Bullöse Exantheme: Blasen als Alarmsignal

10.04.2010 | Medizin

Speziell im Rahmen von viralen Infektionen kommt es häufig zu bullösen Exanthemen. Lebensbedrohlich können durch Arzneimittel verursachte bullöse Exantheme verlaufen.
Von Irene Mlekusch

Bläschen- oder Blaseneruptionen finden sich bei einem breiten Spektrum dermatologischer Erkrankungen. In zahlreichen Fällen stellen vesikuläre oder bullöse Reaktionen eine Primäreffloreszenz dar, die im weiteren Verlauf des Krankheitsprozesses nicht immer identifizierbar ist. Für die Diagnose entscheidend ist daher das klinische Bild mit typischer Lokalisation der Blasen und eine eingehende Anamnese, die Dauer und Zeitpunkt des Auftretens des Exanthems ebenso erfassen sollte wie Begleitsymptome sprich Schmerzen, Fieber oder Juckreiz. Vor allem bei Infektionskrankheiten, Kontaktallergien oder parasitären Auslösern lassen sich so oft die entscheidenden Hinweise finden. Eine diagnostische Herausforderung stellen eher die hereditären und Autoimmundermatosen, sowie bullöse Arzneimittelexantheme dar. Univ. Prof. Klemens Rappersberger, Vorstand der Dermatologischen Abteilung an der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien verweist darauf, dass jede blasenbildende Hauterkrankung ernst zu nehmen und dem Dermatologen vorzustellen ist.

„Hereditäre Dermatosen mit Blasenbildung sind selten und zeigen sich oft gleich nach der Geburt“, erklärt Univ. Prof. Helmut Hintner, Vorstand der Universitätsklinik für Dermatologie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg an den Salzburger Landeskliniken. Die Epidermolysis bullosa weist dabei ein sehr breites Spektrum an klinischen Manifestationen auf; aufgrund der ultrastrukturellen Lage der Spaltbildung teilt man sie in drei Hauptformen ein. Insgesamt sind mehr als 20 verschiedene Formen bekannt, die von milden, bis hin zu schwersten, mutilierenden und tödlich verlaufenden Subtypen reichen. Die rein klinische Diagnose beim Neugeborenen oder Kleinkind kann sich insofern schwierig gestalten, da sich sekundäre Merkmale wie Narben, Nageldystrophie, Alopezie oder Zahnanomalien erst im Lauf der ersten Lebensjahre entwickeln. Sinnvoll ist die Erhebung der Familienanamnese, wobei sich bei den Familienmitgliedern trotz fehlender Blasenbildung Nagel- oder Zahnanomalien finden können, die wiederum auf mögliche Mutationen hinweisen können. Für eine weiterführende Diagnostik mittels Antigen-Mapping und indirekter Immunfluoreszenz ist eine Hautbiopsie notwendig. Eine vitale Bedrohung stellen für die betroffenen Kinder bei starker Blasenbildung der mögliche Protein- und Flüssigkeitsverlust sowie bakterielle Superinfektionen dar. Da lediglich eine symptomatische Therapie zur Verfügung steht und vor allem die Vermeidung der mechanischen Belastung der Haut aufgrund der erhöhten Hautfragilität angezeigt ist, ist eine frühzeitige Diagnosestellung für die Erstellung prognostischer Aussagen essentiell. „Bullöse Dermatosen beim Kind dürfen nicht auf die leichte Schulter genommen werden und bedürfen immer einer dermatologischen Abklärung“, sagt Rappersberger dazu.

„Bullöse Autoimmundermatosen sind ebenfalls selten, manifestieren sich aber eher erst im mittleren und höheren Lebensalter, da das Immunsystem hier eine entscheidende Rolle spielt“, erklärt Hintner. Diese Gruppe von schweren, zum Teil lebensbedrohlichen Krankheiten ist gekennzeichnet durch die Ausbildung von Auto-Antikörpern gegen die Strukturproteine der Haut. Nach den betroffenen Zielstrukturen und dem Kardinalsymptom unterscheidet man drei Hauptgruppen: die Pemphigusgruppe mit dem Kardinalsymptom Akantholyse; die Pemphigoidgruppe, bei der er es zur Abhebung der Epidermis in der Junktionszone kommt und die Dermatitis herpetiformis, die ebenfalls zu einer subepidermalen Spaltbildung führt.

