Divertikulitis: Selbstlimitierende Komplikation

11.11.2021 | Medizin

Wenn sich auch bei bis zu 70 Prozent aller 70-Jährigen eine Divertikulose – meist als Zufallsbefund der Koloskopie – zeigt, kommt es nur bei bis zu 20 Prozent der Betroffenen tatsächlich zu Komplikationen. Die Divertikulitis, die häufigste Komplikation, verläuft meist selbstlimitierend.
Sophie Fessl

Die Divertikulose ist prinzipiell eine der häufigsten Erkrankungen des Menschen“, weiß Univ. Prof. Herbert Tilg von der Universitätsklinik für Innere Medizin 1 der Medizinischen Universität Innsbruck. Zwischen 60 und 70 Prozent der 60- bis 70-Jährigen zeigen eine Divertikulose. Da die Divertikel nicht von einer Muskelschicht umhüllt sind, bilden sie eine Schwachstelle im Darm. Doch 80 bis 90 Prozent der Menschen mit Divertikulose leiden an keinerlei Symptomen; bei ihnen ist die Divertikulose meist ein Zufallsbefund einer Koloskopie. „Gemäß der Classification of Diverticular Disease zeigen diese Menschen ein Stadium 0, eine reine Divertikelkrankheit, die keinen Behandlungsbedarf hat“, erklärt Univ. Doz. Georg Rosanelli von der Chirurgischen Abteilung am Krankenhaus der Elisabethinen Graz.

Allerdings entwickeln rund zehn bis 20 Prozent der Patienten mit Divertikulose Komplikationen, die in Form von Divertikelblutungen oder einer Divertikulitis auftreten. Die Divertikelblutung ist die Hauptursache für eine schwere untere gastrointestinale Blutung. Rund fünf bis zehn Prozent aller Personen mit Divertikel erleiden eine Blutung, die aus Divertikeln sowohl im linksseitigen als auch im rechtsseitigen Darm auftreten kann. Symptom ist die Meläna, in manchen Fällen von Schmerzen begleitet.

In 80 Prozent der Fälle stoppt die Divertikelblutung ohne therapeutische Intervention. In den übrigen Fällen ist notwendig, die Blutung endoskopisch oder radiologisch-interventionell zu stillen; manchmal allerdings auch chirurgisch. Divertikelblutungen treten vor allem in höherem Alter auf, bei bestehenden Komorbiditäten und unter Blutverdünnung. Obwohl Divertikelblutungen häufig selbst limitierend sind, ist je nach klinischer Einschätzung eine Koloskopie notwendig, um die Blutung zu lokalisieren.

Die häufigste Komplikation der Divertikulose ist die Divertikulitis – meist linksseitig im Colon sigmoideum. „Bei linksseitigen Unterbauchschmerzen in dieser Altersgruppe sollte daher immer an eine Divertikulitis gedacht werden“, führt Tilg aus. Typische Symptome einer Divertikulitis sind linksseitige Bauchschmerzen, subfebrile Temperaturen, Obstipation oder Durchfall. „Bei Verdacht auf Divertikulitis hat eine klinische Untersuchung mit Perkussion und Auskultation stattzufinden, um sich zu orientieren, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist“, betont Rosanelli. Bei einer akuten Divertikulitis sollte keine Darmspiegelung erfolgen. „Wenn die Expertise besteht, reicht zu einem hohen Prozentsatz der Ultraschall aus, um den Grad der Erkrankung zu beurteilen. Ist die Expertise nicht vorhanden, muss ein CT gemacht werden, um den Grad der Erkrankung zu beurteilen.“ Außerdem sollten die Entzündungswerte, insbesondere CRP und Leukozytose, erhoben werden.

