Antihypertensive Therapie: Maßgeschneidert kombiniert

15.08.2010 | Medizin

Um kardiovaskuläre oder renale Folgeerkrankungen zu vermeiden, ist es wichtig, den Blutdruck zu senken: Wie das geschieht, ist sehr individuell und hängt vor allem von diversen Begleiterkrankungen ab. Neuerdings wird bereits zu Therapiebeginn eine Kombinationstherapie empfohlen.
Von Eveline Hecher

Laut internationalen und österreichischen Empfehlungen werden im Allgemeinen Blutdruckzielwerte unter 140 mmHg systolisch und 90 mmHg diastolisch empfohlen, wobei Vor- beziehungsweise Begleiterkrankungen auch oftmals niedrigere Werte erfordern können. Bei der Diagnose „Hypertonie“ ist vorerst zu beachten, dass je nach Situation, in der der Blutdruck gemessen wird, andere Grenzwerte zählen. „Bei Arztmessungen gelten alle Werte über 140 zu 90, bei Selbstmessungen Werte über 135 zu 85 und bei der 24-Stunden-Messung alle Werte über 130 zu 80 mmHg als hyperton“, erklärt Univ. Prof. Bruno Watschinger von der Universitätsklinik für Innere Medizin III am Wiener AKH. Um die Diagnose „Hypertonie“ zu stellen, ist aber vor allem die 24-Stunden-Messung am aussagekräftigsten und gilt auch aufgrund ihrer nicht invasiven Eigenschaft als Goldstandard. Welche Medikamente schließlich für die Einstellung des Blutdruckes herangezogen werden, ist sehr individuell und hängt von verschiedenen Begleiterkrankungen ab. Wurde früher typischerweise mit einem Präparat begonnen, und je nach Notwendigkeit ein zweites oder drittes im Sinne einer Stufentherapie hinzugefügt, wird heutzutage bereits zu Therapiebeginn eine Kombination aus mehreren Präparaten empfohlen. Dabei wird jedoch nicht gleich mit der vollen Dosierung begonnen, sondern die Dosis je nach Bedarf gesteigert. „Prinzipiell brauchen zwei Drittel aller Patienten bereits zu Therapiebeginn eine Kombination aus zwei oder mehr Medikamenten, um die Blutdruck-Zielwerte überhaupt zu erreichen“, führt Watschinger aus.

Sind zusätzliche Risikofaktoren wie Diabetes, Hyperlipidämie oder Endorganschäden vorhanden beziehungsweise ist durch die Hypertonie bereits das Gefäßsystem, der Augenhintergrund oder die Niere mitbeteiligt, ist auch eine strengere beziehungsweise raschere Blutdrucksenkung erforderlich. Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen mit einer medikamentösen Therapie zugewartet werden kann: „Wenn keine Risikofaktoren vorhanden sind, und der Blutdruck nur minimal erhöht ist, kann man sicher auch drei bis sechs Monate warten, ohne medikamentös zu therapieren“, erklärt Univ. Prof. Robert Zweiker von der Universitätsklinik für Innere Medizin der Medizinischen Universität Graz. Laut den Hypertonie-Guidelines könne man in solchen Fällen nämlich auch versuchen, den Blutdruck durch positive Lebenstil-Modifikation wie salzarme Diät oder Sport zu senken. „Die beste Methode, um den Blutdruck zu senken, ist regelmäßige körperliche Betätigung, sofern das Alter und die Mobilität des Patienten dies erlauben“, so Zweiker weiter. Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Betreibt man drei- bis viermal die Woche 30 bis 45 Minuten Sport, ist es möglich, den Blutdruck systolisch um zwölf mmHg beziehungsweise diastolisch um sechs mmHg zu senken. Dies funktioniert bei untrainierten Personen sogar besser als bei Personen mit sehr viel Bewegung, da letztgenannte auf zusätzliche Trainingseinheiten nicht noch mehr ansprechen. Zwar spricht eine kurze Hypertonie-Anamnese besser auf die Therapie an als ein manifester Hochdruck, doch auch eine seit Jahren bestehende Hypertonie kann durch Änderung des Lebensstils beeinflusst werden. „Es ist sogar möglich, dass man dadurch im Vergleich zur schlechteren Lebensweise sogar ein Medikament in der Therapie weglassen kann“, zeigt Zweiker auf. Welche Präparate für wen geeignet sind, hängt schließlich von Begleiterkrankungen, dem allgemeinen Gesundheitszustand, aber auch vom Alter ab.

