Akute Bewusstseinsstörungen: Glasklar verschleiert

10.05.2010 | Medizin

Anamnestische Angaben und klinische Vorboten liefern bei akuten Bewusstseinsstörungen zwar wichtige Informationen, dennoch können auch scheinbar typische Symptome zu Fehldiagnosen leiten. Sicherheit verschaffen kann das CT/MRT – aber nicht immer.
Von Eveline Hecher

Eine zunehmende Bewusstseinsstörung beziehungsweise eine bereits eingetretene Bewusstlosigkeit müssen unmittelbar klinisch und apparativ abgeklärt werden, da es sich dabei um einen lebensbedrohlichen Zustand handelt. Bevor jedoch mit apparativer Diagnostik im Spital begonnen werden kann, hat die Prä-Hospitalphase, in der der Patient vom Notarzt versorgt wird, entscheidende Bedeutung. „Viele Patienten erreichen das Krankenhaus aufgrund der Lebensgefahr oft erst im intubierten und analgosedierten Zustand, wodurch sie neurologisch nicht mehr gut beurteilbar sind“, erklärt Univ. Prof. Johann Willeit von der Neurologischen Abteilung der Medizinischen Universität Innsbruck. Daher erscheint die Ausgangssituation des Patienten für weitere Diagnoseschritte essentiell. Sind metabolische Ursachen wie Hypo-/Hyperglykämie, Intoxikationen u.ä. ausgeschlossen, ist unmittelbar vor Ort eine neurologische Untersuchung angezeigt. „Zu achten ist hierbei auf typische Reflexbefunde, Babinsky-Zeichen, Beuge- und Strecksynergismen sowie Auffälligkeiten im Bereich der Opto- und Pupillomotorik – also sämtliche Parameter, die bekanntermaßen auf primär zerebrale Ursachen einer Bewusstseinsstörung hinweisen“, erklärt Willeit.

Zu den häufigsten zerebralen Ursachen für akute Bewusstseinsstörungen zählen bei kurzer Anamnese vor allem die Hirnblutung, die Subarachnoidalblutung und der Hirninfarkt: Fällt ein Patient aus voller Gesundheit plötzlich nieder, zeigt sensomotorische Halbseitenzeichen und ein positives Babinsky-Zeichen oder hat Strecksynergismen, ist der Verdacht auf ein Insult-Geschehen gegeben. Ohne die Vorboten zu kennen, kann es aber schwierig sein, die tatsächliche Krankheitsätiologie zu erfassen. „Wenn beispielsweise der Hausarzt kommt und beim Patienten eine halbseitige Schwäche feststellt, ohne die Vorgeschichte zu wissen, kann es durchaus sein, dass ein Insult auch mit einer Todd’schen Parese nach einem epileptischen Anfall verwechselt wird“, erklärt Univ. Prof. Wilfried Lang, Vorstand der neurologischen Abteilung am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Wien. Nach einem epileptischen Anfall, der beim Erwachsenen meistens fokal ist, kann im betroffenen Hirnareal nämlich eine postiktale Funktionsstörung folgen, woraus ebenfalls eine Hemiparese – nicht jedoch als Folge eines Insultes – resultiert. Möglich ist jedoch sogar eine Kombination aus beiden Krankheitsentitäten: Eine akute Durchblutungsstörung löst einen epileptischen Anfall aus, welcher dann in einer Todd’schen Parese endet. Letztgenannte ist zwar seltener, aber möglich. Auch aus der Erfahrung, die man im Rahmen von Stroke Units gemacht hat, kennt man diese Problematik. „Wir haben oft Patienten mit dem präklinischen Bild eines Insults, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine Todd’sche Parese handelt“, weiß Lang. Sogar eine neu diagnostizierte Epilepsie ist möglich, wodurch dann die hilfreiche, Weg weisende Vor-Anamnese wegfällt. Dennoch muss man wissen, dass die häufigste Ursache für epileptische Anfälle im Alter vaskuläre Erkrankungen sind.

Ähnliche Verwechslungen sind aber auch beim Symptom „Sprachstörungen“ möglich: Diese können sowohl für einen ischämischen Insult als auch für einen Zustand nach einem epileptischen Anfall sprechen. Bestehen Artikulationsstörungen (Dysarthrie) in Kombination mit Gleichgewichtsstörungen und Doppelbildern als Hinweis für eine akute Hirnstamm-Symptomatik, kann es sich bei stotternder Symptomatik auch um einen möglichen Vorboten der lebensbedrohlichen Basilaris-Thrombose handeln.

