Anti­psy­cho­tika: Ver­ant­wor­tungs­vol­ler Umgang gefragt

25.03.2010 | Medizin

Jeder dritte Pati­ent mit einer Schi­zo­phre­nie spricht auf das erste ver­ord­nete Anti­psy­cho­ti­kum nicht an. Hier ist spä­tes­tens nach vier Wochen ein Prä­pa­ra­te­wech­sel ange­zeigt. Ins­ge­samt for­dern Exper­ten einen ver­ant­wor­tungs­vol­len Umgang mit die­sen Sub­stan­zen.
Von Irene Mle­kusch

Anti­psy­cho­tika – auch als Neu­ro­lep­tika bekannt – wir­ken rein sym­pto­ma­tisch. Dabei über­wiegt die anti­psy­cho­ti­sche Wir­kung, ver­ur­sacht durch eine Blo­ckade der meso-lim­bi­schen Dopa­min­re­zep­to­ren. Die meis­ten Anti­psy­cho­tika ver­fü­gen auch über eine sedie­rende Wir­kung. Frü­her wurde auch zwi­schen hoch­po­ten­ten und nie­der­po­ten­ten Anti­psy­cho­tika unter­schie­den. Die anti­psy­cho­ti­sche Potenz kor­re­liert dabei mit der Bin­dungs­stärke am Dopa­min-D2- Rezep­tor. Univ. Prof. Wolf­gang Fleisch­ha­cker, Direk­tor der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Bio­lo­gi­sche Psych­ia­trie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät in Inns­bruck erklärt: „Sowohl die Bezeich­nung Neu­ro­lep­tika als auch die Unter­tei­lung in typi­sche und aty­pi­sche Neu­ro­lep­tika ist über­holt. Man spricht heute von Anti­psy­cho­tika der ers­ten Gene­ra­tion und der neuen Gene­ra­tion.“ Vor allem die letz­tere Gruppe ist phar­ma­ko­lo­gisch sehr inho­mo­gen. Die neuen Anti­psy­cho­tika wei­sen dem Dopa­min- D2-Rezep­tor gegen­über eine nied­ri­gere Affi­ni­tät auf als gegen­über Sero­to­nin-( 5‑HT2)-Rezeptoren. Die­ser Effekt erklärt vor allem das gerin­gere Risiko von Anti­psy­cho­tika der neuen Gene­ra­tion für moto­ri­sche Neben­wir­kun­gen. Mög­li­cher­weise haben die neue­ren Sub­stan­zen auch Wir­kungs­vor­teile, spe­zi­ell in Bezug auf die Wir­kung gegen Negativsymptome. 

„Die Indi­ka­tio­nen für die Ver­ord­nung von Anti­psy­cho­tika sind streng fest­ge­legt“, sagt Fleisch­ha­cker. Ange­zeigt ist die Ver­schrei­bung im Rah­men einer Schi­zo­phre­nie sowie einer bipo­la­ren Stö­rung bei aku­ter Manie. Que­ti­apin hat auch eine Zulas­sung bei der bipo­la­ren Depres­sion. Para­do­xer­weise ver­fü­gen die Anti­psy­cho­tika der ers­ten Gene­ra­tion auf­grund frü­her weni­ger stren­ger Zulas­sungs­be­din­gun­gen über ein brei­te­res Zulas­sungs­spek­trum. Lei­der stim­men Zulas­sung und Ver­wen­dung in der Pra­xis oft nicht über­ein, bedau­ert Fleisch­ha­cker: „Vor allem bei älte­ren Pati­en­ten kommt der off-label Ein­satz von Anti­psy­cho­tika immer wie­der vor. Viele die­ser Psy­cho­phar­maka wer­den als Schlaf­mit­tel miss­braucht, vor allem um die Sucht­ge­fahr der Ben­zo­dia­ze­pine zu umgehen.“ 