Bullöse Autoimmundermatosen sind meist von chronischem Verlauf und die Erkrankung bleibt in der Regel auf die Haut und die angrenzenden Schleimhäute beschränkt. Die Prognosen sind dagegen äußerst unterschiedlich. Während manche unbehandelt progredient verlaufen und zum Tod führen können (Pemphigus vulgaris), sind andere wiederum selbst limitierend (lineare IgA-Dermatose) oder führen über Komplikationen vor allem bei geschwächten Patienten unter Umständen zum Tod (bullöses Pemphigoid). Chronische Exulzerationen und Vernarbungen können aber in jedem Fall die Lebensqualität drastisch einschränken. Hintner verweist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr der Erblindung beim vernarbenden Schleimhaut- Pemphigoid. Schmerzhafte Blasen oder Erosionen an der Haut oder Schleimhaut ohne Abheilungstendenz sollten den Verdacht auf eine bullöse Autoimmundermatose lenken. Beim Pemphigus vulgaris ist der Ort der Erstmanifestation in bis zu 70 Prozent der Fälle die Mundschleimhaut. Hintner dazu: „Aphten stellen zwar prinzipiell eine eigene Erkrankung dar. Heilen diese aber nicht innerhalb von zwei bis vier Wochen ab, so bedarf es einer Probeexzision der Mundschleimhaut.“ Er empfiehlt eine zweifache Stanze, in der mittels direkter Immunfluoreszenz die Autoantikörper nachgewiesen werden. Die indirekte Immunfluoreszenz bringt dagegen zirkulierende Autoantikörper ans Licht, die allerdings nicht bei allen bullösen Autoimmundermatosen vorkommen. Ergänzend zur Klinik, Histologie und Immunfluoreszenz stehen nun auch immunserologische Tests mit rekombinanten Antigenen oder Autoantigenextrakten wie ELISA, Immunoblot oder Immunpräzipitation zur biochemischen Bestimmung der Antigene zur Verfügung.

Typisch für arzneimittelinduzierte Exantheme ist das verzögerte Auftreten mit fünf bis 14 Tagen nach der Einnahme des Medikamentes. Die bullösen Arzneimittelexantheme stellen dabei eine Maximalvariante der kutanen Überempfindlichkeitsreaktionen dar und können unter ungünstigen Umständen lebensbedrohlich verlaufen. Die Prodromalsymptome sind zunächst unspezifisch und erinnern an eine Grippe mit erhöhter Temperatur und Eosinophilie. Die im Anschluss auftretenden Hauterscheinungen unterscheiden sich sowohl in ihrem klinischen Bild, als auch in Bezug auf ihre Prognose, die auslösenden Faktoren und die Therapie. Die Diagnose sollte aber in jedem Fall so rasch wie möglich gestellt und das auslösende Agens unverzüglich abgesetzt werden. Die scharf begrenzten, livid-rot verfärbten, mäßig infiltrierten Makulae des fixen bullösen Arzneiexanthems treten typischerweise immer an derselben Lokalisation bevorzugt den Akren, intertriginösen Arealen sowie Genital- und Mundschleimhaut auf.

Das Erythema exsudativum multiforme, das auch durch bakterielle oder virale Infektionen ausgelöst werden kann, ist dagegen durch schießscheibenförmige Erytheme mit zentraler Blasenbildung gekennzeichnet. Die Erkrankung tritt vor allem im jungen Erwachsenenalter auf und die Streckseiten der unteren und oberen Extremitäten sind besonders betroffen. Das Stevens-Johnson-Syndrom wird manchmal als Maximalvariante des Erythema exsudativ multiforme beschrieben und betrifft bis zu zehn Prozent der Körperoberfläche. Die Einzel-Läsionen sind jedoch größer und neigen zur Konfluenz. Die Ausbreitung des Exanthems erfolgt zentrifugal und innerhalb weniger Tage kann es zur nekrotischen Ablösung der Epidermis kommen. Im Falle der toxisch epidermalen Nekrolyse (TEN) kann es zu ausgedehnten oder sogar generalisierten Oberhaut- und Schleimhautablösungen kommen. 50 Prozent der Fälle verlaufen letal, da auch die inneren Organe betroffen sein können. Die flächenhaft auftretenden Erytheme bis hin zur Erythrodermie sind begleitet von Fieber, Bewusstseinsveränderungen, Leukozytose und häufig auch einer toxischen Hepatitis. Die Prognose hängt bei schweren Verläufen in erster Linie vom Ausmaß der Epidermisablösung sowie vom Alter des Patienten und den bestehenden Grunderkrankungen ab. Bei den Überlebenden können schwerwiegende Folgeschäden vor allem im Bereich der Schleimhäute auftreten. Arzneimittelinduzierte, phototoxische bullöse Reaktionen können dagegen bereits beim ersten Kontakt auftreten und korrelieren in ihrer Ausprägung mit der Dosis des eingenommenen Medikamentes. Hintner fügt hinzu, dass es im Rahmen eines Arzneimittelexanthems auch zu urtikariellen Läsionen kommen kann, die speziell abgeklärt werden müssen. Zur Diagnostik stehen vor allem Hauttests wie Prick- und Epikutantest, sowie die In-vitro-Diagnostik (arzneispezifische IgE- und zelluläre Tests mit Patientenlymphozyten) zur Verfügung. 

