Bissverletzungen: Biss ist nicht gleich Biss

10.11.2010 | Medizin

Die beliebtesten Haustiere der Österreicher sind auch jene, die am häufigsten Bissverletzungen verursachen: Hunde und Katzen. Auch wenn die prophylaktische Verabreichung von Antibiotika umstritten ist, sollte sie bei einem hohen Risiko für eine Wundinfektion jedenfalls erfolgen.
Von Irene Mlekusch

In Europa und den USA sorgen Bissverletzungen jährlich für etwa ein Prozent aller Besuche an chirurgischen Notaufnahmen. Univ. Prof. Robert Zimmermann von der Universitätsklinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie der Medizinischen Universität Innsbruck schlüsselt die Daten detaillierter auf: „In den letzten zehn Jahren wurden etwa 2.000 Patienten wegen einer Bissverletzung an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie der Medizinischen Universität in Innsbruck behandelt, dies entspricht 200 Patienten im Jahr oder 16 Patienten im Monat.“ Auch an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Wien wurden im Jahr 2009 exakt 536 Patienten wegen Bissverletzungen behandelt. Genauere Recherchen ergaben allerdings, dass 71 dieser Patienten die Bissverletzung zum Beispiel bei einem Sturz oder epileptischen Anfall selbst verschuldet hatten.

In mehr als der Hälfte der Fälle sind es Hunde, die zubeißen. Überwiegend kennen sich Hund und Opfer vorab, 50 Prozent der Hundebissverletzungen betreffen sogar ein Familienmitglied. Univ. Prof. Gerald Wozasek von der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Wien berichtet von einer Skalpierungsverletzung eines Mannes, der versuchte, seine kämpfenden Hunde zu trennen. DieBisskraft eines Hundes kann je nach Rasse gewaltig sein, was oft zu longitudinalen Lazerationen mit lokalen Quetschverletzungen führt. „Die meisten Wunden reichten maximal bis in das Unterhautfettgewebe. Bei einem Viertel der Patienten war die Bisswunde allerdings ausgedehnter mit Beteiligung von Muskeln, Sehnen, Nerven oder Blutgefäßen“, ergänzt Zimmermann. Auch Knochenbrüche sind möglich. Dieser Umstand ist besonders dramatisch, wenn man bedenkt, dass etwas drei Viertel aller von Hunden gebissenen Personen Kinder sind. Im Bereich dieser Verletztengruppe liegt auch die Letalität wesentlich höher, da Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen die Bissverletzungen häufig im Kopf- und Halsbereich aufweisen. Bei Erwachsenen finden sich die Bissverletzungen eher im Hand- und Handgelenkbereich. „In Innsbruck waren Gesicht und Hände mit über 70 Prozent die am häufigsten betroffenen Körperregionen, wobei etwa zehn Prozent der Patienten durchschnittlich vier Tage stationär behandelt werden mussten“, erklärt Zimmermann.

Aber nicht nur Hundebisse können zu schwerwiegenden Verletzungen führen. Zimmermann registrierte an der Innsbrucker Klinik bei 20 Prozent aller Bissverletzungen Katzen als Verursacher. „Problematisch am Katzenbiss ist, dass die punktförmigen Einstiche oft ignoriert werden“, erklärt Wozasek. Die spitzen, langen Katzenzähne können leicht Gelenkkapseln und Knochen durchdringen und durch die Inokulation von keimbesiedeltem Speichel in 30 bis 50 Prozent zu Infektionen führen. Auch bei Menschenbissen ist die Infektionsgefahr vergleichbar hoch. Vor allem aus rechtlichen Gründen muss man zwischen echten Bissverletzungen und indirekten Verletzungen durch Faustschläge gegen Zähne, so genannte Fight-bite clenched fist-Verletzungen unterscheiden. Knöcherne Begleitverletzungen und Mitverletzungen der Metakarpophalangealgelenkkapseln und Grundphalangen sind keine Seltenheit und bedingen ein erhöhtes Risiko für konsekutive Osteomyelitiden. „Bei Menschenbissverletzungen ist neben dem hohen Risiko einer bakteriellen Infektion die Übertragung von viralen Erregern zu erwähnen, dabei ist die Gefahr der Transmission von HIV nach humanen Bissverletzungen gering. Zur Übertragung von HBV und HCV durch Bissverletzungen liegen ebenfalls nur wenig Literaturstellen vor“, so Zimmermann. In jedem Fall ist der Impfstatus des Verletzten zu überprüfen und falls nötig eine Immunisierung durchzuführen. Ist der Überträger verfügbar, sollte unbedingt eine entsprechende Untersuchung angestrebt werden. Bisswunden von Nagetieren, Pferden und Affen werden vergleichsweise selten behandelt, können aber ebenfalls zu Komplikationen führen. Bei Verletzungen durch Wiederkäuer kommt es aufgrund der häufig enormen Krafteinwirkungen zu ausgeprägten Quetschverletzungen. Wozasek warnt davor, Rattenbisse zu bagatellisieren, da diese vorwiegend im Handbereich lokalisiert sind und dort zu Phlegmonen führen können. Interessante Daten gibt es zur Geschlechterverteilung der Bissverletzten: Hundebisse sind bei beiden Geschlechtern in etwa gleich häufig, Katzen mit 70 Prozent wesentlich häufiger bei Frauen und Menschenbisse hingegen bei Männern mit 72 Prozent der Patienten häufiger.

