Bio­lo­gi­cals: High-tech mit Nebenwirkungen

10.02.2010 | Medizin

Einer der ers­ten mono­klon­a­len Anti­kör­per wurde 1986 für die The­ra­pie von aku­ten Trans­plan­tat-Absto­ßun­gen zuge­las­sen. Bei der Ein­füh­rung der ers­ten mit Hilfe von rekom­bi­nan­ter Tech­no­lo­gie erzeug­ten Sub­stan­zen wurde der Begriff „Bio­lo­gi­cals“ geprägt. Mitt­ler­weile gibt es rund 100 davon. Von Sabine Fisch 

Bio­lo­gika sind aller­dings seit jeher Bestand­teil unse­res the­ra­peu­ti­schen Arse­nals, etwa als Impf­stoffe, Gerin­nungs­fak­to­ren, Pep­tid- und Pro­te­in­hor­mone“, erläu­tert Univ. Prof. Hart­mut Gloss­mann, Vor­stand der bio­che­mi­schen Phar­ma­ko­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Begon­nen hat die Ent­wick­lung von moder­nen Bio­lo­gi­cals mit Arbei­ten von Geor­ges Köh­ler, César Mil­stein und Niels Jerne. Die Wis­sen­schaf­ler ent­wi­ckel­ten eine Methode, mit Hilfe derer große Men­gen mono­klon­a­ler Anti­kör­per pro­du­ziert wer­den konn­ten. Für ihre Arbei­ten erhiel­ten sie 1984 den Nobel­preis für Medi­zin. Heute sind Bio­lo­gi­cals nicht mehr aus der Medi­zin weg­zu­den­ken. „Mehr als 100 unter­schied­li­che Bio­lo­gika sind inzwi­schen auf dem Markt“, so Gloss­mann. Dabei reicht das Behand­lungs­spek­trum von chro­ni­schen Erkran­kun­gen wie Rheuma und Pso­ria­sis über inflamm­a­to­ri­sche Darm­er­kran­kun­gen bis hin zum onko­lo­gi­schen Bereich. 

Bio­lo­gi­cals unter­schei­den sich von ande­ren Medi­ka­men­ten durch ihre Mole­kül­größe. „Che­misch her­ge­stellte Arz­nei­mit­tel sind in der Regel kleine Mole­küle, die man ent­we­der che­misch syn­the­ti­sie­ren oder aus Mikro­or­ga­nis­men gewin­nen kann“, erläu­tert Univ. Prof. Michael Freiss­muth, Vor­stand des Insti­tuts für Phar­ma­ko­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. „Bio­lo­gi­cals dage­gen sind große Mole­küle mit einem Mole­ku­lar­ge­wicht, das bis zu 50.000 rei­chen kann.“ Bio­lo­gi­cals sind Pro­te­ine, die aus Zell-Linien gewon­nen wer­den. Jedes Bio­lo­gi­cal ist ein­zig­ar­tig, da es aus einer defi­nier­ten Zell-Linie gewon­nen wird, die sich – wenn auch nur gering­fü­gig – von jeder ande­ren Zell-Linie unter­schei­det. Das macht auch einen exak­ten „Nach­bau“ von Bio­lo­gi­cals prak­tisch unmög­lich. Man setzt diese Sub­stan­zen ent­we­der dazu ein, um das mensch­li­che Abwehr­sys­tem zu hem­men oder zu för­dern. Da sie aus Pro­te­inen bestehen, kön­nen sie aus­schließ­lich inji­ziert wer­den. Bei ora­ler Ver­ab­rei­chung wür­den sie durch die Magen­säure zer­stört werden. 

