Chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kun­gen: The­ra­pie im Fluss

25.10.2010 | Medizin

Rund 80.000 Men­schen in Öster­reich lei­den an Chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen. Die The­ra­pie befin­det sich kon­ti­nu­ier­lich in Wei­ter­ent­wick­lung: So sol­len etwa bei M. Crohn TNFα-Blo­cker bereits in frü­he­ren Erkran­kungs­sta­dien zur Anwen­dung kom­men.
Von Eve­line Hecher

Bei der The­ra­pie von M. Crohn wur­den vor eini­ger Zeit Bio­lo­gika – in Öster­reich die TNFα-Blo­cker Infli­xi­mab und Ada­li­mu­mab - nach Ste­ro­iden und Immun­sup­pres­siva erst als The­ra­pie der drit­ten Wahl ange­wandt. „Mitt­ler­weile gehen Emp­feh­lun­gen in die Rich­tung, dass sie bereits als zweite Wahl, also noch vor den Immun­sup­pres­siva, zur Anwen­dung kom­men kön­nen“, erläu­tert Univ. Prof. Wal­ter Rei­nisch von der Inne­ren Medi­zin III am Wie­ner AKH.

Unter früh­zei­tig ist gemeint, dass Bio­lo­gika vor allem schon in frü­he­ren Erkran­kungs­sta­dien in Frage kom­men, und nicht mehr sie­ben bis zehn Jahre der Erkran­kung ver­strei­chen sol­len, bis sie dem Pati­en­ten ange­bo­ten wer­den. Vor allem wenn Pati­en­ten Cor­ti­son-abhän­gig oder Cor­ti­son-refrak­tär sind, soll an TNFα-Blo­cker gedacht wer­den. „Das kann auch bereits schon im ers­ten oder zwei­ten Jahr nach Dia­gno­se­stel­lung sein“, erklärt Rei­nisch wei­ter. Wich­tig ist jedoch, dass nicht nur der Ver­dacht auf die Dia­gnose „M. Crohn“ steht, son­dern die Erkran­kung gesi­chert und bestä­tigt ist. Außer­dem ist zu beach­ten, dass Pati­en­ten mit bekann­tem M. Crohn auch Durch­fälle und Bauch­schmer­zen aus ande­ren Grün­den haben kön­nen, ohne dass es sich dabei gerade um eine Akti­vie­rung der chro­ni­schen Erkran­kung han­delt. „Wir wol­len vor­zugs­weise Pati­en­ten mit Bio­lo­gika behan­deln, die objek­tive Zei­chen einer Ent­zün­dung auf­wei­sen“, erläu­tert der Experte. Bio­lo­gika machen näm­lich nur hier Sinn, und zwar bei einer dau­er­haf­ten The­ra­pie. Schließ­lich schrei­tet die Erkran­kung chro­nisch voran.

Durch eine Dau­er­the­ra­pie kann bes­ten­falls ein wei­te­rer Anfall, Kom­pli­ka­tio­nen oder gar eine Ope­ra­tion ver­mie­den wer­den. „Sollte dies jedoch nicht der Fall sein und ein Anfall durch ein ent­zünd­li­ches Gesche­hen auf­tre­ten, ist das als Wirk­ver­lust des Bio­lo­gi­kums zu sehen“, betont Rei­nisch. Hier sollte man zunächst an eine Inten­si­vie­rung der The­ra­pie mit dem Bio­lo­gi­kum den­ken, bevor man auf ein ande­res Bio­lo­gi­kum umsteigt.

Ob Immun­sup­pres­siva gänz­lich von Bio­lo­gi­cals abge­löst wer­den sol­len, wird unter­schied­lich dis­ku­tiert. Im Rah­men einer kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Stu­die („SONIC“) im New Eng­land Jour­nal of Medi­cine konnte zumin­dest gezeigt wer­den, dass Infli­xi­mab im Ver­gleich zu Aza­thio­prin (Imu­rek) dop­pelt so häu­fig das Auf­tre­ten von Ent­zün­dun­gen ver­hin­dern konnte. „Somit sind Bio­lo­gika die deut­lich wirk­sa­me­ren Medi­ka­mente“, erklärt Rei­nisch. In der­sel­ben Stu­die gibt es jedoch Hin­weise, dass die Kom­bi­na­tion aus Aza­thio­prin und Infli­xi­mab mög­li­cher­weise noch effi­zi­en­ter in der Behand­lung sei, wobei unklar ist, ob es auch Vor­teile für eine lang­fris­tige Behand­lung bringt. Durch die dop­pelte Immun­sup­pres­sion bestehe näm­lich die Gefahr einer höhe­ren Infekt­an­fäl­lig­keit. „Die Infekt­an­fäl­lig­keit war unter einer Mono­the­ra­pie mit Infli­xi­mab näm­lich nur halb so hoch wie jene bei der Behand­lung mit Aza­thio­prin, wel­ches zudem zuletzt mit einem gestei­ger­ten Lym­phom­ri­siko asso­zi­iert wer­den konnte“, weist der Experte hin.

