen wurde. Er enthält alle drei von der WHO für dieses Jahr empfohlenen Virusstämme H1N1-, H3N2- und das B-Virus. Laut Kollaritsch enthält er jedoch wesentlich weniger Zusatzstoffe. Das Produkt enthält kein Hühnereiweiß, keine Antibiotika und kein Konservierungsmittel. Für das herkömmliche Herstellungsverfahren benötigt man bebrütete Hühnereier. Für 300 Millionen Dosen Impfstoff sind das 300 Millionen Eier. „Außerdem verwendet man dabei genetisch veränderte Viren, also ein artifizielles Produkt. Die Zeit bis zur Produktion eines neuen Influenza-Impfstoffes sinkt von 22 auf zwölf Wochen“, erklärt der Experte. Das neue Mittel ist aber aufgrund der verbesserten Zusammensetzung für Menschen mit Hühnereiweiß- oder Antibiotika-Allergien geeignet.

Das neue Produkt wird in einem ‚Ready to use‘-System („Readyject“) geliefert, das kein Latex enthält. Entwickelt hat den Impfstoff der Pharmakonzern Baxter AG. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren eine Technologie entwickelt, bei der Viren in geschlossenen Zellkultur-Behältern durch Infektion sogenannter Verozellen gezüchtet, dann abgetötet und als Ganzvirus-Antigene für den Impfstoff verwendet werden können. Bereits im vergangenen Jahr bei der H1N1-Pandemie machte Baxter mit seinem Zellkultur-Impfstoff auf sich aufmerksam. Allerdings benötigten dann wohl aber die europäischen Zulassungsbehörden länger bis zur Freigabe des Vakzins, wodurch sich der zeitliche Entwicklungs-Vorsprung wieder reduzierte. Der neue Influenza-Impfstoff ist hoch wirksam und gut verträglich. Das ergab eine Studie des Herstellers mit rund 7.200 Probanden im vergangenen Jahr in den USA. Es traten 73 Influenza-Erkrankungen auf, 60 davon in der Placebo-Gruppe. Insgesamt reduzierte der Impfstoff dabei die Infektionsrate um ganze 78,5 Prozent.

Von einem anderen Hersteller gibt es einen konventionellen Influenza-Impfstoff in neuer „Verpackung“. Kollaritsch dazu: „Ein intradermales Injektionssystem schafft es, dass die Nadelangst wegfällt, da der Stich einfach nicht spürbar ist. Zudem ist die intradermale Impfung etwas weniger immunogen.“ Univ. Prof. Rainer Kunstfeld von der Universitäts-Hautklinik im AKH Wien ergänzt: „Da Senioren durch eine Influenza-Erkrankung besonders gefährdet sind, aber weniger gut auf die jährliche Influenzaimpfung ansprechen, besteht ein Bedarf an maßgeschneiderten Impfstoffen mit höherer Immunogenität. Dies kann durch die intradermale Gabe des Influenza-Impfstoffes erreicht werden.“ Die intradermale Injektion ist laut dem Experten einfach und zuverlässig. „Der Vorteil dieser Art der Verabreichung ist die Größe der Nadel. Diese ist viel kleiner als eine Nadel zur intramuskulären Impfung“, erklärt Kunstfeld. Das neue Injektionssystem besitzt eine extrem kurze und dünne Nadel, die in etwa zehnmal kürzer ist als eine herkömmliche Impfkanüle, wodurch die Injektion nahezu schmerzfrei ist. „Mit der Mikronadel wird der Impfstoff nicht intramuskulär gespritzt, sondern wesentlich oberflächlicher in die Dendritischen Zellen der Dermis. Diese sind der ‚äußerste Vorposten‘ des Immunsystems in der Haut und eine zentrale Schaltstelle für immunologische Reaktionen wie beispielsweise Impfungen“, so der Dermatologe.

Risikopatienten und Kinder

Nicht nur aufgrund von Nadelangst verweigern Patienten häufig die Grippeimpfung. Auch die abgelaufene Pandemie mit dem H1N1-Virus hat in weiten Teilen der Bevölkerung dazu geführt, Influenza als „gar nicht so schlimm“ einzustufen. „Dabei sind Influenza-Viren völlig unberechenbar und deshalb so gefährlich“, erklärt Kollaritsch. Trotz der Gefährlichkeit der Viren hat die Durchimpfungsrate im Vorjahr einen neuen Tiefststand erreicht: Nur zehn Prozent der Bevölkerung beziehungsweise 33 Prozent der stark gefährdeten Zielgruppe der über 60-Jährigen haben sich einer Influenza-Impfung unterzogen. Die Influenza kann auch Wegbereiter einer Lungenentzündung sein. Zu den möglichen Komplikationen zählen bakterielle Superinfektionen, Dekompensationserscheinungen einer chronischen Erkrankung, Meningitis, Enzephalitis, Myositis oder Myokarditis. Nicht nur Risikopatienten wie Personen mit Diabetes oder Hypertonie sind Opfer der Grippe, jedes Jahr infizieren sich rund 25 bis 30 Prozent der Kinder mit Influenzaviren.

Eine Impfung bietet aber nicht nur Schutz gegen Influenza selbst. Laut einer britischen Studie, erschienen im „Canadian Medical Association Journal“ sind Menschen, die sich gegen die saisonale Grippe haben impfen lassen, nicht nur gegen Grippeviren geschützt, sondern haben auch seltener einen Herzinfarkt als Ungeimpfte. In den typischen Grippemonaten steigt die Zahl der Herzinfarkte an, was die Wissenschafter schon früher in Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen und Infarktrisiko gebracht hatten. Ein Forscherteam hat nun Daten von fast 80.000 Patienten ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Grippeschutzimpfung das Risiko für einen Herzinfarkt um 19 Prozent senkt. Besonders groß war die Schutzwirkung fürs Herz, wenn die Impfung bereits in den Monaten vor November verabreicht wurde. Eine Pneumokokkenimpfung gegen Lungenentzündung senkte das Infarktrisiko interessanterweise nicht.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2010