Die neuen Anti­psy­cho­tika haben deut­lich weni­ger extra­py­ra­mi­dale Neben­wir­kun­gen als ihre Vor­gän­ger. Auch bei den gefürch­te­ten, poten­ti­ell irrever­si­blen Spät­dys­ki­ne­sien ist das Risiko um das Sechs­fa­che ver­rin­gert. Die neue Gene­ra­tion all­ge­mein als wirk­sa­mer zu bezeich­nen ist pro­ble­ma­tisch; es gibt große Unter­schiede inner­halb die­ser Gruppe, haupt­säch­lich in Bezug auf Neben­wir­kun­gen. Schwer­wie­gende Aus­wir­kun­gen kön­nen zum Bei­spiel uner­wünschte meta­bo­li­sche Effekte (Gewichts­zu­nahme, Stö­run­gen des Fett- und Glu­ko­se­stoff­wech­sels) bestimm­ter Anti­psy­cho­tika haben. Clo­za­pin und Olan­za­pin sind für ihre star­ken meta­bo­li­schen Neben­wir­kun­gen bekannt, Ari­pi­pra­zol und Zipra­si­don zei­gen der­ar­tige Neben­wir­kun­gen dage­gen kaum. Zu einem Anstieg des Pro­lak­tin­spie­gels kann es unter der Ein­nahme von Ris­pe­ri­don oder auch Ami­sul­prid kom­men. Der stei­gende Pro­lak­tin­spie­gel muss sich aller­dings nicht zwin­gend in kli­ni­schen Sym­pto­men manifestieren. 

So gibt es einen kla­ren Zusam­men­hang zwi­schen dem Pro­lak­tin­an­stieg und Mens­trua­ti­ons­stö­run­gen. Aller­dings wer­den sexu­elle Neben­wir­kun­gen (Libi­do­ver­lust, Erek­ti­ons- oder Eja­ku­la­ti­ons­stö­run­gen, und andere) häu­fig auch ohne Ver­än­de­rung des Pro­lak­tin­spie­gels beob­ach­tet. „In man­chen Fäl­len ent­steht durch die Wer­bung der Phar­ma­fir­men ein ver­zerr­tes Bild der Arz­nei­mit­tel­si­cher­heit der diver­sen Medi­ka­mente“, merkt Fleisch­ha­cker kri­tisch an. Univ. Prof. Peter Hof­mann, stell­ver­tre­ten­der Kli­nik­vor­stand an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Psych­ia­trie in Graz, weist dar­auf hin, dass bei gra­vie­ren­den Neben­wir­kun­gen das ver­ab­reichte Anti­psy­cho­ti­kum auch abrupt abge­setzt wer­den kann, dann jedoch ein rascher Ein­stieg mit dem neuen Medi­ka­ment erfol­gen sollte. Sind die Neben­wir­kun­gen nicht so stark, besteht die Mög­lich­keit, die The­ra­pie über­lap­pend zu ändern. 

