Aortenklappenstenose: Sorgfältige Abklärung kann Leben retten

25.10.2010 | Medizin



Die Diagnose und Quantifizierung einer Aortenklappenstenose ist eine große Herausforderung. Eine gewisse klinische Erfahrung ist ebenso notwendig wie eine entsprechende sonographische Expertise.

Von Irene Mlekusch

Unter den angeborenen und erworbenen Herzklappenfehlern hat sich in den letzten Jahren vor allem für die Aortenklappenstenose die Diagnostik und Therapie entscheidend verbessert. Neue bildgebende Verfahren ermöglichen eine präzise Differenzierung der Stenose, sodass der Patient unter Berücksichtigung der weiteren Risikofaktoren einer adäquaten Therapie zugeführt werden kann. Denn die Aortenklappenstenose ist eine gefährliche und mittlerweile die dritthäufigste kardiovaskuläre Erkrankung.

Die Prävalenz einer signifikanten Aortenklappenstenose steigt ab einem Alter von 75 Jahren um ein bis zwei Prozent, während bei den 85-Jährigen zu etwa sechs Prozent eine Aortenklappenstenose zu finden ist. „Die Aortenklappenstenose ist der einzige Herzfehler, der im Zunehmen ist, weil die Patienten jetzt alt genug werden um die Erkrankung zu erleben“, bemerkt Univ. Prof. Otmar Pachinger, Leiter der Klinischen Abteilung für Kardiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck. Mit dem Auftreten von Symptomen steigt die Mortalität. Die mittlere Lebenserwartung beträgt beim Auftreten von Angina pectoris etwa fünf Jahre, bei Synkopen drei Jahre und bei der Dyspnoe lediglich zwei Jahre. Die asymptomatische Aortenklappenstenose ist häufig ein Zufallsbefund, klinisch aufgedeckt durch ein rechts im zweiten Intercostalraum hörbares Systolikum, das sich bis in die Carotis fortleiten kann. Pachinger fordert dazu auf, dass Auskultieren als billigste Screeningmethode wahrzunehmen und auch die Anamnese vor allem bei älteren Patienten sehr sorgfältig zu erheben. „Eine Aortenstenose darf nicht übersehen werden“, sagt Pachinger. Die Letalität der asymptomatischen Aortenklappenstenose beträgt zirka ein Prozent pro Jahr. Pachinger hinterfragt die Gewohnheiten der Patienten, um festzustellen, ob es sich wirklich um eine asymptomatische Aortenklappenstenose handelt. „Oft ist es der Blutdruck, der bei betroffenen Patienten bei Belastung abfällt“, merkt Pachinger an.

Oft maskiert

Die Aortenklappenstenose bleibt, weil anfänglich asymptomatisch, oft lange Zeit unbemerkt. Selbst bei typischer Klinik wird die Aortenklappenstenose immer wieder durch andere Erkrankungen maskiert. Univ. Prof. Thomas Binder von der Universitätsklinik für Innere Medizin II, Abteilung für Kardiologie schildert diesbezüglich ein anschauliches Beispiel: „Der 88-jährige Patient Karl H. liebt es, mit seinem Hund spazieren zu gehen. Er ist etwas übergewichtig, leidet an Hypertonie, Niereninsuffizienz unklarer Genese und COPD, ist aber sonst in guter körperlicher Verfassung. Die Belastungsdyspnoe von Karl H. wurde immer auf die COPD und sein fortgeschrittenes Alter zurückgeführt. Im Rahmen einer kardiologischen Untersuchung stellte der behandelnde Arzt eine mittelgradige Aortenklappenstenose bei guter Linksventrikelfunktion fest. Da es sich nicht um eine höhergradige Stenose handelt, wurde die antiobstruktive Therapie optimiert; dennoch nahmen die Symptome zu. Als Karl H. eines Tages beim Spaziergang mit seinem Hund synkopiert und stürzt, werden seine Diagnosen neuerlich hinterfragt.“ Binder stellt sich die Frage, ob die Aortenstenose nicht doch relevant ist und ob die Atemnot nicht sehr wohl eine kardiale Ursache hat. „Vorrangig würde ich neben der klinischen Untersuchung eine neuerliche Echokardiographie durchführen, auch eine Laboruntersuchung inklusive NT-Pro BNP wäre zu empfehlen.“ Die Blutspiegel zeigen eine Beziehung zum Schweregrad der Aortenstenose. „Karl H. wird in eine Spezialambulanz für Vitien überwiesen. In der Echokardiographie zeigt sich ein maximaler Gradient von 54mmHg und ein mittlerer von 34mmHg. Der Schweregrad wäre also tatsächlich lediglich als mittelgradig einzustufen. Die Ejektionsfraktion als Ausdruck der Linksventrikelfunktion ist mit 60 Prozent normal. Auffallend ist allerdings ein kleines, konzentrisch hypertrophiertes Herz mit niedrigem Schlagvolumen“, so Binder.

