Forschung in Österreich: Kooperationen als Ausweg?

10.06.2010 | Medizin

Das Auslaufen von Patenten erfolgreicher Arzneimittel zwingt die Pharmaindustrie zum Handeln, etwa durch die Aufstockung von Portfolios, das Arbeiten an Diversifikationen. Wie das durch strategische Allianzen gelingen soll, zeigt ein Beispiel aus Österreich.
Von Ruth Mayrhofer

AFFiRis, Apeiron und Intercell sind jene in Wien beheimateten Biotech-Unternehmen, von denen sich durch Forschungskooperationen das britisch-stämmige Arzneimittelunternehmen GSK (GlaxoSmithKline) große Arzneimittel-Würfe für die Zukunft erwartet. Die „Zielgebiete“: ein Impfstoff gegen M. Parkinson, ein Medikament gegen akutes Lungenversagen, die Entwicklung von nadelfreien Impfungen mit Pflaster gegen pandemische Grippe und Reisedurchfall. Die Finanzierung der Projekte ist Meilenstein-abhängig. Das heißt: Finanzielle Mittel fließen nach einer Grundinvestition immer erst dann, wenn bestimmte Benchmarks – also Teilerfolge – erzielt werden. Insgesamt lassen die schon jetzt vorliegenden Ergebnisse aber durchaus große Erwartungen und Hoffnungen zu. In den vergangenen eineinhalb Jahren hat GSK Investitionsvereinbarungen über bis zu 783,6 Millionen Euro allein für Forschungskooperationen mit österreichischen Biotech-Unternehmen abgeschlossen. Damit ist GSK nach der Siemens AG wahrscheinlich der größte Investor in Sachen Forschung in Österreich.


Projekte mit Ehrgeiz

AFFiRis freute sich erst Anfang Februar 2010 über einen wichtigen Fortschritt bei der Entwicklung ihres Impfstoffes gegen M. Parkinson: Der als PD01 bezeichnete Impfstoff durchlief zahlreiche präklinische Tests, die dessen Wirkprinzip bestätigten. Jetzt beginnt das Unternehmen mit der Vorbereitung zur klinischen Erprobung des Impfstoffes, die für Anfang 2011 geplant ist. Dank eines – wie AFFiRis betont – völlig neuen Wirkansatzes könnte dieser Impfstoff erstmals die Chance auf eine ursächliche Behandlung von Parkinson bieten. Die Grundlage von PD01 ist die von AFFiRis entwickelte AFFITOM®-Technologie, auf der unter anderem bereits zwei Impfstoffe gegen Alzheimer beruhen. Diese haben übrigens inzwischen erste klinische Prüfungen erfolgreich abgeschlossen.

Die Kooperation zwischen GSK und der Apeiron Biologicals AG (Apeiron) räumt GSK exklusive Rechte am Projekt APN01 ein. APN01 steht für „rekombinantes humanes Angiotensin Converting Enzyme 2, rhACE2“ und ist ein Enzym-Therapeutikum zur Behandlung des akuten Lungenversagens (ARDS). Es befindet sich derzeit in Phase I der Klinischen Entwicklung. Die Vereinbarung sieht Meilenstein-Zahlungen bis zu einer Höhe von rund 236 Millionen Euro für den Fall vor, dass APN01 für mehrere Indikationen zugelassen wird. Der Gründer von Apeiron, der österreichische Wissenschafter Univ. Prof. Josef Penninger, zur Vereinbarung: „Als ich nach mehreren Jahren in der Grundlagenforschung von Nordamerika nach Österreich zurückgekehrt bin, hatte ich die Vision, einige meiner Forschungsergebnisse, unter anderem die zu ACE2, in klinisch anwendbare und wirtschaftlich erfolgreiche Produkte umzusetzen. Zu diesem Zweck habe ich Apeiron gegründet und konnte dafür auch ein exzellentes Management-Team gewinnen. Ich bin beeindruckt, wie schnell und erfolgreich nun die grundlegende Idee in ein klinisches Projekt mit solch vielversprechenden Perspektiven umgesetzt wurde“.

