Dysphagie: Mehr als nur Verschlucken

10.04.2010 | Medizin

Eine Schluckstörung ist lediglich das Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung. Speziell im hohen Lebensalter wird eine Dysphagie mitunter nicht ausreichend erkannt oder entsprechend ernst genommen, was für den Betroffenen in weiterer Folge lebensbedrohlich werden kann.
Von Irene Mlekusch

Das Schlucken der Nahrung erscheint selbstverständlich und einfach, bewusst wird vielen der Vorgang erst, wenn eine Störung vorliegt. „Der Schluckvorgang des Menschen ist ein komplexer Vorgang, der etwa 660 Mal pro Tag stattfindet“, erklärt Univ. Doz. Arnulf Ferlitsch von der klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien.

Bei einer Dysphagie können entweder nur eine oder auch mehrere Phasen des Schluckaktes betroffen sein. Da die Schluckstörung lediglich das Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung darstellt, hält Ferlitsch es für äußerst wichtig, anamnestisch zu erheben, in welcher Region das Problem bei jedem Patienten seinen Anfang nimmt. Die Differenzierung der einzelnen Schluckphasen ermöglicht eine erste Verdachtsdiagnose und bestimmt die weiteren diagnostischen Schritte. „Wichtig ist es auch nach den Essgewohnheiten der Patienten zu fragen“, berichtet Ferlitsch aus der Praxis, „da viele Patienten ihre Nahrung selbst, zum Beispiel auf weichere Kost, umstellen, bevor sie zum Arzt gehen.“ Da die Beschwerden oft von der Konsistenz der Nahrung abhängen, verändern sie sich mit der Zeit. 

Univ. Prof. Wolfgang Vogel, Vorstand der Medizinischen Universitätsklinik II in Innsbruck mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie sieht eher selten Patienten, die isoliert über Schluckstörungen klagen. Dysphagien werden typischerweise als Teil eines größeren Symptomenkomplexes wie bei neurologischen Erkrankungen, Verätzungen der Speiseröhre oder der Sklerodermie genannt. „Sehr viel häufiger verbergen sich eigentliche Schluckbeschwerden hinter Symptomen wie Bolusgefühl, Sodbrennen, in den Hals ausstrahlende Sensationen, chronischem Husten und anderen“, so Vogel. Ferlitsch kennt das Symptom auch aus der Notfallmedizin: Das Steckenbleiben zu großer Nahrungsstücke ist keine Seltenheit.

Bei Patienten mit neurologischen Vorerkrankungen äußert sich die Dysphagie häufig in Form einer Aspiration, chronischem Husten und einem Gefühl der Verstopfung im Hals. Ferlitsch dazu: „Die Betroffenen beschreiben, dass ihnen das Essen im Hals stecken bleibt. Hier muss eine Abgrenzung zum Globusgefühl erfolgen, das keine echte Schluckstörung ist und unabhängig vom Essen auftritt.“ Aber auch Gewichtsverlust, Reflux, Fremdkörpergefühl, sowie Schmerzen im Epigastrum oder höher können auf eine Schluckstörung hinweisen. Patienten mit neurologischen Erkrankungen haben manchmal Schwierigkeiten, die Schluckstörung zu lokalisieren. Speziell im hohen Lebensalter wird eine Dysphagie mitunter nicht ausreichend erkannt oder entsprechend ernst genommen, was für den Betroffenen in weiterer Folge lebensbedrohlich werden kann. Vogel rät deshalb dazu, jeden gravierenden Gewichtsverlust konkret abzuklären, ohne gleich an ein Ösophaguskarzinom zu denken. Eines der Alarmsymptome im Zusammenhang mit der Dysphagie ist sicher die Hämatemesis. „Atypische Reflux-Patienten oder Non-Responder auf eine probatorische PPI-Therapie kommen ebenso für eine Dysphagie in Frage“, ergänzt Vogel die Aufzählung und fügt dem noch die vorangegangenen endoskopischen Interventionen oder chirurgischen Eingriffe hinzu, die durchaus in der Regel passager zu Dysphagie führen.