Schweregrad unterschätzt

„Das kleine hypertrophierte Herz ist sicherlich eine Folge der langjährigen Hypertonie, sowie der Aortenstenose“, meint Binder und ergänzt, dass sich in diesem Zusammenhang allerdings noch eine weitere Bedeutung ergibt. Da das Schlagvolumen durch das kleine Herz reduziert ist, sind auch die Gradienten über der Aortenklappe geringer. Man unterschätzt also den Schweregrad der Aortenstenose. Erst seit einigen Jahren ist man sich dieser diagnostischen Problematik bewusst. Man bezeichnet diese Form der „doch“ schweren Aortenstenose auch als „paradoxical low flow, low gradient“ Aortenstenose. Paradoxical deshalb, weil eigentlich die Linksventrikelfunktion, zumindest rechnerisch, normal ist.

Man grenzt diese Form ab von der klassischen low flow low gradient Aortenstenose bei der die Ursache der niederen Gradienten in der schlechten Linksventrikelfunktion zu finden ist. Die pharmakologische Stress-Echokardiographie mit Dobutamin kann dabei helfen, Patienten mit einer low flow low gradient Aortenstenose aufzudecken. Zeigt sich nämlich unter Dobutamin ein Anstieg des mittleren Druckgradienten von mehr als 30mmHg, so spricht das für eine echte Aortenstenose, mit einer entsprechenden Behandlungsindikation.

Stenoseausmaß: Beurteilung schwierig

„Karl H. hat also doch eine bedeutsame Aortenstenose, welche auch die Atemnot und die Dyspnoe erklärt“, stellt Binder fest und zeigt mit diesem Fallbeispiel, dass die Frage, ob eine Aortenklappenstenose hochgradig ist oder nicht, oft schwierig zu beantworten ist. „Die echokardiographische Methodik ist zum Teil schwierig und bedarf guter Ultraschallkenntnisse“, sagt Binder, der auch Initiator einer Lehrplattform ist. Man darf sich nicht ausschließlich auf die Gradienten fixieren. Übrigens zeigte sich bei Karl H. bei der speckle tracking Analyse, einer speziellen Echotechnik zur genaueren Funktionsanlayse der Herzfunktion, dass der Strain, welcher eine Aussage über die Kontraktilität zulässt, sehr wohl auch schon eingeschränkt war. Dies erklärte auch das erhöhte NT-Pro BNP von 959, das wir bei der Laboruntersuchung gefunden haben. Binder dazu: „Herr Karl H. ist da kein Einzelfall. Wir wissen nunmehr, dass viele Patienten zwar an Hand der Auswurffraktion eine normale Linksventrikelfunktion haben, aber dass in Wahrheit schon eine subklinische linksventrikuläre Dysfunktion vorliegt.“

Für symptomatische Patienten stellt die Operation weiterhin die Therapie der Wahl dar, sofern keine Kontraindikationen vorliegen. „Ob auch asymptomatische Patienten mit hochgradiger Aortenstenose operiert werden sollen ist ein aktuelles Thema“, weiß Binder. Derzeit müssen diese Patienten ein zusätzliches weiteres Kriterium erfüllen wie zum Beispiel eine Einschränkung der Linksventrikelfunktion, eine höhergradige Verkalkung der Aortenklappe oder einen über die Zeit rasch zunehmenden maximalen Druck-Gradienten. Pachinger betont, dass es für die chirurgische Therapie der Aortenklappenstenose aufgrund der verschiedenen zur Verfügung stehenden Verfahren praktisch kein Alterslimit mehr gibt. Für Patienten mit hohem Operationsrisiko (EUROSCORE von größer 20) kann ein transfemoraler Aortenklappenersatz in Erwägung gezogen werden. „Spezialisierte Zentren mit Expertise in der Diagnostik, Patientenauswahl und Nachbetreuung sollten im interdisziplinären Team für jeden Patienten individuell die optimale Therapie entscheiden“, wünscht sich Pachinger und betont, dass der perkutane Aortenklappenersatz nur in Häusern mit entsprechend versierter Herzchirurgie durchgeführt werden sollte.

Binder kommt in diesem Zusammenhang auf das Fallbeispiel zurück: „Karl H. wurde als älterem, polymorbiden Patienten der perkutane Aortenklappenersatz an einer dafür bestens ausgerüsteten Klinik empfohlen.“ Ob ein derartiger Eingriff wirklich durchgeführt werden kann, muss zunächst mittels Herzkatheter evaluiert werden. Kritische Stenosen im Bereich der Koronarien sollten so ausgeschlossen und die peripheren Gefäße im Leisten- und Beckenarterienbereich im Hinblick auf eine relevante pAVK und deren verbleibenden Restdurchmesser beurteilt werden. „Der Eingriff verlief bei Karl H. ohne Komplikationen“, so Binder.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2010