Die The­ra­pie bei chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Gabe von den rich­ti­gen Medik­am­ten. So kann näm­lich auch eine län­ger dau­ernde Depres­sion oder chro­ni­scher Stress eine Krank­heits­ak­ti­vie­rung ver­ur­sa­chen. „Die Psy­cho­so­ma­tik gewinnt im Bereich der chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen immer mehr an Bedeu­tung“, betont Univ. Prof. Gabriele Moser, Lei­te­rin der Psy­cho­so­ma­tik-Ambu­lanz an der Inne­ren Medi­zin III im Wie­ner AKH. Über Coli­tis ulce­rosa weiß man zum Bei­spiel, dass bei psy­chi­scher Belas­tung das Auf­tre­ten einer aku­ten Krank­heits­phase drei­fach erhöht ist. Bereits in den 1950er Jah­ren wurde der mensch­li­chen Psy­che maß­geb­li­che Bedeu­tung im Krank­heits­ge­sche­hen von M. Crohn und Coli­tis ulce­rosa bei­gemes­sen; aller­dings wur­den psy­chi­sche Gründe fälsch­li­cher­weise als Ursa­che ange­nom­men. „Bis­her konnte dies nicht bestä­tigt wer­den“, erläu­tert Moser. Laut pro­spek­ti­ven Lang­zeit­stu­dien spiele chro­ni­scher Stress zumin­dest eine Rolle bezie­hungs­weise beein­flusse den Krank­heits­ver­lauf nega­tiv. Aus Life Event-Stu­dien ist jedoch bekannt, dass ein ein­zel­nes belas­ten­des Lebens­er­eig­nis kei­nen Krank­heits­schub aus­löst, chro­ni­sche Belas­tun­gen jedoch sehr wohl nega­tive Aus­wir­kun­gen haben kön­nen. Gene­ti­sche Ursa­chen sind zu 30 bis 50 Pro­zent für eine chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kung ver­ant­wort­lich; die rest­li­chen Pro­zent erge­ben sich aus Umwelt­fak­to­ren bezie­hungs­weise sind unbekannt.

Laut der alten Lehr­mei­nung, die vor allem psy­chi­sche Ursa­chen für das Ent­ste­hen von M. Crohn oder Coli­tis ulce­rosa ver­ant­wort­lich gemacht hat, soll­ten alle Pati­en­ten Psy­cho­the­ra­pie erhal­ten. „Das ist jedoch völ­li­ger Blöd­sinn, da nicht jeder psy­chi­sche Stö­run­gen hat bezie­hungs­weise depres­siv oder ängst­lich ist“, stellt Moser klar. So benö­tigt rund ein Drit­tel aller Pati­en­ten zusätz­lich psy­chi­sche bezie­hungs­weise psy­cho­so­ma­ti­sche Betreu­ung. Die Betrof­fe­nen sagen dann sogar selbst, dass sie psy­chi­sche Betreu­ung brau­chen, weil sie mit diver­sen Belas­tun­gen nicht mehr zurecht kom­men.

Part­ner­schafts­pro­bleme

Ein wei­te­rer Aspekt darf ins­ge­samt nicht außer Acht gelas­sen wer­den: Auf­grund von Fis­tel­bil­dun­gen im Intim­be­reich kommt es häu­fig zu Sexu­al­stö­run­gen und somit zu Pro­ble­men in der Part­ner­schaft. Häu­fige Kran­ken­stände füh­ren dage­gen wie­der zu Schwie­rig­kei­ten am Arbeits­platz.

Der gesamte All­tag ist bei vie­len Pati­en­ten von ihrer Erkran­kung geprägt. Selbst ein ein­fa­cher Ein­kauf kann auf­grund der häu­fi­gen Durch­fälle bereits zur Müh­sal wer­den, sodass aus der ein­ge­schränk­ten Mobi­li­tät sozia­ler Rück­zug resul­tie­ren kann. Selbst die Anreise zu den Behand­lungs­zen­tren wird aus die­sen Grün­den zur logis­ti­schen Her­aus­for­de­rung. „Der Akti­ons­ra­dius wird von der Ver­füg­bar­keit einer Toi­lette bestimmt“, schil­dert Rei­nisch den Lei­dens­weg vie­ler Pati­en­ten. Hel­fen kön­nen bereits ein­fa­che The­ra­pie­maß­nah­men, was die Exper­ten unter „Coping“ ver­ste­hen: So spie­len Selbst­hil­fe­grup­pen und Ent­span­nungs­tech­ni­ken punkto Lebens­qua­li­tät eine wesent­li­che Rolle: „Viele CED-Pati­en­ten haben eine zusätz­li­che Reiz­darm­sym­pto­ma­tik, weil durch die jah­re­lange Stö­rung das vis­ze­rale Ner­ven­sys­tem irri­tiert wird“, erklärt Moser. Durch die soge­nannte Bauch­hyp­nose, die spe­zi­ell für das Reiz­darm­syn­drom ent­wi­ckelt wurde, kann vie­len Pati­en­ten gehol­fen wer­den: Nach acht bis zehn Hyp­nose-Sit­zun­gen kön­nen auch bei Leu­ten mit jah­re­lan­gen Beschwer­den tolle Effekte erzielt wer­den. Lin­de­run­gen der Beschwer­den tre­ten typi­scher­weise nach der fünf­ten Sit­zung auf; sie kön­nen laut Exper­ten bis zu 15 Monate lang anhal­ten. „Da beim Reiz­darm­syn­drom mit­tels Bauch­ent­span­nungs­tech­ni­ken schon so tolle Erfolge erzielt wer­den konn­ten, ver­sucht man nun diese auch bei CED-Beschwer­den zu eta­blie­ren“, erklärt Moser den neu­es­ten Stand.