Die der Dysphagie zugrunde liegenden Erkrankungen sind vielfältig. Manchmal sind schlecht sitzende Zahnprothesen oder andere kieferorthopädische Probleme vorhanden. Ferlitsch nennt Schlaganfall, Zenker Divertikel, Neurologische Syndrome (allen voran M. Parkinson), GERD, Achalasie, Refluxösophagitis und Motilitätsstörungen. Da auch schwerwiegende onkologische Erkrankungen wie zum Beispiel das Ösophaguskarzinom Auslöser für Schluckstörungen sein können, ist dieses Symptom immer genau abzuklären. Vogel zählt auch seltenere Ursachen wie Lichen ruber, Pemphigus oder Schluckstörungen bei Diabetikern auf, bei denen jedoch die Magenentleerungsstörung im Vordergrund steht. „Selten einmal können sich eine Struma oder ein Bronchuskarzinom primär mit Dysphagie bemerkbar machen“, ergänzt Vogel und verweist außerdem auf angeborene Gefäßanomalien wie bei der Dysphagia lusoria oder anderen Anomalien im kardio-pulmonalen Bereich, die sich vor allem im Kindesalter manifestieren. Von funktioneller Dysphagie spricht man, wenn nach einer vollständigen diagnostischen Evaluierung weder strukturelle Abnormitäten noch eine Motilitätsstörung vorliegen und trotzdem für einen Zeitraum von mehr als zwölf Wochen beim Essen das Gefühl entsteht, als ob Nahrung stecken bleibt und dieses Symptom vor mindestens sechs Monaten erstmals
aufgetreten ist.

In Anbetracht der variablen Ätiologie lassen sich bestimmte Risikogruppen für die Entwicklung einer Schluckstörung zusammenfassen. Ältere Patienten neigen alleine schon deshalb öfter zur Dysphagie, weil sie ein höheres Risiko haben, einen Insult zu erleiden oder an Morbus Parkinson zu erkranken. Vogel sagt, dass rauchende und/oder Alkohol missbrauchende Männer Risikokandidaten für ein Ösophaguskarzinom ab dem 50., 60. Lebensjahr sind und somit indirekt ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine Dysphagie haben. „Übergewichtige Männer ab 65 Jahre haben wiederum ein zunehmend erhöhtes Risiko ein Barrett-Karzinom zu entwickeln“, so der Experte. Männer und etwas häufiger Frauen im mittleren Lebensalter sind eine Risikogruppe für die Eosinophile Ösophagitis. Motilitätsstörungen der Speiseröhre im Rahmen von Autoimmunerkrankungen können ebenso Schluckstörungen heraufbeschwören.

Um eine Dysphagie diagnostizieren zu können, ist zunächst der Schilderung des Patienten aufmerksam zuzuhören und entsprechend dem ersten Verdacht und passend zur klinischen Untersuchung beziehungsweise Beobachtung eine weitere Diagnostik einzuleiten. Beide Experten empfehlen daher die Ösophago-Gastro-Duodenoskopie. Vogel ergänzt die Untersuchung durch Biopsien um eine eosinophile Ösophagitis, Refluxösophagitis oder einen Barrett-Ösophagus auszuschließen. „Zu denken ist weiter an angeborene strukturelle Erkrankungen wie Divertikel, angeborene Speiseröhren-Webs oder akzidentell erworbene Strikturen, medikamentöse Läsionen und selten infektiöse Erkrankungen zum Beispiel Herpes-Ösophagitis“, so Vogel. Bei negativer Endoskopie sollte eine Bildgebung des Thorax mittels CT, eine Untersuchung auf Motilitätsstörung oder eine neurologische eventuell dermatologische Untersuchung veranlasst werden. „Bei Verdacht auf Motilitätsstörungen ist die Videocinematografie unersätzlich“, erklärt Ferlitsch.

Auch für Vogel hat diese Untersuchung einen hohen Stellenwert, um neurologische Erkrankungen sowie primäre und sekundäre Erkrankungen des
Ösophagus nachzuweisen. „Allerdings lässt sich mit dieser Methode nur die Störung der Ösophagusmotorik und mit etwas geringerer Sensitivität eine strukturelle Erkrankung nachweisen“, weiß Vogel und ergänzt: „Die Sensitivität im Nachweis der Ursache ist allerdings sehr schlecht und verlangt immer eine Endoskopie eventuell mit weiterführenden Untersuchungen wie Impedanzmanometrie oder auch pH-Metrie.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010