Einer der ers­ten mono­klon­a­len Anti­kör­per wurde 1986 für die The­ra­pie von aku­ten Trans­plan­tat-Absto­ßun­gen zuge­las­sen. Der erste mono­klon­ale Anti­kör­per war ein rei­ner Maus-Anti­kör­per, was wegen des hohen Anteils an Fremd­ei­weiß zu Pro­ble­men beim Ein­satz am Men­schen füh­ren kann. Des­we­gen wur­den in der Folge chi­mä­ri­sche Anti­kör­per erzeugt, bei denen die Maus-Anti­gene durch humane Anti­kör­per­an­teile ersetzt wur­den. Schließ­lich konn­ten rekom­bi­nant erzeugte huma­ni­sierte Anti­kör­per pro­du­ziert wer­den, und seit eini­gen Jah­ren kom­men ver­ein­zelt voll­stän­dig humane Anti­kör­per auf den Markt. Die von der WHO erar­bei­tete Nomen­kla­tur der Bio­lo­gi­cals gibt nicht nur Aus­kunft dar­über, wel­cher mono­klon­ale Anti­kör­per vor­liegt (Maus, chi­mä­risch, huma­ni­siert), son­dern auch in wel­cher Indi­ka­tion das jewei­lige Pro­dukt ein­ge­setzt wird (siehe Kasten). 

Pro­du­ziert wer­den die meis­ten Bio­lo­gi­cals auf Ova­rial-Zel­len von chi­ne­si­schen Hams­tern. Der Grund: „Mit die­ser Zell-Linie wurde aus tech­ni­schen Grün­den begon­nen, und weil sie funk­tio­niert und für Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren zuge­las­sen wurde, ver­wen­den die meis­ten Fir­men diese Zell­li­nien“, erklärt Michael Freiss­muth. Bio­lo­gi­cals bestehen aus Ami­no­säu­ren (diese wer­den durch den gene­ti­schen Code vor­be­stimmt) und Zucker­an­tei­len in ver­schie­de­nem Aus­maß. Bei der Pro­duk­tion von Bio­lo­gi­cals wer­den zuerst Mäuse mit einem bestimm­ten Anti­gen geimpft, deren Anti­kör­per-pro­du­zie­rende B‑Zellen gewon­nen, die mit Tumor­zel­len ver­schmol­zen wer­den. Die dar­aus ent­ste­hen­den Zel­len wer­den Hybri­dome genannt. Diese wie­derum wer­den so lange ver­ein­zelt, bis eine ein­zelne Hybri­dom-Zelle ent­stan­den ist – woher sich auch der Begriff „mono­klon­a­ler Anti­kör­per“ ablei­tet. Die dafür kodie­rende DNA lässt sich leicht gewin­nen und gen­tech­nisch ver­än­dern, etwa indem man die Maus­se­quenz durch eine humane Sequenz ersetzt. 

Je nach Funk­ti­ons­weise bin­det ein Bio­lo­gi­cal an einen bestimm­ten Rezep­tor („Schlüs­sel-Schloss-Prin­zip) und sti­mu­liert oder hemmt die Bil­dung von Mole­kü­len. So sti­mu­liert etwa Ery­thro­poie­tin die Pro­duk­tion von roten Blut­kör­per­chen, wäh­rend Infli­xi­mab den Tumor-Nekro­se­fak­tor Alpha (TNF‑α) hemmt. Das birgt auch Risi­ken: „Die Markt­rück­nahme des Anti-Pso­ria­ti­kums Efa­li­zu­mab wegen unver­tret­ba­rer Risi­ken weist dar­auf hin, dass bei mono­klon­a­len Anti­kör­pern, aber auch bei ande­ren Bio­lo­gi­cals, die im wei­tes­ten Sinne in das Immun­sys­tem ein­grei­fen, schwer­wie­gende Stö­run­gen auf­tre­ten kön­nen“, warnt Gloss­mann. Und wei­ter: „Dem­entspre­chend sind die Richt­li­nien der Zulas­sungs­be­hör­den für die Erst­an­wen­dung am Men­schen sowie die Nach­be­ob­ach­tung ver­schärft worden.“ 

Die Tat­sa­che, dass unter einer The­ra­pie mit Bio­lo­gi­cals Anti­kör­per pro­du­ziert wer­den, stellt ein wei­te­res Pro­blem dar. „So kann sich etwa in Ery­thro­poie­tin ein Aggre­gat bil­den, das vom mensch­li­chen Orga­nis­mus als fremd erkannt wird. Es kann zu einer pure red cell apla­sia kom­men, und wenn ein Pati­ent diese Reak­tion zeigt, spricht er weder auf das kör­per­ei­gene noch auf alle wei­te­ren Ery­thro­poie­tine mehr an“, erklärt Freissmuth. 

