WONCA-Europe-Konferenz 2012: Schmerztherapie im Alter

25.06.2012 | Medizin

Ältere Menschen sind nicht Schmerz-unempfindlicher, wie oftmals angenommen wird. Demente Menschen erleben Schmerz sogar intensiver, da sie ihn kognitiv nicht herunterregulieren können. Mit der Schmerztherapie von geriatrischen Patienten befasst sich die 18. WONCA-Europe-Konferenz (Europäischer Kongress für Allgemeinmedizin) in Wien Anfang Juli.
Von Verena Ulrich

Von 4. bis 7. Juli 2012 findet nach mehr als zehn Jahren der Europäische Kongress für Allgemeinmedizin wieder in Wien statt. Die Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) als Veranstalter der 18. WONCA-Europe-Konferenz wird etwa 4.000 Allgemeinmediziner aus vielen europäischen und außereuropäischen Ländern zum internationalen Austausch auf höchstem Niveau begrüßen. „Wir haben nicht oft in Österreich einen allgemeinmedizinischen Kongress gesamteuropäischer Dimension“, freut sich Kongresspräsident Gustav Kamenski. „Ein Benchmarking mit anderen Ländern wird uns Verbesserungspotentiale in der primärärztlichen Versorgung in Österreich erkennen lassen.“

Trotz moderner „Anti-Aging“-Maßnahmen kann den natürlichen Abnützungserscheinungen des Körpers nicht gänzlich entgegengewirkt werden. Vielleicht nicht früher, aber jedenfalls später kommt der Schmerz. Und meist kommt er nicht allein. Ein 80-Jähriger hat in der Regel acht relevante Diagnosen. Degenerative Gelenkserkrankungen, Karzinom-bedingte sowie neuropathische Schmerzen sind die häufigsten Schmerzsyndrome bei geriatrischen Patienten. Der behandelnde Arzt steht somit vor großen Herausforderungen: Diffizile Schmerzmessung, Polypharmazie, schlechte Compliance, Depression und Demenz sind nur einige Besonderheiten, die bei der Schmerztherapie von geriatrischen Patienten berücksichtigt werden müssen.

„Das oberste Grundprinzip einer strukturierten Schmerztherapie ist, die Ursache des Schmerzes zu kennen und ihn richtig zu messen.“, weiß Univ. Prof. Rudolf Likar, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und allgemeine Intensivmedizin am LKH Klagenfurt. Er wird sich bei der „WONCA Europe Conference 2012“ in Wien im Rahmen eines Round Tables unter dem Titel „Schmerztherapie bei geriatrischen Patienten“ ausführlich diesem Thema widmen.

Die Schmerzmessung ist bei geriatrischen Patienten nicht selten durch sensorische und kognitive Beeinträchtigungen erschwert. Den Betroffenen ist es häufig unmöglich, standardisierte Fragebögen auszufüllen. Dazu kommt, dass viele ältere Menschen ihre Schmerzen herunterspielen, weil sie diese als natürliche Konsequenz des Alters betrachten und sie Angst vor der Therapie oder dem Verlust der Autonomie haben. Folglich sind Schmerzen bei geriatrischen Patienten vielfach unterdiagnostiziert. Dabei sind ältere Menschen keineswegs Schmerz-unempfindlicher, wie oftmals fälschlicherweise behauptet wird. „Demente Patienten erleben Schmerz sogar intensiver, da sie ihn kognitiv nicht mehr herunterregulieren können. Dennoch werden bei dementen Patienten weniger Schmerzmittel verwendet, da sich die Betroffenen nicht mehr adäquat artikulieren können“, erklärt Likar. Aus den Ausführungen des Experten wird deutlich, dass einer erfolgreichen Schmerzmessung große Bedeutung zukommt, um das Leiden des älteren Patienten bestmöglich zu verringern.

Schmerzempfinden messen

Inzwischen wurde eine Reihe von Methoden entwickelt, die das individuelle Schmerzempfinden von älteren Menschen besser einschätzbar machen. Lassen es die kognitiven und verbalen Fähigkeiten des Patienten zu, zeigt die „Verbale Ratingskala“ (VRS) gute Ergebnisse. Dabei handelt es sich um eine fünfstufige Skala, mit deren Hilfe der Schmerz von leichter über mittlerer bis stärkster vorstellbarer Schmerz beurteilt wird. Für Patienten, die sich nicht mehr ausreichend artikulieren können oder dement sind, eignen sich Pflegebeobachtungs-basierte Instrumente. Häufig wird die „BESDSkala“ (Beurteilung des Schmerzes bei Demenz-Skala) mit den fünf Beobachtungskategorien Atmung, negative Lautäußerung, Gesichtsausdruck, Körpersprache und Reaktion auf Trost verwendet. Die Bewertung des Schmerzverhaltens kann im Rahmen der Routinepflege erfolgen. „Eine weitere Beobachtungs-basierte Skala ist die DOLOPLUS 2, die wir in Kärnten evaluiert haben. DOLOPLUS 2 misst alle drei Schmerzauswirkungen: somatische, psychomotorische und psy-chosoziale“, so Likar weiter. Bei der WONCA-Europe-Konferenz wird er in seinem Vortrag einen speziellen Fokus auf die neuen Methoden der Schmerzmessung in der Geriatrie legen und Evaluierungsergebnisse präsentieren.

Weniger ist oft mehr

Wurde der Schmerz erfolgreich gemessen, führt dies beim älteren Menschen meist nicht zu einer, sondern zu mehreren Diagnosen. Multimorbidität ist beim geriatrischen Patienten beinahe die Regel. „Schmerz im Alter ist interdisziplinär zu behandeln“, betont Likar. Erhöhte Risiken birgt hierbei die Polypharmazie. Es erfordert viel Know-how, um die Interaktion ausreichend abschätzen zu können und die Nebenwirkungen gering zu halten. „Die Diagnosen müssen priorisiert werden und es muss Symptom-kontrolliert mit der Medikation begonnen werden“, betont Likar.

Der Grundsatz für die Therapie: „Start low and go slow!“ Zwar wird der Patient
anfangs möglicherweise nicht vollauf mit dem Therapieerfolg zufrieden sein, jedoch müsse man dies in Kauf nehmen, bis der Patient gut auf die Therapie eingestellt ist, zeigt sich Likar überzeugt. Die richtige Medikation kann nicht nur den Schmerz lindern, sondern den Gesamtzustand des Patienten verbessern und die Lebensqualität deutlich erhöhen. „Ist der Patient gut eingestellt, zeigt sich, dass auch der kognitive Status des Patienten verbessert wird“, weiß der Experte. Generell gilt, so viele Medikamente wegzulassen, wie es der Zustand des Patienten zulässt. Der behandelnde Arzt muss erkennen, was für den Patienten wirklich wichtig ist und Prioritäten setzen. „Ist es mit 80 Jahren wirklich noch wichtig, den Fettstoffwechsel zu regulieren?“, gibt Likar zu bedenken.

 

 

Details zum WONCA

Europäischer Kongress für Allgemeinmedizin

18. WONCA-Europe-Konferenz

von 4. bis 7. Juli 2012 in Wien

nähere Informationen und Anmeldung unter www.woncaeurope2012.org

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2012