Als Risikofaktoren für das Auftreten einer Infektion zählen nicht nur die Bissmorphologie, sondern auch Patienten, die jünger als zwölf Jahre sind und jene die an Diabetes mellitus, Alkoholismus oder Leberzirrhose leiden. Vorsicht ist ebenso geboten bei Personen mit arterieller Durchblutungsstörung oder status post Splenektomie oder Herzklappenoperation. Ein ausreichender Tetanus-Impfschutz ist obligat und sollte bei Unkenntnis des Betroffenen über den jeweiligen Impfstatus aufgefrischt werden. Der Tollwutimpfstatus des beißenden Tieres ist abzuklären und je nach Hund und Region abzuwägen. Ist der Impfstatus unbekannt, sollte das Tier von einem Tierarzt auf Tollwutsymptome untersucht werden, dieses Wutunbedenklichkeits-Zeugnis ist nach zehn Tagen zu wiederholen. Inokulierte Fremdkörper wie Zahnreste, die vor allem bei älteren Tieren immer wieder zu finden sind, müssen mittels radiologischer Diagnostik aufgedeckt beziehungsweise ausgeschlossen werden. Eine fotographische Dokumentation kann für spätere juristische Auseinandersetzungen zweckdienlich sein.

Zimmermann empfiehlt bei allen ausgedehnten Bissverletzungen eine chirurgische Wundversorgung mit Wundexploration, Debridement, ausgiebiger Spülung und Versorgung verletzter tiefer liegender Strukturen wie Sehnen, Muskeln oder Nerven, auch für einen ausreichenden Sekretabfluss muss gesorgt werden. „Ob die Einlage einer Lasche beziehungsweise Drainage ausreicht oder ob eine offene Wundbehandlung notwendig ist, ist von Fall zu Fall vom behandelnden Arzt zu entscheiden“, so Zimmermann. „Bei Menschen- und Katzenbissverletzungen sollte die offene Wundbehandlung mit Ausnahme des Gesichtsbereichs angestrebt werden, um eine Sekretretention zu verhindern.“ Ausgedehntere Wunden sollten bei blanden Wundverhältnissen sekundär verschlossen werden: entweder durch eine direkte Hautnaht oder ansonsten müssen Lappenplastiken durchgeführt werden. Die Ruhigstellung der verletzten Region gilt allgemein als wesentlicher Bestandteil der Therapie.

Untersuchung mit Blutsperre

Wozasek weiß, dass vor allem im Handbereich die Untersuchung der Verletzung mit Blutsperre hilfreich sein kann, um das gesamte Ausmaß der Verletzung zu erfassen. „Der größte Fehler bei der Erstversorgung einer Bissverletzung ist das Setzen einer Primärnaht“, so seine Warnung. Highrisk-Verletzungen müssen seiner Ansicht nach an einer fachkompetenten Abteilung versorgt werden. Rekonstruktionen von tief liegenden Strukturen wie beispielsweise Sehnen werden an der Universitätsklinik in Wien erst im Rahmen eines zweiten Eingriffs durchgeführt.

Wurde das Korium im Rahmen der Bissverletzung nicht durchtrennt, ist eine konservative Behandlung möglich. Engmaschige Kontrollen (spätestens nach 48 Stunden) sind auf jeden Fall ratsam und der Patient sollte ausführlich über das Infektionsrisiko aufgeklärt werden. „Die Verletzten werden aufgefordert, die Wunde selbst zu kontrollieren“, erzählt Wozasek. Beide Experten sind sich darin einig, dass bei beginnender oder bereits eingetretener Wundinfektion die Antibiotikagabe als Therapiemaßnahme unumstritten ist. „Eine prophylaktische Antibiotikatherapie wird in der Literatur nicht einheitlich beurteilt“, sagt Zimmermann und ergänzt, dass die Antibiotikagabe bei einem hohen Risiko für eine Wundinfektion häufig empfohlen wird – auch wenn der Nutzen der prophylaktischen Verabreichung umstritten ist. Vor der Antibiotikagabe sollte ein Abstrich beziehungsweise eine Gewebeprobe zur bakteriologischen Untersuchung gewonnen werden. Sowohl bei Hunde-, Katzen- und Menschenbissen gelten Amoxicillin und Clavulansäure als Mittel erster Wahl. Die Dauer der Antibiotikagabe richtet sich nach der Schwere der Infektion sowie den infizierten Strukturen: bei Gewebeentzündung zwei Wochen, bei Tenosynovitis drei Wochen sowie bei Knochen- beziehungsweise Gelenkbeteiligung vier bis sechs Wochen.

Bissverletzungen mit hohem Infektionsrisiko

  • Tiefe Punktion (speziell Katzenbisse)
  • Moderate bis schwere Wunden mit Riss-Quetsch-Charakter
  • Wunden im venösen oder lymphatischen Abflussgebiet
  • Extremitätenwunden in Knochen- und Gelenknähe
  • Wunden mit chirurgischem Sanierungsbedarf
  • Wunden bei immunkompromittierten Patienten

(nach Uptodate 2010)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2010