Für Rei­nisch steht der inter­dis­zi­pli­näre Behand­lungs­zu­gang im Vor­der­grund, da die Erkran­kung die Fach­be­rei­che sowohl des Psy­cho­so­ma­ti­kers, Diä­to­lo­gen, Radio­lo­gen, Chir­ur­gen oder Gas­tro­en­te­ro­lo­gen tan­giert. Ebenso sollte ein flä­chen­de­cken­des Ange­bot zur Ver­fü­gung ste­hen, sodass geplagte Pati­en­ten über­haupt in ein Zen­trum für CED kom­men kön­nen.

Media­ner Lei­dens­weg: 3,1 Jahre

„Durch die adäquate Dia­gnos­tik und eine dem­entspre­chende The­ra­pie könn­ten enorme Gesund­heits­kos­ten und Leid gespart wer­den“, weist Rei­nisch hin. Viele Pati­en­ten wer­den näm­lich zwar unnö­tig oft colo­sko­piert, aber nicht ziel­füh­ren­der abge­klärt. Daher gibt es in Öster­reich den soge­nann­ten CED-Check, der bei der Dia­gno­se­stel­lung für chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kun­gen hel­fen soll. Dabei han­delt es sich um einen online-Fra­ge­bo­gen (www.ced-check.at) mit zehn Fra­gen, die Pati­en­ten mit chro­ni­schen Bauch­schmer­zen vom erst­un­ter­su­chen­den Arzt gestellt wer­den, um früh­zei­tig den Ver­dacht in Rich­tung CED zu len­ken. „Im Rah­men einer Stu­die ver­su­chen wir der­zeit die Treff­si­cher­heit des CED-Checks zu beur­tei­len, dazu brau­chen wir aber die breite Akzep­tanz und Teil­nahme aller erst­ver­sor­gen­den Ärzte“, plä­diert Rei­nisch. Hin­weise, die an eine chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kung den­ken las­sen soll­ten, lie­fert in 75 Pro­zent ein erhöh­tes CRP, in 30 bis 40 Pro­zent eine Throm­bo­zy­tose oder auch eine Eisen­man­gel­an­ämie. Zusätz­lich kön­nen der Nach­weis von Cal­pro­tek­tin im Stuhl oder Anti­kör­per gegen Bier-/Bä­cker­hefe im Serum auf eine chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kung deu­ten. Sind einige die­ser Werte zutref­fend, ist jeden­falls eine Ileo­co­lo­no­sko­pie durch­zu­füh­ren.

Für eine erfolg­rei­che Behand­lung der Pati­en­ten ist laut Exper­ten jeden­falls eine Ent­ta­bui­sie­rung der Erkran­kung maß­geb­lich. Außer­dem soll­ten bei der The­ra­pie keine extre­men Hal­tun­gen ver­tre­ten sein, die einer­seits nur die Psy­che als ursäch­li­chen Fak­tor behan­deln bezie­hungs­weise ande­rer­seits nur der Kör­per quasi ohne Seele behan­delt wird. „Über M. Crohn soll man reden dür­fen, auch wenn es – im wahrs­ten Sinn des Wor­tes – ein Thema unter der Gür­tel­li­nie ist“, sagt Moser. Ihr Appell an die Haus­ärzte, die das psy­cho­so­ziale Umfeld eines Pati­en­ten am bes­ten ken­nen müss­ten: bei Bedarf eine psy­chi­sche Mit­be­hand­lung zu gewähr­leis­ten. Dies sei beson­ders dann not­wen­dig, wenn der All­ge­mein­me­di­zi­ner über keine Zusatz­aus­bil­dung in Psy­cho­so­ma­tik ver­fügt. Rei­nisch ergänzt: „Es ist vor allem wich­tig, Wis­sen über diese Erkran­kun­gen zu bil­den“. Der­zeit wird unter sei­ner Mit­ar­beit auch ein Aus­bil­dungs­mo­dell für CED ange­strebt. Im Rah­men des­sen wer­den ver­mehrt Fort­bil­dungs­ver­an­stal­tun­gen spe­zi­ell für im nie­der­ge­las­se­nen Bereich tätige Ärzte ange­bo­ten.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2010