Forschung aus Österreich: Potentielles Hyposmie-Modell gefunden

25.11.2020 | Medizin


Die Auswirkungen einer experimentellen Obstruktion der Riechspalte auf die Nasenatmung sowie die Riechleistung wurden an der Universitätsklinik für HNO der Medizinischen Universität Wien untersucht.
Gerold Besser

Eine neu aufgetretene Anosmie kann in der derzeitigen Pandemie-Situation auf eine aktive Infektion mit SARS-CoV-2 hinweisen. Das Riechepithel wurde auch schon zuvor als Angriffspunkt diverser Krankheitserreger suspiziert. Nicht zuletzt deshalb ist ein steigendes olfaktologisches Forschungsinteresse evident. Ein konstantes „Forschungsproblem“ in diesem Bereich ist der große Bedarf an Kranken (hyp- oder anosmische Patienten), um zum Beispiel Testmethoden zu validieren. In Anbetracht dessen wäre es von großem Nutzen, eine Hyposmie oder Anosmie bei gesunden Probanden temporär simulieren zu können.

Riechsinn: Ausschaltung komplex

Das Sehen und Hören kurzzeitig auszuschalten, ist vergleichsweise einfach. Im Gegensatz dazu bedeutet das Abdecken der Naseneingänge nicht nur, den Riechsinn zu beeinträchtigen, sondern auch die Nasenatmung zu stören. Diese ist aber auch wichtig, um die inhalierte Luft zu befeuchten und zu erwärmen. Außerdem beeinflusst das Abdecken der Naseneingänge nur die orthonasale Riechwahrnehmung; ein AnosmieModell sollte aber auch den retronasalen Weg (=  Feingeschmackswahrnehmung) berücksichtigen. Die Auffüllung der Riechspalte (RS) mit Nasenschaum, wie er in der Nasennebenhöhlenchirurgie zur Tamponade/Blutstillung zum Einsatz kommt, könnte ein solches Modell ermöglichen. Gleichzeitig sollten dabei die Auswirkungen auf die Nasenatmung untersucht werden.

Für diese Fragestellung wurde im Rahmen einer Medizinprodukte-Studie bei 30 gesunden Probanden die Riechspalte einseitig mit Schaum aufgefüllt – beginnend posterior, um auch die retronasale Route zu blockieren (siehe Abbildung). Die ortho- und retronasale Riechleistung wurde vor und nach Schaumanwendung ausführlich und Untersucher-verblindet getestet. Außerdem wurden subjektive Bewertungen zur Nasenatmung und einzelnen Düften (Intensität, Hedonie)  erhoben. Mittels Peak nasal inspiratory flow (PNIF) erfolgte die Objektivierung der Nasenatmung.

Die Anwendung war in allen Fällen komplikationslos möglich. Die ortho- und retronasale Riechleistung verringerte sich signifikant (alle p < 0,0008). Drei Probanden erreichten den niedrigsten möglichen Wert der Schwellentestung inklusive korrespondierender Abfälle der retronasalen Leistung, was als Hinweis auf eine Anosmie gesehen werden kann. Insgesamt wurde bei 15 Probanden ein relevanter Effekt auf die Riechleistung gemessen. Die PNIF-Messungen waren vor und nach Schaumeinbringung nicht signifikant unterschiedlich (p = 0,11). Die subjektive Nasenatmung sank leicht, aber nicht signifikant (p = 0,052). Die Bewertung der Duftintensität sank deutlich (alle p < 0,05). Conclusio

Die Studie konnte die Obstruktion der Riechspalte mittels Nasenschaum in der dargelegten Anwendung als potentielles Hyposmie-Modell bei gleichzeitiger Wahrung der Nasenatmung etablieren. Als klinische Schlussfolgerung ergibt sich auch, dass obstruktive Prozesse wie zum Beispiel nasale Polypen im Bereich der oberen Nasenhaupthöhle nicht mit einer Behinderung der Nasenatmung einhergehen müssen und mitunter zuerst durch eine Riecheinschränkung auffällig werden. Außerdem bietet die Schaumapplikation auch Potential zur Erforschung obstruktiver Prozesse in anderen Regionen der Nase und deren Auswirkungen auf die Nasenatmung, da sich hier doch oft deutliche Diskrepanzen zwischen subjektiven Beschwerden und klinischem Bild finden.


Zur Person

Gerold Besser

Aufgewachsen ist Gerold Besser in Villach; Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Universität Graz. Ausbildung zum Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Bezirkskrankenhaus Lienz und an der Universitätsklinik für Hals-, Nasenund Ohrenkrankheiten Wien; Doktoratsstudium der medizinischen Wissenschaften an der Medizinischen Universität Wien unter Assoc. Prof. PD. Dr. Christian A. Müller; Abschluss 2019. Ausgedehnte Forschungstätigkeit mit Schwerpunkt Rhinologie/Olfaktologie sowie im Rahmen von klinisch-operativen randomisierten Studien. Habilitationsansuchen im Frühjahr 2020. Diverse Forschungspreise und Drittmittelprojekte; DDr. Gerold Besser ist derzeit stationsführender Oberarzt an der Universitätsklinik für HNO der Medizinischen Universität Wien.


Tipp: Besser G, Liu DT, Renner B, Hummel T, Mueller CA. Reversible obstruction of the olfactory cleft: impact on olfactory perception and nasal patency. Int Forum Allergy Rhinol. 2020, doi: 10.1002/alr.22549 (Open Access)

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2020