Häufig keine Antibiose notwendig

Die Behandlung der Divertikulitis richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung. „Bei der akuten unkomplizierten Divertikulitis ist es heute so, dass je nach Ausprägung eine konservative Therapie gemacht werden sollte im Sinne einer Antibiose oder auch nicht“, betont Rosanelli. Stuhlregulierende Maßnahmen mit Lactulose- oder Macrogol-Präparaten können ausreichen, da die Divertikulitis häufig selbstlimitierend ist. „Ist der Patient mäßig krank, zeigt aber die klinische Präsentation von Entzündungszeichen und Unterbauchschmerzen, so verzichten wir auf Antibiotika, da die Wahrscheinlichkeit für einen milden Verlauf gegeben ist, denn in diesem Fall ist der Nutzen von Antibiotika nicht gegeben“, berichtet Tilg aus der Praxis. Trotzdem sollte der Patient beobachtet werden und bei starken Schmerzen, hohen Entzündungswerten oder steigender Temperatur eine antibiotische Therapie eingeleitet werden. Obwohl während einer Divertikulitis keine Koloskopie durchgeführt werden soll, sollte bei Patienten mit akuter unkomplizierter Divertikulitis in den Folgemonaten trotzdem eine Darmspiegelung erfolgen, um das Vorliegen von anderen Pathologien wie zum Beispiel ein Kolonkarzinom auszuschließen.

Rund ein Viertel der Patienten mit Divertikulitis entwickelt eine Komplikation. Dazu zählen die Ausbildung von Engstellen, Obstruktion, Darmverschluss, Perforation, große Abszessbildung, Fistelbildung sowie Peritonitis. Bei einer komplizierten akuten Divertikulitis im Stadium 2a, bei dem eine gedeckte Perforation mit Abszess vorliegt, ist möglichst durch eine stationäre Aufnahme und antibiotische Therapie ein schmerzfreies beziehungsweise entzündungsfreies Intervall zu erreichen, in dem die Operation stattfinden sollte. Kommt es innerhalb von 72 Stunden nicht zur Besserung der Symptomatik und der klinischen Beurteilung inklusive CRP sollte eine frühelektive Operation innerhalb von drei Tagen stattfinden. Klingt die Symptomatik hingegeben ab, wird eine elektive Operation etwa vier bis sechs Wochen nach dem Entzündungsschub empfohlen.

Im Stadium 2a wird eine laparoskopische Operation angestrebt. „Sie ist aufgrund der reduzierten Wundheilungsstörungen bei nicht erhöhter Insuffizienzrate der offenen Operation vorzuziehen“, erläutert Rosanelli. Dabei wird der entzündete Divertikel-Anteil entfernt. Rosanelli weiter: „In der Regel sollte danach getrachtet werden, das gesamte Colon sigmoideum zu entfernen, da bei einem Hinterlassen von Sigma-Anteilen die Rezidivrate hoch ist.“ Allerdings sei es nicht notwendig, Divertikel des Colon descendens zu entfernen, wenn diese keine Entzündungszeichen aufweisen. „Ein reines Tragen von Divertikeln ist nicht relevant. Sind die Divertikel nicht entzündet, müssen sie nicht entfernt werden.“

Handelt es sich um eine gedeckte Perforation mit Abszess, wird dieser Ultraschall-gezielt drainiert, um eine entzündungsfreie lokale Situation zu erreichen, die ein besseres chirurgisches Outcome liefert. Rosanelli dazu: „Außerdem wird die Wahrscheinlichkeit eines protektiven Ileum-Stomas reduziert, welches bei der elektiven Operation nur im Ausnahmefall notwendig ist.“ Auch eine interventionell-radiologische Behandlung der Abszesse ist möglich. Kommt es bei einer komplizierten akuten Divertikulitis im Stadium 2b zu einer freien Perforation, wird unmittelbar bei Diagnosestellung in einer Notoperation in der Regel offen reseziert. „Bei einer freien Perforation kommt es in einem bis allen vier Quadranten zu einer eitrigen beziehungsweise fäkalen Peritonitis, die eine hohe Sterblichkeitsrate hat“, erklärt Rosanelli.