Vereinfacht kann man sagen, dass jüngere Patienten eher auf Hemmer des Renin-Angiotensin-Aldosteron Systems ansprechen, während dies bei älteren Personen nicht der Fall ist. Somit ist bei einem 35-jährigen Mann, bei dem erstmals eine Hypertonie diagnostiziert wird, der keine Komplikationen und Begleiterkrankungen aufweist, ein ACE-Hemmer das Mittel der ersten Wahl, was auch durch Studien-Daten gut dokumentiert ist. Da in 15 bis 20 Prozent der Fälle Nebenwirkungen des ACE-Hemmers auftreten können, kann als Alternative auch zu einem Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten gewechselt werden. Auch bei Begleitumständen wie Status post Infarkt oder anderen vaskulären Komplikationen ist der Einsatz eines RAAS-Hemmers ebenso vertretbar. „Ältere Patienten haben aber eher eine geringere Aktivität des Renin-Angiotensin-Aldosterons-Systems, daher ist hier ein RAAS- Hemmer oft nicht die beste Wahl“, erklärt Zweiker. Da im Alter die eingeschränkte Windkesselfunktion beziehungsweise steife Gefäße zu einer oftmals isolierten systolischen Hypertonie führen, ist hier daher eher ein Kalzium-Antagonist Mittel der ersten Wahl. Handelt es sich schließlich um einen Patienten, der viel Kochssalz zuführt und liegt eine Hyperhydratation vor, spielt vermehrt ein Diuretikum eine wichtige Rolle. Letztgenanntes vor allem dann, wenn zusätzlich Nierenprobleme vorliegen beziehungsweise wenn der Patient an Herzinsuffizienz leidet. Bei renaler Beteiligung – ohne dass jedoch eine Nierenarterienstenose vorliegt – ist wiederum der Einsatz eines ACE-Hemmers oder AT-Blockers angezeigt, da hier besonders der Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus zu behandeln ist. Häufig ist bei Patienten mit einer Hypertonie, die zusätzlich eine Nierenerkankung aufweisen, aber letztlich ohnehin Kombinationen notwendig, da eine Monotherapie in vielen Fällen den Blutdruck nur inadäquat senkt. „Die Nephrologen machen daher auch gerne eine Kombination aus ACE-Hemmer und Angiotensin-Blocker, was aber bei uns Kardiologen nicht so relevant ist“, erläutert Zweiker. Betablocker werden im Gegensatz zu früher nicht mehr als First line-Medikation eingesetzt, sind jedoch natürlich eine gute Therapieoption bei Patienten mit Sympathikotonie. Leiden Patienten aber beispielsweise an einer Prostatahyperplasie, ist eine Therapie mit einem Alpha-Blocker denkbar.

Individuelle Stufenbehandlung

Bei jedem Hypertoniker ist somit eine individuelle Vorgangsweise erstrebenswert, wobei die häufig gelehrte Stufentherapie ebenso wichtig erscheint. „Die Stufenbehandlung ist in der Lehre leichter zu vermitteln als die individuelle Therapie, ist aber gerade im Hinblick auf Medikamenten-Kombinationen sehr relevant“, erklärt Zweiker. Manchmal sind nämlich die Kombinationen mehrer Präparate sinnvoll, manchmal weniger: Beispielsweise gilt die Kombination aus ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker mit einem Diuretikum als ideal, während eine Kombination aus Kalzium-Antagonisten und Diuretikum absolut nicht empfohlen wird. Sehr frühzeitig und gut funktioniert laut Experten auch die Kombination aus Alpha- und Betablocker, was bereits auch in einem einzelnen Medikament vereinbart werden kann. Möglich – allerdings durch Studien nicht gut belegt – wäre eine Kombination aus Betablocker und Diuretikum.