Zu Beginn einer anti­psy­cho­ti­schen The­ra­pie soll­ten eher neue Anti­psy­cho­tika in der nied­rigst wirk­sa­men Dosis ein­ge­setzt wer­den. Die anti­psy­cho­ti­sche Wir­kung setzt dabei inner­halb weni­ger Tage ein. „In der Regel wird eine Mono­the­ra­pie ange­strebt. Blei­ben Rest­sym­ptome bestehen, so ist ent­spre­chend die­ser Sym­ptome eine Misch­the­ra­pie mög­lich. Es gilt dabei zu berück­sich­ti­gen, dass Prä­pa­rate aus ver­schie­de­nen Sub­stanz­grup­pen gleich­zei­tig ver­ab­reicht wer­den“, so Hof­man. Bei Bedarf kann bei beson­ders ängst­li­chen, agi­tier­ten oder aggres­si­ven Pati­en­ten auch vor­über­ge­hend ein Ben­zo­dia­ze­pin hin­zu­ge­fügt wer­den. Viele Neben­wir­kun­gen mani­fes­tie­ren sich am stärks­ten zu Behand­lungs­be­ginn und unter­lie­gen dann einer Tole­ranz, sodass sich die Ver­träg­lich­keit spon­tan bes­sern kann. Vor allem in den ers­ten Tagen der Ein­nahme kann es beim Pati­en­ten zu einer gewis­sen Müdig­keit sowie einer Beein­träch­ti­gung der Ori­en­tie­rungs­fä­hig­keit und Kon­zen­tra­tion kom­men. Laut Hof­mann machen nicht alle Anti­psy­cho­tika zu Beginn müde und die Pati­en­ten gewöh­nen sich auch an die Müdig­keit. Dar­über müs­sen die Betrof­fe­nen in Kennt­nis gesetzt wer­den, sonst kommt es in Folge wäh­rend der zumeist not­wen­di­gen Lang­zeit­the­ra­pie bei Schi­zo­phre­nie oder bipo­la­ren Stö­run­gen zu Pro­ble­men mit der Com­pli­ance. „Nur der lang­fris­tige Ein­satz ver­hin­dert bei die­sen Pati­en­ten einen Rück­fall“, weiß Fleisch­ha­cker. Zur Unter­stüt­zung der Com­pli­ance bewährt sich auch die Ver­ab­rei­chung von intra­mus­ku­lä­ren Depot­in­jek­tio­nen. Etwa 30 Pro­zent aller Pati­en­ten mit einer Schi­zo­phre­nie spre­chen auf das erste Anti­psy­cho­ti­kum nicht an. In sol­chen Fäl­len ist ein Prä­pa­ra­te­wech­sel nach spä­tes­tens vier Wochen ange­zeigt. Für the­ra­pie­re­sis­tente Pati­en­ten ist Clo­za­pin The­ra­pie der Wahl. Poly­phar­ma­zie mit zum Bei­spiel zwei oder mehr Anti­psy­cho­tika oder Kom­bi­na­tio­nen von Anti­psy­cho­tika mit Anti­kon­vul­siva sind Ultima ratio. Hof­mann sieht das Aus­rei­zen der phar­ma­ko­lo­gi­schen Dosis als wei­tere Option. 

Beide Exper­ten wei­sen auf den pro­ble­ma­ti­schen Ein­satz von Anti­psy­cho­tika bei älte­ren Men­schen hin. „Die Sterb­lich­keit der Pati­en­ten in höhe­rem Alter ist unter die­sen Medi­ka­men­ten erhöht“, weiss Hof­mann. Auf­grund der oft zahl­rei­chen Medi­ka­tio­nen kann es zu Wech­sel­wir­kun­gen und wegen der Mul­ti­mor­bi­di­tät der Pati­en­ten zu schwe­ren Neben­wir­kun­gen kom­men. Eine Dau­er­the­ra­pie mit Anti­psy­cho­tika sollte daher bei älte­ren Men­schen ver­mie­den wer­den. „Gerade in der Pra­xis ten­diert man dazu, Anti­psy­cho­tika als Schlaf­mit­tel oder zur Beru­hi­gung ein­zu­set­zen“, bedau­ert Fleisch­ha­cker und merkt an, dass ein der­ar­ti­ger Ein­satz die­ser hoch­po­ten­ten Arz­neien eine Not­fall­in­di­ka­tion dar­stellt und nach sorg­fäl­ti­ger Abwä­gung von Nut­zen und Risiko nur bei aus­ge­wähl­ten Pati­en­ten kurz­zei­tig erfol­gen sollte. So ist zum Bei­spiel der Ein­satz die­ser Sub­stanz­gruppe bei Pati­en­ten mit einem M. Alz­hei­mer dann sinn­voll, wenn deut­li­che psy­cho­ti­sche Sym­ptome oder schwer­wie­gende Ver­hal­tens­stö­run­gen auf­tre­ten. Unter einer Medi­ka­tion mit Anti­psy­cho­tika steigt das Risiko für cere­bro­vas­ku­läre Ereig­nisse; deren Ein­satz darf daher nur bei stren­ger Indi­ka­tion und vor­über­ge­hend erfolgen. 