Nikolski-Phänomen

Die Nikolski-Phänomene I und II sind nach ihrem Erstbeschreiber benannte klinische Zeichen, die als diagnostischer Nachweis für die Blasenbildung dienen. Die zwei unterschiedlichen Phänomene liefern wichtige differentialdiagnostische Hinweise, da sie nicht bei jeder bullösen Hauterkrankung auslösbar sind.

Beim direkten Nikolskizeichen (Nikolski I) lässt sich durch tangentialen Schiebedruck die Epidermis auf der scheinbar gesunden Haut fetzig abschieben, was nur bei Schädigungen durch Kohärenzverlust möglich ist. Ein positives Nikolski I-Phänomen findet sich im Rahmen der Pemphigusgruppe, bei der TEN und dem Stevens-Johnson-Syndrom, Staphylococcal scaled skin syndrome, Epidermolysis bullosa acquisita und hereditaria, bei Verbrühungen und Verätzungen sowie allen schnell nekrotisierenden Prozessen der Epidermis. Beim bullösen Pemphigoid kann das direkte Nikolskizeichen manchmal ebenfalls positiv sein.

Das indirekte Nikolskizeichen (Nikolski II) beschreibt die seitliche Verschieblichkeit bereits bestehender Blasen, die sich bei Kohärenzschäden durch Druck in der Umgebung verlaufen.

Die Nikolskizeichen sollten nur wohlüberlegt zur Beurteilung der Krankheitsaktivität ausgelöst werden, da sie für die Patienten schmerzhaft sind und die entstandenen Erosionen schlecht heilen. „Ist das direkte Nikolski-Zeichen auch nur im Bereich einer winzigen Hautstelle positiv, besteht sofortiger Handlungsbedarf“, betont Hintner.

 

 

DD von blasenbildenden Hauterkrankungen

Hereditäre Erkrankungen

  • Epidermyolysisgruppe
  • bullöse Ichtyosen
  • Syndrom der sich schälenden Haut „peeling skin“
  • kongentiale Porphyrien
  • Acrodermatitis enteropathica
  • Incontinentia pigmenti
  • ektodermale Dysplasie mit Plakophilin-Defizienz
  • Aplasia cutis congenita

Autoimmunerkrankungen

  • Dermatitis herpetiformis Duhring
  • lineare IgA-Dermatose
  • Epidermolysis bullosa acquisita
  • Pemphigoide
  • Pemphiguskrankheiten


Infektionskrankheiten

  • Herpesinfektionen (HSV, VZV etc.)
  • bullöse Impetigo contagiosa
  • Staphylogene toxisch epidermale Nekrolyse
  • vesikulopustulöse Camdidose
  • Erysipel
  • Hand-foot-mouth-disease


Arzneimittelexantheme

  • fixes bullöses Arzneiexanthem
  • toxisch epidermale Nekrolyse (Lyell-Syndrom)
  • Stevens-Johnson-Syndrom
  • akute generalisierte exanthematische Pustulose
  • barbituratinduzierte bullöse Exantheme
  • arzneimittelinduzierte bullöse Autoimmundermatosen
  • phototoxische Exantheme
  • Erythema exsudativum multiforme


Sonstige

  • bullöse Mastozytose
  • Wiesengräserdermatitis und andere Kontaktekzeme
  • Dyshidrotisches Ekzem
  • bullöse Insektenstichreaktion (Pulicosis bullosa etc.)
  • Verbrennungen
  • polymorphe Lichtdermatose

Quelle: Volz, A. und Bruckner-Tuderman, L. (2005).
Bullöse Hauterkrankungen: Hereditäre und autoimmune Dermatosen mit Blasenbildung. Pädiatrie hautnah

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2010