Sollte ein junger Patient, bei dem mit einem RAAS-Antagonisten begonnen wurde, noch nicht gut eingestellt sein, kommt in der zweiten Linie ein Diuretikum oder ein Kalzium-Antagonist dazu. Wurde bei einem alten Patienten mit einem Kalzium-Antagonisten oder einem Diuretikum gestartet, folgt in der zweiten Stufe ein ACE- Hemmer. Ist auch eine dritte Stufe erforderlich, wird jenes Präparat genommen, das in der ersten Stufe noch nicht dabei war: Ist auf den Kalzium-Antagonisten der ACE-Hemmer gefolgt, bildet das Diuretikum die dritte Stufe. Wurde jedoch mit einem Diuretikum begonnen, kommt in dritter Linie der Kalzium-Antagonist hinzu. Allgemein hat sich der Einsatz von Betablockern und Alphablockern reduziert; dennoch haben sie ihren Stellenwert als dritte Linie – vor allem bei jüngeren Patienten. Gibt es eine spezielle Indikation wie Sympathikotonie oder Herzinsuffizienz, können sie auch als vierte Linie eingesetzt werden. Reicht diese Vorgehensweise noch immer nicht, kann man als fünfte Linie noch Spironolacton, einen Aldosteron-Antagonisten, in Erwägung ziehen. „Bei schwer einstellbaren Patienten muss man aber auch auf Medikamente achten, die den Blutdruck negativ beeinflussen“, zeigt Zweiker auf. Hierbei ist beispielsweise der Gebrauch von NSAR gemeint, der oft ohne Wissen des Arztes erfolgt und schließlich zu einer sekundären Hypertonie führen kann.

Gemessen werden sollte der Therapieerfolg am besten vom Patienten selbst. Sind jedoch Messprobleme vorhanden oder die Ergebnisse unklar, ist eine 24h-Messung angebracht, die auch die nächtlichen Blutdruckwerte erfasst. Die Werte in den Schlafstunden sollten im Durchschnitt schließlich nicht über 120 mmHg systolisch und 75 mmHg diastolisch sein, da dadurch das Gefäßsystem am besten geschützt wird. „Je niedriger die Blutdruckwerte in den Nachtstunden, desto besser die Prognose“, so die Meinung der Experten. Dennoch sollten die Medikamente, die ohnedies einen 24-stündigen Schutz gewähren, morgens genommen werden, da die Patienten auch in stressigen Alltagssituationen geschützt werden sollen.

Wichtig für den Therapieerfolg ist jedenfalls, nicht aufzugeben und so viele Medikamente wie nötig zu verordnen. Vor Kombinationstherapien und Mehrfachkombinationen sollte man daher nicht zurückschrecken. „Als behandelnder Arzt sollte man sich nicht vorher zufrieden geben, eher der Blutdruck ausreichend gesenkt ist beziehungsweise nicht dem Irrtum aufsitzen, dass Patienten, die bestimmte Medikamente verschrieben haben, diese auch nehmen oder diese ausreichend sind“, appelliert Watschinger.


Unterstützendes Projekt: herz.leben

Hilfreich für eine erfolgreiche Hypertoniebehandlung kann vor allem auch die Förderung der Patientencompliance sein. Durch ausreichend Zeit für die Betreuung und vertiefte Auseinandersetzung mit dem Problem „Hypertonie“ wird am Beispiel des Projekts herz.leben in Graz gezeigt, dass die Compliance eines der wichtigsten Probleme in der Hypertonie-Behandlung ist; bei entsprechender Patientenschulung sehr gute Therapieerfolge erzielt werden können. Bei diesem steirischen Projekt werden Patienten durch Ärzte, Diabetologen und Schwestern im Umgang mit ihrer Erkrankung geschult und trainiert, wodurch Hypertonie-Patienten beste Therapieresultate erzielen. Das durch die Krankenkassen honorierte Projekt, das mittlerweile knapp 2.000 Patienten betreut, zeigte bisher gute Ergebnisse, wodurch es als Vorreiterfunktion für ganz Österreich dienen kanne. „Allein durch Veränderung des Lebensstil sowie besseres Verständnis und Umgang mit der Krankheit Hypertonie konnte nämlich das kardiovaskuläre Risiko um sechs Prozent gesenkt werden“, erklärt Zweiker. Dies bedeutet für die Praxis, dass zumindest ein Infarkt unter 25 betreuten Patienten vermieden werden könne. „Auf einem anonymisierten Computerbogen wird schließlich alles dokumentiert, und nach einem Jahr eine Art Nachschulung durchgeführt, um die Nachhaltigkeit zu gewähren“, weist Zweiker hin.

Ansprechpartner und Projektleiter für herz.leben:
Dr. Herbert Ederer, Ärztekammer für Steiermark; Tel. 0316/80 44-0

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2010