Fleisch­ha­cker dazu: „Bei der Ver­schrei­bung von Anti­psy­cho­tika ist es abso­lut not­wen­dig, über die dif­fe­ren­ti­elle Phar­ma­ko­lo­gie der Sub­stan­zen Bescheid zu wis­sen.“ Die Ana­mnese des Pati­en­ten muss bekannt sein, denn einem Pati­en­ten mit Dia­be­tes ein Anti­psy­cho­ti­kum zu ver­ab­rei­chen, das meta­bo­li­sche Neben­wir­kun­gen her­vor­ru­fen kann, hat unter Umstän­den schwer­wie­gende Fol­gen. Hof­mann ergänzt: „Auch bei Men­schen mit Bewe­gungs­stö­run­gen wie zum Bei­spiel Mor­bus Par­kin­son sollte die Ver­wen­dung von Anti­psy­cho­tika sorg­fäl­tig über­legt wer­den.“ Fleisch­ha­cker merkt an, dass bei L‑Dopapsychosen, die im Rah­men der The­ra­pie des Mor­bus Par­kin­son auf­tre­ten kön­nen, Clo­za­pin oder Que­ti­apin auf­grund ihres gerin­gen Risi­kos für extra­py­ra­mi­dale Neben­wir­kun­gen zur The­ra­pie der Wahl gehö­ren. Bei der Ver­schrei­bung an Jugend­li­che gilt eben­falls äußerste Sorg­falt; das Risiko für Neben­wir­kun­gen ist um ein Viel­fa­ches höher als beim Erwach­se­nen. Für die meis­ten der Anti­psy­cho­tika gibt es keine Zulas­sun­gen für unter 18-Jährige. 

Eine Son­der­stel­lung unter den anti­psy­cho­ti­schen Medi­ka­men­ten nimmt Clo­za­pin ein. Einer­seits wirkt es gut anti­psy­cho­tisch und ande­rer­seits kommt es kaum zu extra­py­ra­mi­da­len Neben­wir­kun­gen. „Unter Ein­nahme von Leponex® ist eine regel­mä­ßige Blut­bild­kon­trolle ange­zeigt, um eine mög­li­cher­weise auf­tre­tende Agra­nu­lo­zy­tose recht­zei­tig zu erken­nen“, for­dert Hof­mann. Die­ses Medi­ka­ment ist in der anti­psy­cho­ti­schen The­ra­pie nicht das Mit­tel der ers­ten Wahl und nur unter sehr stren­ger Indi­ka­ti­ons­stel­lung bei the­ra­pie­re­sis­ten­ten Psy­cho­sen ange­zeigt. Fleisch­ha­cker resü­miert: „Die Anti­psy­cho­tika ste­hen zu Unrecht in einem ungüns­ti­gen Licht. Es han­delt sich um hoch­wirk­same Medi­ka­mente mit einem, auch im Ver­gleich zu ande­ren Phar­maka, sehr güns­ti­gen Nut­zen-Risi­ko­pro­fil. Wich­tig ist aber ein in jeder Hin­sicht ver­ant­wor­tungs­vol­ler Umgang mit den Substanzen.“

Neu­ro­lep­tika

Extra­py­ra­mi­dal-moto­ri­sche Störungen 

Früh- und Spät­dys­ki­ne­sien, Aka­thi­sie, Par­kin­so­noid

Endo­kri­no­lo­gi­sche Neben­wir­kun­gen

Sexu­al­dys­funk­tio­nen, Mens­trua­ti­ons­stö­run­gen,
erhöh­tes Dia­be­tes­ri­siko, Gewichts­zu­nahme

Kar­dio­vas­ku­läre Neben­wir­kun­gen

Tachyar­rhyth­mien, Reiz­lei­tungs­stö­run­gen,
Ortho­sta­ti­sche Dys­re­gu­la­tion

Anti­cho­li­nerge Neben­wir­kun­gen

Mund­tro­cken­heit, Obs­ti­pa­tion,
Mik­ti­ons­stö­run­gen, Akko­mo­da­ti­ons­stö­run­gen

Häma­to­lo­gi­sche Neben­wir­kun­gen

Agra­nu­lo­zy­tose (Clo­za­pin), Leu­ko­pe­nie und –zytose,
Neu­tro­pe­nie, Throm­bo­zy­to­pe­nie, Eosi­no­phi­lie

Mali­gnes neu­ro­lep­ti­sches Syn­drom

schwe­rer Rigor, erhöhte Kör­per­tem­pe­ra­tur

Sons­tige Neben­wir­kun­gen

Sedie­rung, Erhö­hung der Tran­sami­na­sen,
AZM-Exan­theme, erhöh­ter Augen­in­nen­druck

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2010