Der Dritte im Bund, das Biotech-Unternehmen Intercell, hat schon Mitte 2009 seine strategische Allianz mit GSK zur Erforschung und zum Vertrieb von nadelfreien, auf Pflastern basierenden Impfstoffen bekannt gegeben. Diese Kooperation betrifft in Entwicklung befindliche Impfstoffkandidaten gegen Reisedurchfall (bereits in Phase III der Klinischen Prüfung) sowie zur einmaligen Verabreichung gegen pandemische Grippe (Phase II). Der Einsatz der Pflastertechnik für andere Impfstoffe im Portfolio des Pharmaunternehmens sowie die Entwicklung von weiteren potenziellen Pflasterimpfstoffen sind ebenfalls Teil des Abkommens. Diese neue Technologie, so hofft GSK, hat das Potenzial, die Verabreichung von Impfstoffen in Zukunft grundlegend zu ändern.

Besonders erfreut über diese „Forschungsoffensive ex Österreich“ zeigt sich Evelyn Schödl, Vizepräsidentin und Geschäftsführerin der Wiener Niederlassung von GSK. „Als Österreicherin bin ich natürlich stolz, dass immerhin drei von konzernweit 15 ‚early-stage-Projekten‘ in Österreich stattfinden! Das allein zeugt doch von der Qualität und der Kompetenz der österreichischen Biotech-Forschungslandschaft!“ Und diese Eigenschaften in Sachen Forschung, aber auch in Sachen Management müssen vom Forschungspartner schon vorab eindeutig bewiesen werden. Immerhin arbeitet beim Pharmakonzern in London eine eigene Abteilung ausschließlich zur Vorbereitung derartiger Zusammenarbeitsmodelle. Unternehmen, die für solche Allianzen in Frage kommen, werden vom Konzern auf Herz und Nieren geprüft. GSK Österreich hat dabei keinerlei Einfluss oder gar Mitspracherecht. Und auch sonst hält sich das Unternehmen speziell bei Projekten in frühen Phasen eher bedeckt. Schödl: „Wir machen diesbezüglich nicht sehr viel PR, weil wir nicht übersteigerte Erwartungen und Hoffnungen in der Öffentlichkeit wecken wollen; das ist ja speziell im Gesundheitsbereich immer sehr heikel“.

Kooperationen als „Ausweg“?

Bedeutet der Abschluss von strategischen Allianzen beziehungsweise Kooperationen, wie sie in der Welt der Pharmaindustrie mittlerweile üblich geworden sind, den Versuch eines „Rettungsankers“, weil die eigenen Pipelines ganz einfach erschöpft sind? Evelyn Schödl verneint dies: „Wir haben eine sehr starke Pipeline. 30 Projekte befinden sich in der dritten und letzten mehrjährigen Phase der klinischen Studien“. Darunter fallen etwa sehr spezialisierte Arzneimittel für den Bereich der Onkologie oder ein Nachfolgeprodukt für das Asthma- und COPD-Medikament Seretide®. Außerdem arbeitet das Unternehmen an therapeutischen Impfungen gegen Krebs. Nach jahrzehntelanger Arbeit könnte schon 2011 oder 2012 auch ein neuer Malaria-Impfstoff zur Verfügung stehen.

Aber dennoch: Das Auslaufen von Patenten von höchst erfolgreichen Arzneimitteln wie es die pharmazeutische Industrie derzeit generell erlebt – GSK ist dabei vom Patentlablauf von Valtrex® betroffen – zwingt alle Firmen, in der derzeit schwierigen Phase, die vermutlich bis 2012/13 dauern wird, ihre Portfolios aufzustocken, mit Diversifikationen zu arbeiten oder in andere Bereiche wie etwa Diagnostika auszuweichen. GSK selbst will, wie Schödl betont, „viele verschiedene und innovative Ansätze, aber auch eigene Kapazitäten ohne zwischenzeitlichen Abbau nützen“.

Evelyn Schödl hofft, dass sich das Unternehmen durch die hohen Forschungsinvestitionen in Österreich hierzulande vielleicht auch besser als Partner im heimischen Gesundheitswesen positionieren kann, „also dass man merkt und endlich erkennt, dass wir (die Pharmaindustrie, Anm.) nicht nur Kostenverursacher im Gesundheitssystem sind, sondern mit wesentlichen Investitionen genauso einen wesentlichen Beitrag zum medizinischen Fortschritt leisten“. Und weiters, dass so vielleicht auch die breite Öffentlichkeit ein besseres Bild als bisher von der pharmazeutischen Industrie erhält, weil – so die GSK-Chefin – „die letzten Image-Umfragen waren leider neuerlich ziemlich schlecht“.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2010