Wien Museum im Künstlerhaus: Zwischen Dirndl und Bubikopf

25.01.2010 | Kultur

Für eine Großausstellung über die Erste Republik – Politik, Kunst und Alltag um 1930 – hat sich das Wien Museum in den großzügigen Räumlichkeiten des Künstlerhauses vis à vis eingemietet. Von Renate Wagner 

Zwischen dem Ende der Habsburger-Monarchie und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erlebte Österreich in zwei Jahrzehnten seine Erste Republik. Das Wien Museum arbeitet das Thema am Beispiel der Großstadt Wien auf, die zum Kampfplatz aller Ideologien wurde – politisch zwischen links und rechts, im Alltag zwischen Fortschritt und Konservativismus, in der Kunst zwischen Nostalgie und neuer Sachlichkeit. Auf zwei Ebenen sind 17 Räume den verschiedensten Themenstellungen gewidmet.

Es müssen schwere Zeiten für die Menschen gewesen sein: Was sich in vier Jahren des Ersten Weltkrieges vorbereitet hatte, wurde ab 1918 Wirklichkeit – Wien war keine „Kaiserstadt“ mehr, vielmehr der viel zu große Wasserkopf für ein im Vergleich zur einstigen Monarchie lächerlich geschrumpftes Land, dem viele keine Zukunft gaben. Und doch brach mit den wilden 20er Jahren auch die Moderne in Wien ein – die Elektrisierung wurde selbstverständlich, die Motorisierung griff um sich, die Plakatkunst wurde für aggressive Werbung, sei es für politische Parteien, sei es für Konsumprodukte eingesetzt. Vor allem aber explodierten die damals „neuen“ Medien mit Radio, Fotojournalismus oder Film. Diese noch junge Kunstform des Films (man kann in einem Eckraum, der wie eine Bar eingerichtet ist, Szenen aus dem Stummfilm „Café Elektric“ mit Marlene Dietrich sehen) war auch Teil einer gewaltigen Vergnügungsindustrie, die diese Ausstellung dann mit den Skandalen ausklingen lässt, die etwa das Auftreten von Josephine Baker im Bananenröckchen oder die Aufführung der Jazz-Oper „Johnny spielt auf“ von Ernst Krenek evozierten…

Die Sozialdemokratie in Wien nahm unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ihre Chance wahr – sorgte für neue Wohnungen, für Kinderbetreuung, für Volksbildung, für das Recht, am Wochenende aus der Stadt hinaus ins Grüne zu gehen. Werbeplakate warben ebenso für das Gänsehäufl wie für das Skifahren am Semmering. Die Bergwelt wurde modern (mit Seilbahnen und Bergstraßen), der Tourismus wurde mondäner, als es sich die Bewohner des zwischen 1927 und 1930 errichten Karl-Marx-Hofs leisten konnten…

Die Zeiten waren schneller und grundlegend anders geworden. Aber diese Entwicklungen blieben nicht unbeantwortet. Die Ausstellungen thematisiert sehr wohl die „Antwort“ konservativen Denkens auf einen Fortschritt, der nach der Meinung vieler jegliche Moral und althergebrachte Werte unterminierte. Während die „moderne“ Frau den Bubikopf und lange Hosen à la Marlene Dietrich trug, wurde das Dirndl zur Weltanschauung, zur alternativen Kampfansage.

So zeigt die Ausstellung nicht nur den Alltag und in einer eigenen Sektion die österreichische Kunst dieser Zeit, sondern fächert auch die politischen Spannungen auf, die schließlich in permanenter Gewaltbereitschaft, in Bürgerkrieg und Mord mündeten…


Was, Wann, Wo:

Kampf um die Stadt.
Politik, Kunst und Alltag um 1930

Bis 28. März 2010, täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr
Künstlerhaus, 1010 Wien, Karlsplatz 5

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2010