Da Bio­lo­gi­cals aus­schließ­lich kli­nisch geprüft wer­den kön­nen, raten die Exper­ten zur Vor­sicht. Denn es kann bei Anwen­dung jedes Bio­lo­gi­cals zu All­er­gien, Sen­si­bi­li­täts­ent­wick­lun­gen, Immun­sup­pres­sion oder Auto­im­mun­erkran­kun­gen kom­men. Bio­lo­gi­cals wer­den grund­sätz­lich erst­mals im Kran­ken­haus ver­ord­net. Danach kön­nen sie vom behan­deln­den All­ge­mein­me­di­zi­ner wei­ter ver­schrie­ben wer­den. Jene Bio­lo­gi­cals, die welt­weit am häu­figs­ten ver­ord­net wer­den, sind Eta­ner­cept und Infli­xi­mab zur The­ra­pie von Erkran­kun­gen aus dem rheu­ma­ti­schen For­men­kreis. Der Anti-TNF-Rezep­tor Eta­ner­cept wird außer­dem in der Behand­lung der Pso­ria­sis ein­ge­setzt. Ritu­xi­mab, Beva­ci­zu­mab und Tras­tu­zu­mab fin­den in der onko­lo­gi­schen Behand­lung Anwen­dung, und Ada­li­nu­mab, der erste voll­stän­dig mensch­li­che Anti­kör­per, wird in der Behand­lung der rheu­ma­to­iden Arthri­tis und von chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen ein­ge­setzt.

Keine Gene­rika

Ein bereits seit eini­ger Zeit inten­siv dis­ku­tier­tes Thema stellt die Her­stel­lung von soge­nann­ten „Bio­si­mi­lars“ dar. „Beim Nach­bau von Bio­lo­gi­cals han­delt es sich nicht um Gene­rika, da jedes Pro­dukt aus einer ande­ren Zell-Linie pro­du­ziert wird“, so Freiss­muth. Des­we­gen spricht man in die­sem Zusam­men­hang von „Bio­si­mi­lars“ (ver­gleich­bar, nicht gleich). In Europa wur­den bereits die ers­ten Bio­si­mi­lars zuge­las­sen, wei­tere wer­den – schon aus Kos­ten­grün­den – sicher­lich bald fol­gen. „Der Zulas­sungs­pro­zess für Bio­si­mi­lars ist kom­pli­zier­ter als für klas­si­sche Arz­nei­mit­tel. Der­zeit sind diese Zulas­sungs­ver­fah­ren in den USA noch Gegen­stand von Dis­kus­sio­nen zwi­schen den Behör­den und den Her­stel­lern. In Europa ist dies bereits gere­gelt“, sagt Gloss­mann abschließend. 

Nomen­kla­tur der mono­klon­a­len Antikörper

  • Maus-Anti­kör­per enden auf ‑omab (zum Bei­spiel Tosi­tu­mo­mab für die The­ra­pie des Non-Hodgkin-Lymphoms)
  • Chi­mä­ri­sche Anti­kör­per enden auf ‑ximab (zum Bei­spiel Ritu­xi­mab für die Behand­lung des Non-Hodgkin-Lymphoms)
  • Huma­ni­sierte Anti­kör­per enden auf ‑zumab (zum Bei­spiel Beva­ci­zu­mab für die The­ra­pie des metasta­sie­ren­den Kolon-Karzinoms)
  • Humane Anti­kör­per enden auf ‑umab (zum Bei­spiel Ada­li­nu­mab für die The­ra­pie von chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darmerkrankungen)

Die Endung ‑mab lei­tet sich von „mono­klon­a­ler Anti­kör­per“ ab. Der mitt­lere Teil des Sub­stanz­na­mens weist auf das Ein­satz­ge­biet hin: So steht das „tu“ in Ritu­xi­mab für einen Ein­satz in der Tumor­t­he­ra­pie, wäh­rend das „im“ in Ada­li­mu­mab auf seine Wir­kung auf das Immun­sys­tem hinweist.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2010