Basilaris-Thrombose

Auch Doppelbilder und Gleichgewichtsstörungen als Folge der Hirnstammproblematik können hierbei auftreten. „Bei langsamer Progredienz gibt es häufig eine fluktuierende Symptomatik“, erklärt Lang. Wenn es letztlich in der Basilar-Arterie zu einem Verschluss kommt, kann es aber auch sein, dass der Patient nicht komatös ist, sondern sich in einem „Locked in“-Zustand befindet. Hierbei ist zwar der untere Teil des Hirnstamms betroffen, nicht jedoch der von vorn versorgte Teil des Mesencephalons. „Prinzipiell gibt es bei der Basilaristhrombose aber zwei Möglichkeiten: entweder man hat diese Vorboten oder im Falle einer Embolie gleich die totale Katastrophe“, weiß Lang. Im Unterschied zum progredienten Verschluss präsentiert sich nämlich ein Verschluss der Basilaris im akuten Geschehen meist mit divergenten Bulbi, positiven Pyramiden und Babinsky-Zeichen sowie Koma.

Allein durch die klinische Symptomatik kann man nicht zwischen einem akuten Hirninfarkt oder einer Hirnblutung unterscheiden. Die Vorboten helfen bei der Diagnosefindung nicht wirklich weiter, obwohl beispielsweise intrakranielle Blutungen häufig mit Kopfschmerzen einhergehen. „Hier kann man die Differentialdiagnose zwischen Hirninfarkt und Hirnblutung nur im CT stellen, was natürlich vor jeder Therapie unbedingt zu erfolgen hat“, erklärt Willeit. Der Vorbote ‚akuter Kopfschmerz’ ist jedoch bei der späteren Diagnose „Subarachnoidalblutung“ das wichtigste Leitsymptom: Bei dieser Art der intrakraniellen Blutung klagen die meisten über einen plötzlichen heftigen Kopfschmerz, wodurch man an eine Blutung denken muss. Doch in 30 Prozent der Fälle gibt es keine typischen Vorboten, sondern die Patienten befinden sich gleich in einem komatösen Zustand. „Dies geschieht vor allem bei ausgedehnten Blutungen oder auch dadurch, weil es bei Einblutungen der Hirnhäute zu einem Vasospasmus kommt, der zur akuten Hypoxie des Gehirnes führt“, so Lang. Kopfschmerzen können aber auch Symptome einer Sinusvenenthrombose sein, welche zwar nicht so häufig, aber gut behandelbar ist. Die Kopfschmerzen können in diesem Fall über Wochen bestehen ohne jegliche zusätzliche Symptomatik. Aus einer Sinusvenenthrombose kann sich wiederum ein Status epilepticus entwickeln und schließlich zur Lähmung führen, da es zum Blutrückstau im Gehirn kommt, was sich in fokalen Ausfällen und Bewusstseinsstörungen äußert.

Fließende Übergänge

Wichtig ist neben der Vorgeschichte vor allem die Bildgebung, da allein die klinische Symptomatik irreführend sein kann und für mehrere Krankheitsursachen sprechen kann. Sogar fließende Übergänge – von einer Ursache zu einem Symptom einer eigentlich anderen Ursache – sind möglich. Doch selbst die Bildgebung hat nicht immer das letzte Wort, was Willeit am Beispiel der Basilaristhrombose aufzeigt: „Wenn ein Patient mit fluktuierenden Bewusstseinsstörungen und anschließendem Koma ins Krankenhaus gebracht wird, kann man auch ein normales nativ CT vorfinden, in dem zum Beispiel keine Blutung oder sonstige Auffälligkeiten zu finden sind“, erläutert der Experte. Bei positiven Babinsky-Zeichen oder Pupillenstörungen, was auf ein Hirnstamm-Syndrom hindeutet, geht der nächste Gedanke in Richtung Basilaristhrombose. „Eine sofortige CT-Angiographie beziehungsweise MRT-Untersuchung kann hier Klarheit bringen, um weitere Maßnahmen unmittelbar ohne Zeitverzögerung einleiten zu können“, so Willeit abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2010