Indikation zur Operation

Bei der komplizierten Divertikulitis besteht eine absolute Indikation zur Operation, wie Rosanelli ausführt. „Wenn nicht operiert wird, erleiden über 40 Prozent der Patienten Rezidive mit zum Teil höheren Komplikationen.“ Die unkomplizierte Divertikulitis stellt hingegen keine zwingende Operationsindikation dar. „Früher wurde eine Operation nach ein bis zwei Schüben der Divertikulitis durchgeführt. Das ist nicht mehr empfohlen: Ein bis zwei Schübe sind keine Indikation und werden nicht operiert, da der Nutzen nicht gegeben ist.“ Die unkomplizierte Divertikulitis kann allerdings in eine chronische Divertikulitis mit rezidivierenden Symptomen wie massiver Flatulenz, Obstipation und Unterbauchbeschwerden übergehen. Diese wiederum kann in Fisteln oder Stenosen münden, die auch eine chronische Lebensqualitätsverschlechterung für den Patienten darstellen und durch eine Operation verbessert werden können.

Die Rezidivrate hängt wiederum vom Schweregrad des ersten Schubs ab. Während unkomplizierte Divertikulitiden eine Rezidivrate von zwei Prozent haben, treten bei schweren, nicht operierten Divertikulitiden in bis zu 47 Prozent der Fälle Rezidive auf. Bei einer Operation ist die komplette Entfernung des Sigmas für das Outcome wesentlich. „Trotzdem haben 20 bis 25 Prozent der Patienten auch nach der Operation Beschwerden.“

Bei älteren Patienten wird die Divertikulitis oft übersehen, da die Präsentation im Alter nicht mehr typisch ist, berichtet Tilg aus der Praxis. „Im Alter zeigt sich eine eher untypische Symptomatik oft mit nur einzelnen Symptomen etwa mit wenig Schmerzen, nur Fieber, nur erhöhten Entzündungszeichen oder Verstopfung. Daher muss in dieser Altersgruppe großzügiger an eine Divertikulitis gedacht werden.“

Obwohl die Divertikulose eine häufige Erkrankung ist, ist ihre Pathophysiologie noch unklar, besondere wieso sich nur bei rund zehn Prozent der Patienten eine Entzündung entwickelt. „Das Mikrobiom spielt sicher eine Schlüsselrolle. Aber welche Keime prädisponieren oder als ursächlich zu betrachten sind, bleibt unverstanden“, erklärt Tilg. Ein Risikofaktor für die Entstehung von Divertikulose ist das Reizdarm-Syndrom, das mit der Divertikulose vergesellschaftet ist. Während eine faserreiche Kost mit viel Obst und Gemüse sowie ausreichend Bewegung nicht vor der Bildung von Divertikeln schützt, schützt sie doch vor einer Divertikel-Erkrankung. Fleischreiche Ernährung, chronische Obstipation, Rauchen und Übergewicht erhöhen das Risiko für eine symptomatische Divertikel-Erkrankung. Adipositas ist außerdem ein Risikofaktor für Komplikationen der Divertikulitis.

Ballaststoffe reduzieren Hospitalisierung

Vorteilhaft sei laut Rosanelli die Zufuhr von Ballaststoffen: Der Konsum von 25 Gramm Ballaststoffen pro Tag reduziert das Risiko für eine Hospitalisierung um 42 Prozent. Der Konsum von über 32 Gramm Ballaststoffen pro Tag über mehrere Jahre reduziert das Risiko der Erkrankung selbst um über 40 Prozent. „Die Divertikulose kommt nicht zum Ausbruch, durch den protektiven Effekt des hohen Ballaststoffkonsums“, betont Rosanelli. Andererseits gäbe es außer einer Reduktion des Fleischkonsums auf einmal wöchentlich keine Ernährungsempfehlung, die den Ausbruch einer Divertikulitis verhindern könne. Auch die frühere Empfehlung, bei Divertikulose auf Nüsse und Samen zu verzichten, sei überholt, sagt Rosanelli. „In der asymptomatischen Phase Nüsse zu essen, reduziert das Risiko. In der akuten Phase sollte ballaststoffarme und leicht verdauliche Nahrung konsumiert werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2021